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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Erweiterung der Erbschaftssteuer

Privatinteressen gegenüber auch dem öffentlichen Interesse jede gebührende
Berücksichtigung angedeihen lassen möchten. Dagegen sind wir keine Freunde
der Erbschaftssteuer, die auf die Erbschaft der nächsten Angehörigen des Erb¬
lassers, der Kinder, Eltern und Ehegatten, gelegt werden soll. Wenn die Gründe,
die wir für unsre Ansicht hier geltend machen, zum Teil solche sind, die gegen
die Erbschaftssteuer überhaupt geltend gemacht werden können, so wird es doch
gestattet sein, sie in Verbindung mit noch weitern Gründen anzuführen, und
zwar umsomehr, als sie bei der Erbschaft der nächsten Angehörigen noch schwerer,
als in andern Fällen, ins Gewicht fallen.

Wenn man dem sozialdemokratischen Gedanken folgt, so hat die Familie
-- wir verstehen diesen Begriff im engern Sinne, wo sie sich auf das Ver¬
hältnis von Ehegatten, Eltern und Kindern beschränkt -- im öffentlichen
Leben keine Berechtigung mehr. Die Ehe ist nur eine nach und auf Belieben
eingegangene Geschlechtsverbindung. Die Kinder gehen eigentlich die Eltern
nichts mehr an; vielmehr hat der Staat, der sie den Eltern wegnimmt, die
Aufgabe, sie auf seine Kosten, aber auch "ach seinem Belieben erziehen zu
lassen. Sittliche Bande, die die Familie zusammenhielten, werden nicht mehr
anerkannt. Auf diesem Wege kann man allerdings dahin gelangen, zu sagen:
Ein auf Verwandtschaft gegründetes Recht der Veerbnng giebt es nicht mehr.
Vielmehr muß alles, was der Einzelne bei seinen Lebzeiten aus der Gemein¬
schaft heraus erworben hat, mit seinem Tode auch wieder in die Gemeinschaft
zurückfließen, also an den Staat fallen. Dieser Ansicht steht aber eine, glück¬
licherweise noch tief im Bewußtsein unsers Volkes lebendige Anschauung gegen¬
über, die in der Familie eine durch die Natur gegebene lebendige Einheit er¬
blickt, eine Einheit, die dnrch keine menschliche Willkür aus einander gerissen
werden kann. Die rechten Ehegatten sühlen in der engen Lebensgemeinschaft,
die sie eingegangen haben, sich nur als eins. In ihren Kindern aber -- das
ist ein Gefühl von Millionen -- leben die Eltern, mich wenn sie sterben, das
irdische Leben fort. Deshalb wird aber auch, wenn ein Glied dieser natür¬
lichen Einheit stirbt, der dadurch herbeigeführte Vermögeusübergcmg (der ja
auch uach deu bestehenden Rechten, zum Teil wenigstens, den Familiengliedern
gar nicht entzogen werden kann) nicht als ein gemachter Gewinn empfunden,
sondern die überlebenden Familienglieder treten nnr nach bestimmten Regeln
in die Ausübung der Rechte ein, die ihnen in gewissem Sinne schon bisher
zustanden. Dieser Auffassung aber widerspricht es, wenn uun der Staat sich
dazwischen drängt und den Familiengliedern, die ohnehin in der großen Mehr¬
zahl der Fälle durch den eingetretenen Tod schmerzlich berührt sein werden,
zuruft: "Ihr habt hier einen Gewinn gemacht; davon gebt nun erst einmal
dem Staate seinen Teil ab." Es ist das ein herzloses Dazwischenfahren.
Man wird vielleicht sagen, daß dies eine etwas sentimentale Auffassung der
Sache sei. Wir halten es nicht dafür. Der Staat hat allen Grund, dieses


Die Erweiterung der Erbschaftssteuer

Privatinteressen gegenüber auch dem öffentlichen Interesse jede gebührende
Berücksichtigung angedeihen lassen möchten. Dagegen sind wir keine Freunde
der Erbschaftssteuer, die auf die Erbschaft der nächsten Angehörigen des Erb¬
lassers, der Kinder, Eltern und Ehegatten, gelegt werden soll. Wenn die Gründe,
die wir für unsre Ansicht hier geltend machen, zum Teil solche sind, die gegen
die Erbschaftssteuer überhaupt geltend gemacht werden können, so wird es doch
gestattet sein, sie in Verbindung mit noch weitern Gründen anzuführen, und
zwar umsomehr, als sie bei der Erbschaft der nächsten Angehörigen noch schwerer,
als in andern Fällen, ins Gewicht fallen.

Wenn man dem sozialdemokratischen Gedanken folgt, so hat die Familie
— wir verstehen diesen Begriff im engern Sinne, wo sie sich auf das Ver¬
hältnis von Ehegatten, Eltern und Kindern beschränkt — im öffentlichen
Leben keine Berechtigung mehr. Die Ehe ist nur eine nach und auf Belieben
eingegangene Geschlechtsverbindung. Die Kinder gehen eigentlich die Eltern
nichts mehr an; vielmehr hat der Staat, der sie den Eltern wegnimmt, die
Aufgabe, sie auf seine Kosten, aber auch »ach seinem Belieben erziehen zu
lassen. Sittliche Bande, die die Familie zusammenhielten, werden nicht mehr
anerkannt. Auf diesem Wege kann man allerdings dahin gelangen, zu sagen:
Ein auf Verwandtschaft gegründetes Recht der Veerbnng giebt es nicht mehr.
Vielmehr muß alles, was der Einzelne bei seinen Lebzeiten aus der Gemein¬
schaft heraus erworben hat, mit seinem Tode auch wieder in die Gemeinschaft
zurückfließen, also an den Staat fallen. Dieser Ansicht steht aber eine, glück¬
licherweise noch tief im Bewußtsein unsers Volkes lebendige Anschauung gegen¬
über, die in der Familie eine durch die Natur gegebene lebendige Einheit er¬
blickt, eine Einheit, die dnrch keine menschliche Willkür aus einander gerissen
werden kann. Die rechten Ehegatten sühlen in der engen Lebensgemeinschaft,
die sie eingegangen haben, sich nur als eins. In ihren Kindern aber — das
ist ein Gefühl von Millionen — leben die Eltern, mich wenn sie sterben, das
irdische Leben fort. Deshalb wird aber auch, wenn ein Glied dieser natür¬
lichen Einheit stirbt, der dadurch herbeigeführte Vermögeusübergcmg (der ja
auch uach deu bestehenden Rechten, zum Teil wenigstens, den Familiengliedern
gar nicht entzogen werden kann) nicht als ein gemachter Gewinn empfunden,
sondern die überlebenden Familienglieder treten nnr nach bestimmten Regeln
in die Ausübung der Rechte ein, die ihnen in gewissem Sinne schon bisher
zustanden. Dieser Auffassung aber widerspricht es, wenn uun der Staat sich
dazwischen drängt und den Familiengliedern, die ohnehin in der großen Mehr¬
zahl der Fälle durch den eingetretenen Tod schmerzlich berührt sein werden,
zuruft: „Ihr habt hier einen Gewinn gemacht; davon gebt nun erst einmal
dem Staate seinen Teil ab." Es ist das ein herzloses Dazwischenfahren.
Man wird vielleicht sagen, daß dies eine etwas sentimentale Auffassung der
Sache sei. Wir halten es nicht dafür. Der Staat hat allen Grund, dieses


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[0490] Die Erweiterung der Erbschaftssteuer Privatinteressen gegenüber auch dem öffentlichen Interesse jede gebührende Berücksichtigung angedeihen lassen möchten. Dagegen sind wir keine Freunde der Erbschaftssteuer, die auf die Erbschaft der nächsten Angehörigen des Erb¬ lassers, der Kinder, Eltern und Ehegatten, gelegt werden soll. Wenn die Gründe, die wir für unsre Ansicht hier geltend machen, zum Teil solche sind, die gegen die Erbschaftssteuer überhaupt geltend gemacht werden können, so wird es doch gestattet sein, sie in Verbindung mit noch weitern Gründen anzuführen, und zwar umsomehr, als sie bei der Erbschaft der nächsten Angehörigen noch schwerer, als in andern Fällen, ins Gewicht fallen. Wenn man dem sozialdemokratischen Gedanken folgt, so hat die Familie — wir verstehen diesen Begriff im engern Sinne, wo sie sich auf das Ver¬ hältnis von Ehegatten, Eltern und Kindern beschränkt — im öffentlichen Leben keine Berechtigung mehr. Die Ehe ist nur eine nach und auf Belieben eingegangene Geschlechtsverbindung. Die Kinder gehen eigentlich die Eltern nichts mehr an; vielmehr hat der Staat, der sie den Eltern wegnimmt, die Aufgabe, sie auf seine Kosten, aber auch »ach seinem Belieben erziehen zu lassen. Sittliche Bande, die die Familie zusammenhielten, werden nicht mehr anerkannt. Auf diesem Wege kann man allerdings dahin gelangen, zu sagen: Ein auf Verwandtschaft gegründetes Recht der Veerbnng giebt es nicht mehr. Vielmehr muß alles, was der Einzelne bei seinen Lebzeiten aus der Gemein¬ schaft heraus erworben hat, mit seinem Tode auch wieder in die Gemeinschaft zurückfließen, also an den Staat fallen. Dieser Ansicht steht aber eine, glück¬ licherweise noch tief im Bewußtsein unsers Volkes lebendige Anschauung gegen¬ über, die in der Familie eine durch die Natur gegebene lebendige Einheit er¬ blickt, eine Einheit, die dnrch keine menschliche Willkür aus einander gerissen werden kann. Die rechten Ehegatten sühlen in der engen Lebensgemeinschaft, die sie eingegangen haben, sich nur als eins. In ihren Kindern aber — das ist ein Gefühl von Millionen — leben die Eltern, mich wenn sie sterben, das irdische Leben fort. Deshalb wird aber auch, wenn ein Glied dieser natür¬ lichen Einheit stirbt, der dadurch herbeigeführte Vermögeusübergcmg (der ja auch uach deu bestehenden Rechten, zum Teil wenigstens, den Familiengliedern gar nicht entzogen werden kann) nicht als ein gemachter Gewinn empfunden, sondern die überlebenden Familienglieder treten nnr nach bestimmten Regeln in die Ausübung der Rechte ein, die ihnen in gewissem Sinne schon bisher zustanden. Dieser Auffassung aber widerspricht es, wenn uun der Staat sich dazwischen drängt und den Familiengliedern, die ohnehin in der großen Mehr¬ zahl der Fälle durch den eingetretenen Tod schmerzlich berührt sein werden, zuruft: „Ihr habt hier einen Gewinn gemacht; davon gebt nun erst einmal dem Staate seinen Teil ab." Es ist das ein herzloses Dazwischenfahren. Man wird vielleicht sagen, daß dies eine etwas sentimentale Auffassung der Sache sei. Wir halten es nicht dafür. Der Staat hat allen Grund, dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/490>, abgerufen am 25.07.2024.