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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Christian Günther in Leipzig

Auch die Fäden, die den jungen Dichter an den Bürgermeister Lange
knüpfen, lassen sich aufdecken, sie weisen nach Schlesien, beider Männer gemein¬
samer Heimat. Günther selber sagt:


Wird Greiffenberg was stolz und wächst sein Mut zu sehr,
So sei eS ihm "erziehn, denn jetzo heißes nicht mehr:
Die kleinst' und niedrigste der Stadt im Vaterlande,
Ans ihr kommt jetzt ein Haupt, das an dem Pleißenstrande
Die Gegend der Geburt mit sich zugleich erhöht,
Solang' ein Zug von ihm in Tagebüchern steht.

Ganz genau so verhielt es sich zwar nicht, aber viel fehlt daran nicht.
Riemer in seinen Leipziger Annalen, die sich handschriftlich im Leipziger Nats-
archiv befinden, berichtet (Bd. II, S. 706): "Den 8. Nov. 1748 starb
abends um 8 Uhr der geheimbde Kriegsrath und Bürgemeister Hr. Joh. Gott¬
fried Lange, gewesener Vorsteher der Kirche zu Se. Thomae, nachdem er sein
Leben gebracht auf 76 Jahr 9 Monat. Dieser hochverdiente Mann ist den
7. April 1672 zu Schwerta, nicht weit von Marcklissa in der Oberlausitz ge¬
boren worden, allwo sein Vater N. Caspar Lange Prediger gewesen."
Schwerta liegt nun höchstens eine Stunde von Greiffenberg entfernt.

Dazu kam ein zweiter Berührungspunkt. Lange, wie Meute, liebte die
schonen Künste, vorzüglich die Dichtkunst. Er hatte in seiner Jugendzeit sich
selbst in Übersetzungen versucht, als er in Begleitung des Grafen von Wied
auf der Ritterakademie in Wolfenbüttel weilte. (Vgl. Jvchers Gelehrtenlexikon.)
Damals hatte er den Cid des Corneille so musterhaft ins Deutsche übertragen,
daß Gottsched davon entzückt war und ihn 1742 in den ersten Band seiner
deutschen Schaubühne aufnahm, allerdings ohne Langes Namen zu nennen.
Die erklärenden Worte Gottscheds in der Vorrede (Seite 16) werfen ein
so schönes Licht auf Langes Tüchtigkeit, daß ich mir nicht versagen kann, sie
hier zum Vorteil des Gesamtbildes herzusetzen. "Was die deutsche Übersetzung
des Cid anlangt, so haben wir dieselbe einem vornehmen Manne zu danken,
der sich durch viel wichtigere Verdienste, als die Poesie geben kann, zu den
ansehnlichsten Ämtern emporgeschwungen hat. Er hat dieselbe bereits vor
42 Jahren*) und also in seiner Jugend verfertiget, als er mit einem jungen
Grafen, den er als Hofmeister geführet, am Braunschweigischen Hofe gelebet:
welchen damals der durchlauchtigste Herzog Anton Ulrich zu einer Residenz
der deutschen Muse" gemacht. Eben dieses durchlauchtigsten Herzogs Ver¬
langen und Befehl munterte diesen geschickten Dichter auf, sich an die Über¬
setzung dieses Trauerspiels zu machen; und der Beyfall eines so erleuchteten
Hofes, hat ihm die darauf gewandte Mühe reichlich vergolten. Ich habe mirs
also für eine Pflicht geschätzet, diese wohlgeratene Übersetzung, die gleich da-



*) Die erste Auflage erschien 1699.
Grenzboten III 189010
Christian Günther in Leipzig

Auch die Fäden, die den jungen Dichter an den Bürgermeister Lange
knüpfen, lassen sich aufdecken, sie weisen nach Schlesien, beider Männer gemein¬
samer Heimat. Günther selber sagt:


Wird Greiffenberg was stolz und wächst sein Mut zu sehr,
So sei eS ihm »erziehn, denn jetzo heißes nicht mehr:
Die kleinst' und niedrigste der Stadt im Vaterlande,
Ans ihr kommt jetzt ein Haupt, das an dem Pleißenstrande
Die Gegend der Geburt mit sich zugleich erhöht,
Solang' ein Zug von ihm in Tagebüchern steht.

Ganz genau so verhielt es sich zwar nicht, aber viel fehlt daran nicht.
Riemer in seinen Leipziger Annalen, die sich handschriftlich im Leipziger Nats-
archiv befinden, berichtet (Bd. II, S. 706): „Den 8. Nov. 1748 starb
abends um 8 Uhr der geheimbde Kriegsrath und Bürgemeister Hr. Joh. Gott¬
fried Lange, gewesener Vorsteher der Kirche zu Se. Thomae, nachdem er sein
Leben gebracht auf 76 Jahr 9 Monat. Dieser hochverdiente Mann ist den
7. April 1672 zu Schwerta, nicht weit von Marcklissa in der Oberlausitz ge¬
boren worden, allwo sein Vater N. Caspar Lange Prediger gewesen."
Schwerta liegt nun höchstens eine Stunde von Greiffenberg entfernt.

Dazu kam ein zweiter Berührungspunkt. Lange, wie Meute, liebte die
schonen Künste, vorzüglich die Dichtkunst. Er hatte in seiner Jugendzeit sich
selbst in Übersetzungen versucht, als er in Begleitung des Grafen von Wied
auf der Ritterakademie in Wolfenbüttel weilte. (Vgl. Jvchers Gelehrtenlexikon.)
Damals hatte er den Cid des Corneille so musterhaft ins Deutsche übertragen,
daß Gottsched davon entzückt war und ihn 1742 in den ersten Band seiner
deutschen Schaubühne aufnahm, allerdings ohne Langes Namen zu nennen.
Die erklärenden Worte Gottscheds in der Vorrede (Seite 16) werfen ein
so schönes Licht auf Langes Tüchtigkeit, daß ich mir nicht versagen kann, sie
hier zum Vorteil des Gesamtbildes herzusetzen. „Was die deutsche Übersetzung
des Cid anlangt, so haben wir dieselbe einem vornehmen Manne zu danken,
der sich durch viel wichtigere Verdienste, als die Poesie geben kann, zu den
ansehnlichsten Ämtern emporgeschwungen hat. Er hat dieselbe bereits vor
42 Jahren*) und also in seiner Jugend verfertiget, als er mit einem jungen
Grafen, den er als Hofmeister geführet, am Braunschweigischen Hofe gelebet:
welchen damals der durchlauchtigste Herzog Anton Ulrich zu einer Residenz
der deutschen Muse» gemacht. Eben dieses durchlauchtigsten Herzogs Ver¬
langen und Befehl munterte diesen geschickten Dichter auf, sich an die Über¬
setzung dieses Trauerspiels zu machen; und der Beyfall eines so erleuchteten
Hofes, hat ihm die darauf gewandte Mühe reichlich vergolten. Ich habe mirs
also für eine Pflicht geschätzet, diese wohlgeratene Übersetzung, die gleich da-



*) Die erste Auflage erschien 1699.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/81>, abgerufen am 25.07.2024.