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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Frühlingsbilder

sie der treuen Bewahrung historischer Denkmale ihr Lebensbehagen und ihre
Wünsche völlig unterordneten. Die Italiener dürfen sich sogar in diesem
Betracht vor andern Völkern großer Opferwilligkeit, strenger Unterordnung
persönlicher Wünsche und Neigungen rühmen; trotzdem haben natürlich fast in
allen Bauten, die von der Renaissanceperiode bis auf den heutigen Tag be¬
wohnt und benutzt geblieben sind, mannichfache Veränderungen und unerläßliche
Restaurationen stattgefunden. Aber mit und nach allen diesen Veränderungen
unterscheiden sich die jederzeit im Gebrauch gebliebenen Prachthäuser doch vor¬
teilhaft von denen, die man ganz oder teilweise der lautlosen allmählichen Zer¬
störung durch die Zeit überlassen hat. Der echte Archäolog, der in dem
mehrerwähnten "Lied vom Forestiere" beschuldigt wird, auch den Vatikan
lieber in Trümmern als durch spätere Ein- und Anbauten entstellt zu sehen,
mag die zerbröckelnder Paläste, die Gärten, die nach Eichendorff "in däm¬
mernden Lauben verwildern," den erhaltenen und bewohnten Stätten vorziehen,
der genießende Reisende merkt bald, daß der Gesamteindruck der ewigen Stadt
darauf beruht, daß sie nicht völlig aus Ruinen besteht.

Einen tief melancholischen Eindruck erweckt der Vergleich vergangener
Herrlichkeit und gegenwärtigen Verfalls, vor allem in der vor der Porta Por¬
tes? liegenden Mcigliana, dem vielberühmten Jagd- und Lustschloß der Päpste
der Hochrenaissance. Zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts errichtet, scheint
das Tenimento Magliano bereits am Ende des sechzehnten Jahrhunderts
wieder aufgegeben worden zu sein, die Landplage der römischen Campagna,
die Malaria, verwandelte die schöne Villa mit ihren Gärten in eine der vielen
verlassenen Ansiedelungen, die sich in der nächsten Umgebung Roms finden.
Von der ganzen Herrlichkeit sind nur schattige Bäume und Mauerreste steheu
geblieben, von denen aus man weit in die westliche und südliche Campagna
mit ihren grünen Flächen, ihren braunen Sümpfen, ihren welligen Hügeln und
vereinzelten Baumgruppen, ihren Capaunen und malerischen Trümmern hinein¬
blickt. Wie viel tausendmal sind alle diese Einzelheiten beschrieben und gemalt
worden, aber wie frisch und neu wirken sie im unmittelbaren Genuß wieder,
und wie gut lernt man an Orten wie der Magliana die Stimmung derer ver¬
stehen, die sich in dieser wundersamen Halbwüste mit ihren Augen gleichsam
festgesogen haben und nichts Besseres wissen, als die wechselnden Spiele des
Lichts und den Farbenzauber über dieser in ihrer Art und namentlich in der
Verbindung mit einer großen Hauptstadt einzigen Landschaft! Es giebt
Menschen in Rom -- meist Ausländer, aber auch einige Italiener --, die so
leidenschaftlich an der Eigenart der Campagna hängen, daß sie nur mit Sorge
und Verdruß die Versuche betrachten, das ungeheure malerische Terrain seines
althergebrachten Charakters hie und da zu entkleiden, es besser nutzbar zu machen.
Gegen die im Augenblick vielbeliebte Anpflanzung von Euknlhptusbüumen in
den sumpfigen Niederungen haben sie am Ende weniger einzuwenden, die ge-


Römische Frühlingsbilder

sie der treuen Bewahrung historischer Denkmale ihr Lebensbehagen und ihre
Wünsche völlig unterordneten. Die Italiener dürfen sich sogar in diesem
Betracht vor andern Völkern großer Opferwilligkeit, strenger Unterordnung
persönlicher Wünsche und Neigungen rühmen; trotzdem haben natürlich fast in
allen Bauten, die von der Renaissanceperiode bis auf den heutigen Tag be¬
wohnt und benutzt geblieben sind, mannichfache Veränderungen und unerläßliche
Restaurationen stattgefunden. Aber mit und nach allen diesen Veränderungen
unterscheiden sich die jederzeit im Gebrauch gebliebenen Prachthäuser doch vor¬
teilhaft von denen, die man ganz oder teilweise der lautlosen allmählichen Zer¬
störung durch die Zeit überlassen hat. Der echte Archäolog, der in dem
mehrerwähnten „Lied vom Forestiere" beschuldigt wird, auch den Vatikan
lieber in Trümmern als durch spätere Ein- und Anbauten entstellt zu sehen,
mag die zerbröckelnder Paläste, die Gärten, die nach Eichendorff „in däm¬
mernden Lauben verwildern," den erhaltenen und bewohnten Stätten vorziehen,
der genießende Reisende merkt bald, daß der Gesamteindruck der ewigen Stadt
darauf beruht, daß sie nicht völlig aus Ruinen besteht.

Einen tief melancholischen Eindruck erweckt der Vergleich vergangener
Herrlichkeit und gegenwärtigen Verfalls, vor allem in der vor der Porta Por¬
tes? liegenden Mcigliana, dem vielberühmten Jagd- und Lustschloß der Päpste
der Hochrenaissance. Zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts errichtet, scheint
das Tenimento Magliano bereits am Ende des sechzehnten Jahrhunderts
wieder aufgegeben worden zu sein, die Landplage der römischen Campagna,
die Malaria, verwandelte die schöne Villa mit ihren Gärten in eine der vielen
verlassenen Ansiedelungen, die sich in der nächsten Umgebung Roms finden.
Von der ganzen Herrlichkeit sind nur schattige Bäume und Mauerreste steheu
geblieben, von denen aus man weit in die westliche und südliche Campagna
mit ihren grünen Flächen, ihren braunen Sümpfen, ihren welligen Hügeln und
vereinzelten Baumgruppen, ihren Capaunen und malerischen Trümmern hinein¬
blickt. Wie viel tausendmal sind alle diese Einzelheiten beschrieben und gemalt
worden, aber wie frisch und neu wirken sie im unmittelbaren Genuß wieder,
und wie gut lernt man an Orten wie der Magliana die Stimmung derer ver¬
stehen, die sich in dieser wundersamen Halbwüste mit ihren Augen gleichsam
festgesogen haben und nichts Besseres wissen, als die wechselnden Spiele des
Lichts und den Farbenzauber über dieser in ihrer Art und namentlich in der
Verbindung mit einer großen Hauptstadt einzigen Landschaft! Es giebt
Menschen in Rom — meist Ausländer, aber auch einige Italiener —, die so
leidenschaftlich an der Eigenart der Campagna hängen, daß sie nur mit Sorge
und Verdruß die Versuche betrachten, das ungeheure malerische Terrain seines
althergebrachten Charakters hie und da zu entkleiden, es besser nutzbar zu machen.
Gegen die im Augenblick vielbeliebte Anpflanzung von Euknlhptusbüumen in
den sumpfigen Niederungen haben sie am Ende weniger einzuwenden, die ge-


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[0571] Römische Frühlingsbilder sie der treuen Bewahrung historischer Denkmale ihr Lebensbehagen und ihre Wünsche völlig unterordneten. Die Italiener dürfen sich sogar in diesem Betracht vor andern Völkern großer Opferwilligkeit, strenger Unterordnung persönlicher Wünsche und Neigungen rühmen; trotzdem haben natürlich fast in allen Bauten, die von der Renaissanceperiode bis auf den heutigen Tag be¬ wohnt und benutzt geblieben sind, mannichfache Veränderungen und unerläßliche Restaurationen stattgefunden. Aber mit und nach allen diesen Veränderungen unterscheiden sich die jederzeit im Gebrauch gebliebenen Prachthäuser doch vor¬ teilhaft von denen, die man ganz oder teilweise der lautlosen allmählichen Zer¬ störung durch die Zeit überlassen hat. Der echte Archäolog, der in dem mehrerwähnten „Lied vom Forestiere" beschuldigt wird, auch den Vatikan lieber in Trümmern als durch spätere Ein- und Anbauten entstellt zu sehen, mag die zerbröckelnder Paläste, die Gärten, die nach Eichendorff „in däm¬ mernden Lauben verwildern," den erhaltenen und bewohnten Stätten vorziehen, der genießende Reisende merkt bald, daß der Gesamteindruck der ewigen Stadt darauf beruht, daß sie nicht völlig aus Ruinen besteht. Einen tief melancholischen Eindruck erweckt der Vergleich vergangener Herrlichkeit und gegenwärtigen Verfalls, vor allem in der vor der Porta Por¬ tes? liegenden Mcigliana, dem vielberühmten Jagd- und Lustschloß der Päpste der Hochrenaissance. Zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts errichtet, scheint das Tenimento Magliano bereits am Ende des sechzehnten Jahrhunderts wieder aufgegeben worden zu sein, die Landplage der römischen Campagna, die Malaria, verwandelte die schöne Villa mit ihren Gärten in eine der vielen verlassenen Ansiedelungen, die sich in der nächsten Umgebung Roms finden. Von der ganzen Herrlichkeit sind nur schattige Bäume und Mauerreste steheu geblieben, von denen aus man weit in die westliche und südliche Campagna mit ihren grünen Flächen, ihren braunen Sümpfen, ihren welligen Hügeln und vereinzelten Baumgruppen, ihren Capaunen und malerischen Trümmern hinein¬ blickt. Wie viel tausendmal sind alle diese Einzelheiten beschrieben und gemalt worden, aber wie frisch und neu wirken sie im unmittelbaren Genuß wieder, und wie gut lernt man an Orten wie der Magliana die Stimmung derer ver¬ stehen, die sich in dieser wundersamen Halbwüste mit ihren Augen gleichsam festgesogen haben und nichts Besseres wissen, als die wechselnden Spiele des Lichts und den Farbenzauber über dieser in ihrer Art und namentlich in der Verbindung mit einer großen Hauptstadt einzigen Landschaft! Es giebt Menschen in Rom — meist Ausländer, aber auch einige Italiener —, die so leidenschaftlich an der Eigenart der Campagna hängen, daß sie nur mit Sorge und Verdruß die Versuche betrachten, das ungeheure malerische Terrain seines althergebrachten Charakters hie und da zu entkleiden, es besser nutzbar zu machen. Gegen die im Augenblick vielbeliebte Anpflanzung von Euknlhptusbüumen in den sumpfigen Niederungen haben sie am Ende weniger einzuwenden, die ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/571>, abgerufen am 29.06.2024.