Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Singer eingetreten, aber auch er hat mich nicht befriedigt. Ich sage das mit
Bedauern, denn an ihm habe ich sonst viel Freude. Ich will unerwähnt lassen,
daß, seitdem er hier ist, die Rechte besser von der äußersten Linke" denkt als
früher, weil sie sich sagt: die Sozialdemokraten können doch nicht so gefähr¬
lich sein, wie sie behaupten. Ich bewundere an Herrn Singer vor allem
den Scharfblick. Andre von seiner Art setzen die von den roßtäuschelnden
Ahnen überkommenen Traditionell auf dem Turf fort und äffen auch sonst
den Adel nach, weil sie sich einbilde", von ihm als gleich anerkannt zu
werden, wenn sie ebenso viele Pferde laufen lassen und ebenso schone Karossen
und andres mehr halten. Herr Singer hat die Aussichtslosigkeit solcher An¬
strengungen eingesehen und hat sich mit Entschlossenheit auf einen Boden gestellt,
ans dem er schon durch sein Erscheinen ein gewisses Aufsehen erregen mußte. Der
Erfolg war ihm so sicher, wie dein Citoheu Philippe Egalitv, und gewiß hat
er sich vorgenommen, vorsichtiger als der zu sein. Wenn nun gerade er, der
dnrch sein Verhältnis als "Konfektionär" zu deu Arbeiterinnen schon vor
Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn eine gewisse Berühmtheit erlangt
hatte, für "die berechtigten Wünsche der Frauen" eintrat, so entbehrte das
wieder nicht der Pikanterie. Bringt er aber in Zukunft nicht bessere Beweis¬
gründe vor, so könnte er seineu Genossen doch verdächtig werden. Die Welt¬
geschichte muß er hassen, das begreife ich, denn wer sich mit der einläßt, der
behält nicht die Naivität, auf das geheime Zukunftsbild zu schworen, das
verschleierte Bild, dessen Entschleierung der Abgeordnete Biester zu verlangen
unartig genug war. Doch ist meines Wissens das Studium der französischen
Revolution auch den Sozialdemokraten strenger Observanz gestattet. Warum
rief er nicht die Damen der Halle, die Trikotenseu aus der Schreckenszeit an,
diese leuchtenden Vorbilder für Frauen, die sich an "deu Dingen des öffent¬
lichen Lebens" beteiligen wollen? Warum erinnerte er nicht daran, daß selbst
in der Revolution den Frauen das Wahlrecht verweigert wurde, und zwar
mit denn veralteten Grunde, daß die Natur selbst dein Weibe eine andre Stel¬
lung und andre Aufgaben zugewiesen habe als dem Manne? Er hätte ja
dieser beschränkten, reaktionären Entscheidung die Schuld für deu unerfreulichen
Ausgang der glorreichen Revolution beimessen können. Und wenn er nicht
so weit zurückgreife" wollte: giebt es nicht eine Louise Michel, dies Heldenweib?
Haben nicht bei einzelnen Aufständen in neuester Zeit die Weiber sich im
Werfen mit Steinen mindestens ebenso kräftig und entschieden gezeigt, wie
ihre Müuner?

konsequent, entschieden! muß ich auch Herr" Singer zurufen. Wenn
sogar solche Geister zu wenig Energie entwickeln, dann muß eben der Ungewählte
wieder in die Bresche springen.




Singer eingetreten, aber auch er hat mich nicht befriedigt. Ich sage das mit
Bedauern, denn an ihm habe ich sonst viel Freude. Ich will unerwähnt lassen,
daß, seitdem er hier ist, die Rechte besser von der äußersten Linke» denkt als
früher, weil sie sich sagt: die Sozialdemokraten können doch nicht so gefähr¬
lich sein, wie sie behaupten. Ich bewundere an Herrn Singer vor allem
den Scharfblick. Andre von seiner Art setzen die von den roßtäuschelnden
Ahnen überkommenen Traditionell auf dem Turf fort und äffen auch sonst
den Adel nach, weil sie sich einbilde», von ihm als gleich anerkannt zu
werden, wenn sie ebenso viele Pferde laufen lassen und ebenso schone Karossen
und andres mehr halten. Herr Singer hat die Aussichtslosigkeit solcher An¬
strengungen eingesehen und hat sich mit Entschlossenheit auf einen Boden gestellt,
ans dem er schon durch sein Erscheinen ein gewisses Aufsehen erregen mußte. Der
Erfolg war ihm so sicher, wie dein Citoheu Philippe Egalitv, und gewiß hat
er sich vorgenommen, vorsichtiger als der zu sein. Wenn nun gerade er, der
dnrch sein Verhältnis als „Konfektionär" zu deu Arbeiterinnen schon vor
Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn eine gewisse Berühmtheit erlangt
hatte, für „die berechtigten Wünsche der Frauen" eintrat, so entbehrte das
wieder nicht der Pikanterie. Bringt er aber in Zukunft nicht bessere Beweis¬
gründe vor, so könnte er seineu Genossen doch verdächtig werden. Die Welt¬
geschichte muß er hassen, das begreife ich, denn wer sich mit der einläßt, der
behält nicht die Naivität, auf das geheime Zukunftsbild zu schworen, das
verschleierte Bild, dessen Entschleierung der Abgeordnete Biester zu verlangen
unartig genug war. Doch ist meines Wissens das Studium der französischen
Revolution auch den Sozialdemokraten strenger Observanz gestattet. Warum
rief er nicht die Damen der Halle, die Trikotenseu aus der Schreckenszeit an,
diese leuchtenden Vorbilder für Frauen, die sich an „deu Dingen des öffent¬
lichen Lebens" beteiligen wollen? Warum erinnerte er nicht daran, daß selbst
in der Revolution den Frauen das Wahlrecht verweigert wurde, und zwar
mit denn veralteten Grunde, daß die Natur selbst dein Weibe eine andre Stel¬
lung und andre Aufgaben zugewiesen habe als dem Manne? Er hätte ja
dieser beschränkten, reaktionären Entscheidung die Schuld für deu unerfreulichen
Ausgang der glorreichen Revolution beimessen können. Und wenn er nicht
so weit zurückgreife» wollte: giebt es nicht eine Louise Michel, dies Heldenweib?
Haben nicht bei einzelnen Aufständen in neuester Zeit die Weiber sich im
Werfen mit Steinen mindestens ebenso kräftig und entschieden gezeigt, wie
ihre Müuner?

konsequent, entschieden! muß ich auch Herr» Singer zurufen. Wenn
sogar solche Geister zu wenig Energie entwickeln, dann muß eben der Ungewählte
wieder in die Bresche springen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207985"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_96" prev="#ID_95"> Singer eingetreten, aber auch er hat mich nicht befriedigt. Ich sage das mit<lb/>
Bedauern, denn an ihm habe ich sonst viel Freude. Ich will unerwähnt lassen,<lb/>
daß, seitdem er hier ist, die Rechte besser von der äußersten Linke» denkt als<lb/>
früher, weil sie sich sagt: die Sozialdemokraten können doch nicht so gefähr¬<lb/>
lich sein, wie sie behaupten. Ich bewundere an Herrn Singer vor allem<lb/>
den Scharfblick. Andre von seiner Art setzen die von den roßtäuschelnden<lb/>
Ahnen überkommenen Traditionell auf dem Turf fort und äffen auch sonst<lb/>
den Adel nach, weil sie sich einbilde», von ihm als gleich anerkannt zu<lb/>
werden, wenn sie ebenso viele Pferde laufen lassen und ebenso schone Karossen<lb/>
und andres mehr halten. Herr Singer hat die Aussichtslosigkeit solcher An¬<lb/>
strengungen eingesehen und hat sich mit Entschlossenheit auf einen Boden gestellt,<lb/>
ans dem er schon durch sein Erscheinen ein gewisses Aufsehen erregen mußte. Der<lb/>
Erfolg war ihm so sicher, wie dein Citoheu Philippe Egalitv, und gewiß hat<lb/>
er sich vorgenommen, vorsichtiger als der zu sein. Wenn nun gerade er, der<lb/>
dnrch sein Verhältnis als &#x201E;Konfektionär" zu deu Arbeiterinnen schon vor<lb/>
Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn eine gewisse Berühmtheit erlangt<lb/>
hatte, für &#x201E;die berechtigten Wünsche der Frauen" eintrat, so entbehrte das<lb/>
wieder nicht der Pikanterie. Bringt er aber in Zukunft nicht bessere Beweis¬<lb/>
gründe vor, so könnte er seineu Genossen doch verdächtig werden. Die Welt¬<lb/>
geschichte muß er hassen, das begreife ich, denn wer sich mit der einläßt, der<lb/>
behält nicht die Naivität, auf das geheime Zukunftsbild zu schworen, das<lb/>
verschleierte Bild, dessen Entschleierung der Abgeordnete Biester zu verlangen<lb/>
unartig genug war. Doch ist meines Wissens das Studium der französischen<lb/>
Revolution auch den Sozialdemokraten strenger Observanz gestattet. Warum<lb/>
rief er nicht die Damen der Halle, die Trikotenseu aus der Schreckenszeit an,<lb/>
diese leuchtenden Vorbilder für Frauen, die sich an &#x201E;deu Dingen des öffent¬<lb/>
lichen Lebens" beteiligen wollen? Warum erinnerte er nicht daran, daß selbst<lb/>
in der Revolution den Frauen das Wahlrecht verweigert wurde, und zwar<lb/>
mit denn veralteten Grunde, daß die Natur selbst dein Weibe eine andre Stel¬<lb/>
lung und andre Aufgaben zugewiesen habe als dem Manne? Er hätte ja<lb/>
dieser beschränkten, reaktionären Entscheidung die Schuld für deu unerfreulichen<lb/>
Ausgang der glorreichen Revolution beimessen können. Und wenn er nicht<lb/>
so weit zurückgreife» wollte: giebt es nicht eine Louise Michel, dies Heldenweib?<lb/>
Haben nicht bei einzelnen Aufständen in neuester Zeit die Weiber sich im<lb/>
Werfen mit Steinen mindestens ebenso kräftig und entschieden gezeigt, wie<lb/>
ihre Müuner?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_97"> konsequent, entschieden! muß ich auch Herr» Singer zurufen. Wenn<lb/>
sogar solche Geister zu wenig Energie entwickeln, dann muß eben der Ungewählte<lb/>
wieder in die Bresche springen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] Singer eingetreten, aber auch er hat mich nicht befriedigt. Ich sage das mit Bedauern, denn an ihm habe ich sonst viel Freude. Ich will unerwähnt lassen, daß, seitdem er hier ist, die Rechte besser von der äußersten Linke» denkt als früher, weil sie sich sagt: die Sozialdemokraten können doch nicht so gefähr¬ lich sein, wie sie behaupten. Ich bewundere an Herrn Singer vor allem den Scharfblick. Andre von seiner Art setzen die von den roßtäuschelnden Ahnen überkommenen Traditionell auf dem Turf fort und äffen auch sonst den Adel nach, weil sie sich einbilde», von ihm als gleich anerkannt zu werden, wenn sie ebenso viele Pferde laufen lassen und ebenso schone Karossen und andres mehr halten. Herr Singer hat die Aussichtslosigkeit solcher An¬ strengungen eingesehen und hat sich mit Entschlossenheit auf einen Boden gestellt, ans dem er schon durch sein Erscheinen ein gewisses Aufsehen erregen mußte. Der Erfolg war ihm so sicher, wie dein Citoheu Philippe Egalitv, und gewiß hat er sich vorgenommen, vorsichtiger als der zu sein. Wenn nun gerade er, der dnrch sein Verhältnis als „Konfektionär" zu deu Arbeiterinnen schon vor Beginn seiner parlamentarischen Laufbahn eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte, für „die berechtigten Wünsche der Frauen" eintrat, so entbehrte das wieder nicht der Pikanterie. Bringt er aber in Zukunft nicht bessere Beweis¬ gründe vor, so könnte er seineu Genossen doch verdächtig werden. Die Welt¬ geschichte muß er hassen, das begreife ich, denn wer sich mit der einläßt, der behält nicht die Naivität, auf das geheime Zukunftsbild zu schworen, das verschleierte Bild, dessen Entschleierung der Abgeordnete Biester zu verlangen unartig genug war. Doch ist meines Wissens das Studium der französischen Revolution auch den Sozialdemokraten strenger Observanz gestattet. Warum rief er nicht die Damen der Halle, die Trikotenseu aus der Schreckenszeit an, diese leuchtenden Vorbilder für Frauen, die sich an „deu Dingen des öffent¬ lichen Lebens" beteiligen wollen? Warum erinnerte er nicht daran, daß selbst in der Revolution den Frauen das Wahlrecht verweigert wurde, und zwar mit denn veralteten Grunde, daß die Natur selbst dein Weibe eine andre Stel¬ lung und andre Aufgaben zugewiesen habe als dem Manne? Er hätte ja dieser beschränkten, reaktionären Entscheidung die Schuld für deu unerfreulichen Ausgang der glorreichen Revolution beimessen können. Und wenn er nicht so weit zurückgreife» wollte: giebt es nicht eine Louise Michel, dies Heldenweib? Haben nicht bei einzelnen Aufständen in neuester Zeit die Weiber sich im Werfen mit Steinen mindestens ebenso kräftig und entschieden gezeigt, wie ihre Müuner? konsequent, entschieden! muß ich auch Herr» Singer zurufen. Wenn sogar solche Geister zu wenig Energie entwickeln, dann muß eben der Ungewählte wieder in die Bresche springen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/48
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/48>, abgerufen am 26.06.2024.