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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Erweiterung der Erbschaftssteuer

In dieser Darlegung liegt zugleich die Kritik des öfter gehörten Aus-
spruchs, man müsse die Erbschaftssteuer einführen als Ersatz dafür, daß es so
schwer sei, mit der Einkommensteuer dem wirklichen Vermögen beizukommen.
Wird der Staat bei der Einkommensteuer getäuscht, so wird er bei der Erb¬
schaftssteuer, die er von den nächsten Angehörigen fordert, erst recht getäuscht
werden.

Wir würden vielleicht Bedenken tragen, über alle diese Dinge ein so ent-
schiednes Urteil auszusprechen, wenn wir nicht bereits ein gewisses Maß von
Erfahrung für uns hätten. Während Kinder und Eltern niemals in Preußen
der Erbschaftssteuer unterworfen waren, hatte man dagegen früher Ehegatten
mit dieser Steuer, allerdings nur in dem Betrage von einem Prozent, belegt.
Dieses Recht wurde im Jahre 18K7 auch auf die neuen Provinzen übertragen
(wo bis dahin zum Teil gar keine Erbschaftssteuer bestanden hatte). Dort
aber machte sich diese Steuer in ihrer Richtung ans Ehegatten überaus
schmerzlich fühlbar. Die königliche Regierung entschloß sich daher schon im
Jahre 1872, sie für das ganze Land aufzugeben. Die Motive des damals
dem Landtage vorgelegten, dann auch am 30. Mai 1873 erlassenen Gesetzes
bezeugten die unendlichen Schwierigkeiten, die die Anwendung dieser Steuer
bei der großen Verschiedenheit der bestehenden ehelichen Güterrechte gemacht
habe. "Das Bestreben, behufs Milderung der offenbaren Ungleichheiten in
der Besteuerung besondre Grundsätze über den Umfang dessen, was dein über¬
lebenden Ehegatten als erbfchaftlicher Erwerb anzurechnen sei, festzusetzen, hat
keinen Erfolg gehabt und hätte ihn nur bei rücksichtsloser Nichtbeachtung der
lokalen Rechte und der gerade in diesem Punkte lebendigen Rechtsauffassung
der Bevölkerung haben können. Einen derartigen .Kampf rein fiskalischer
Grundsätze mit dein bürgerlichen Rechte in einer so wichtigen Materie einzu¬
gehen, erscheint schon im Hinblick auf die sich stets erneuernden lebhaften Be¬
schwerden nicht ratsam, selbst wenn höhere Rücksichten dazu antreiben sollten.
Dazu kommt, daß gerade die Feststellung der Steuer von Ehegatten häusig
besondre Schwierigkeiten thatsächlicher und rechtlicher Natur darbietet, vor¬
nehmlich aber, daß sie öfters vermöge des lediglich der Steuerberechnung wegen
eintretenden Zwanges zur Klarstellung und Darlegung der ehelichen Vermögens-
verhältnisse in hohem Grade lästig fällt, ja sogar zu weitern Nachteilen,
Zwistigkeiten und Prozessen unter den Interessenten u. s. w. Veranlassung giebt."
So lautete das Zeugnis, das die königliche Regierung selbst der damals be¬
stehenden Steuer ausstellte. Man kann mit einem Worte sagen: Die Be¬
steuerung des überlebenden Ehegatten hatte sich als unerträglich erwiesen.
Wenn man um dies alles bereits im Jahre 1872 klar vor Augen gehabt hat,
wie kann man da im Jahre 1890 doch wieder auf diese widerwärtige Steuer
zurückgehen und noch durch Ausdehnung derselben aus Kinder und Eltern ihre
Gehässigkeit verdreifachen? Und dabei ist noch in der obigen Darstellung ein


Die Erweiterung der Erbschaftssteuer

In dieser Darlegung liegt zugleich die Kritik des öfter gehörten Aus-
spruchs, man müsse die Erbschaftssteuer einführen als Ersatz dafür, daß es so
schwer sei, mit der Einkommensteuer dem wirklichen Vermögen beizukommen.
Wird der Staat bei der Einkommensteuer getäuscht, so wird er bei der Erb¬
schaftssteuer, die er von den nächsten Angehörigen fordert, erst recht getäuscht
werden.

Wir würden vielleicht Bedenken tragen, über alle diese Dinge ein so ent-
schiednes Urteil auszusprechen, wenn wir nicht bereits ein gewisses Maß von
Erfahrung für uns hätten. Während Kinder und Eltern niemals in Preußen
der Erbschaftssteuer unterworfen waren, hatte man dagegen früher Ehegatten
mit dieser Steuer, allerdings nur in dem Betrage von einem Prozent, belegt.
Dieses Recht wurde im Jahre 18K7 auch auf die neuen Provinzen übertragen
(wo bis dahin zum Teil gar keine Erbschaftssteuer bestanden hatte). Dort
aber machte sich diese Steuer in ihrer Richtung ans Ehegatten überaus
schmerzlich fühlbar. Die königliche Regierung entschloß sich daher schon im
Jahre 1872, sie für das ganze Land aufzugeben. Die Motive des damals
dem Landtage vorgelegten, dann auch am 30. Mai 1873 erlassenen Gesetzes
bezeugten die unendlichen Schwierigkeiten, die die Anwendung dieser Steuer
bei der großen Verschiedenheit der bestehenden ehelichen Güterrechte gemacht
habe. „Das Bestreben, behufs Milderung der offenbaren Ungleichheiten in
der Besteuerung besondre Grundsätze über den Umfang dessen, was dein über¬
lebenden Ehegatten als erbfchaftlicher Erwerb anzurechnen sei, festzusetzen, hat
keinen Erfolg gehabt und hätte ihn nur bei rücksichtsloser Nichtbeachtung der
lokalen Rechte und der gerade in diesem Punkte lebendigen Rechtsauffassung
der Bevölkerung haben können. Einen derartigen .Kampf rein fiskalischer
Grundsätze mit dein bürgerlichen Rechte in einer so wichtigen Materie einzu¬
gehen, erscheint schon im Hinblick auf die sich stets erneuernden lebhaften Be¬
schwerden nicht ratsam, selbst wenn höhere Rücksichten dazu antreiben sollten.
Dazu kommt, daß gerade die Feststellung der Steuer von Ehegatten häusig
besondre Schwierigkeiten thatsächlicher und rechtlicher Natur darbietet, vor¬
nehmlich aber, daß sie öfters vermöge des lediglich der Steuerberechnung wegen
eintretenden Zwanges zur Klarstellung und Darlegung der ehelichen Vermögens-
verhältnisse in hohem Grade lästig fällt, ja sogar zu weitern Nachteilen,
Zwistigkeiten und Prozessen unter den Interessenten u. s. w. Veranlassung giebt."
So lautete das Zeugnis, das die königliche Regierung selbst der damals be¬
stehenden Steuer ausstellte. Man kann mit einem Worte sagen: Die Be¬
steuerung des überlebenden Ehegatten hatte sich als unerträglich erwiesen.
Wenn man um dies alles bereits im Jahre 1872 klar vor Augen gehabt hat,
wie kann man da im Jahre 1890 doch wieder auf diese widerwärtige Steuer
zurückgehen und noch durch Ausdehnung derselben aus Kinder und Eltern ihre
Gehässigkeit verdreifachen? Und dabei ist noch in der obigen Darstellung ein


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[0493] Die Erweiterung der Erbschaftssteuer In dieser Darlegung liegt zugleich die Kritik des öfter gehörten Aus- spruchs, man müsse die Erbschaftssteuer einführen als Ersatz dafür, daß es so schwer sei, mit der Einkommensteuer dem wirklichen Vermögen beizukommen. Wird der Staat bei der Einkommensteuer getäuscht, so wird er bei der Erb¬ schaftssteuer, die er von den nächsten Angehörigen fordert, erst recht getäuscht werden. Wir würden vielleicht Bedenken tragen, über alle diese Dinge ein so ent- schiednes Urteil auszusprechen, wenn wir nicht bereits ein gewisses Maß von Erfahrung für uns hätten. Während Kinder und Eltern niemals in Preußen der Erbschaftssteuer unterworfen waren, hatte man dagegen früher Ehegatten mit dieser Steuer, allerdings nur in dem Betrage von einem Prozent, belegt. Dieses Recht wurde im Jahre 18K7 auch auf die neuen Provinzen übertragen (wo bis dahin zum Teil gar keine Erbschaftssteuer bestanden hatte). Dort aber machte sich diese Steuer in ihrer Richtung ans Ehegatten überaus schmerzlich fühlbar. Die königliche Regierung entschloß sich daher schon im Jahre 1872, sie für das ganze Land aufzugeben. Die Motive des damals dem Landtage vorgelegten, dann auch am 30. Mai 1873 erlassenen Gesetzes bezeugten die unendlichen Schwierigkeiten, die die Anwendung dieser Steuer bei der großen Verschiedenheit der bestehenden ehelichen Güterrechte gemacht habe. „Das Bestreben, behufs Milderung der offenbaren Ungleichheiten in der Besteuerung besondre Grundsätze über den Umfang dessen, was dein über¬ lebenden Ehegatten als erbfchaftlicher Erwerb anzurechnen sei, festzusetzen, hat keinen Erfolg gehabt und hätte ihn nur bei rücksichtsloser Nichtbeachtung der lokalen Rechte und der gerade in diesem Punkte lebendigen Rechtsauffassung der Bevölkerung haben können. Einen derartigen .Kampf rein fiskalischer Grundsätze mit dein bürgerlichen Rechte in einer so wichtigen Materie einzu¬ gehen, erscheint schon im Hinblick auf die sich stets erneuernden lebhaften Be¬ schwerden nicht ratsam, selbst wenn höhere Rücksichten dazu antreiben sollten. Dazu kommt, daß gerade die Feststellung der Steuer von Ehegatten häusig besondre Schwierigkeiten thatsächlicher und rechtlicher Natur darbietet, vor¬ nehmlich aber, daß sie öfters vermöge des lediglich der Steuerberechnung wegen eintretenden Zwanges zur Klarstellung und Darlegung der ehelichen Vermögens- verhältnisse in hohem Grade lästig fällt, ja sogar zu weitern Nachteilen, Zwistigkeiten und Prozessen unter den Interessenten u. s. w. Veranlassung giebt." So lautete das Zeugnis, das die königliche Regierung selbst der damals be¬ stehenden Steuer ausstellte. Man kann mit einem Worte sagen: Die Be¬ steuerung des überlebenden Ehegatten hatte sich als unerträglich erwiesen. Wenn man um dies alles bereits im Jahre 1872 klar vor Augen gehabt hat, wie kann man da im Jahre 1890 doch wieder auf diese widerwärtige Steuer zurückgehen und noch durch Ausdehnung derselben aus Kinder und Eltern ihre Gehässigkeit verdreifachen? Und dabei ist noch in der obigen Darstellung ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/493>, abgerufen am 29.06.2024.