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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Ungehaltene Rede eines Z,uchtgewcihlten

später sagte, die Äußerung, dnß das Kapital auswandern könnte, wenn die
Fabrikanten zu sehr belastet würden, sei bereits so ans den Hund gekommen,
daß sie letzthin sogar in Friedrichsruhe gebraucht worden sei. Sehen Sie, Herr
Nickert, so muß man dein Manne kommen, der sich etwas darauf einbildet,
das deutsche Reich neu geschaffen und ein Aierteljahrhnndert lang die euro¬
päische Politik geleitet zu haben. AIs ob das nicht jeder von uns gethan
haben würde, hätte man uns "ur rangelassen! Doch uns hat noch keiner
ein Portefeuille angeboten, weder Herrn Nickert, noch Herrn Auer, und mir
erst recht nicht. Und so gut wie der Abgeordnete Auer konnte Fürst Bismarck
gar nicht regieren, weil er kein Sozialdemokrat ist. Die Sozialdemokraten
sind die einzigen einsichtigen, urteilsfähigen, gerechten, vorurteilsfreien
Menschen; das sagen sie selbst, also muß es wahr sein. In die Gewerbe-
gerichtc, sagen die Herren, müssen so viele als irgend möglich von unsrer
Partei gebracht werden, nicht weil sie etwas von den Sachen verstünden,
sondern weil sie Sozialdemokraten sind. Und einer der hervorragendsten von
ihnen, Herr Grillenberger, gab auch gleich ein Beispiel, wie sachlich sie vor¬
gehen. "Ich würde, wenn gar kein andrer Grund gegen das dreißigste Lebens¬
jahr vorhanden wäre, schon deshalb dagegen stimmen, weil der Abgeordnete
Ackermann dafür ist." Wenn der Verfasser des "Zitateuschatzes" dieses Wort
nicht für die nächste Auflage vvrinerkt, so versteht er sein Geschäft nicht. Es
muß gleich neben die unbekannten, aber gemißbilligten Gründe kommen.

Da ich wieder bei der Altersgrenze angelangt bin, so erlaube ich mir die
Frage an Herrn Nickert: Warum denn fünfundzwanzig Jahre? Weil man
eben in diesem Alter Mitglied des Reichstages werden kaun. Ein schöner
Grund, eine längst überwundene Verfassung! Wie alt war denn Alexander der
Große, als er den Thron bestieg? Noch nicht zwanzig. Mozart kvnzertirte
mit sechs Jahren, und mit achten komponirte er Sonaten. Kinder, die kaum
aus den Windeln sind, tanzen schon ans dem Seile, und das -- ich weiß
nicht, ob einer von den Herren es schon versucht hat -- ist noch etwas
schwieriger, als in einer Streitigkeit zwischen einem Arbeitgeber und einem
Herrn Arbeiter dein letztern Recht geben, weil er ein Sozialdemokrat ist.
Darum fort mit jeder Altersgrenze; wer eine Stimme hat, muß sie auch ab¬
geben können, das ist Menschenrecht, und der Stumme darf durch Zeichen
sprechen, konsequent, Herr Nickert, entschieden!")

Damit ist schon entschieden, daß auch das weibliche Geschlecht das Wahlrecht
erhalten muß, das aktive und das passive, wenigstens alle Mädchen und Franc",
die sich zur arbeitenden Klasse zählen. Für dieses Recht ist der Abgeordnete



*) Zu meiner hohen Befriedigung ist nachträglich wenigstens von sozialdemvkratischcr
Seite durch Citirung Alexanders des Großen die Ehre des Hanfes gerettet worden. Aber die
Priorität bleibt mir, da meine Rede schon früher ungehalten war.
Ungehaltene Rede eines Z,uchtgewcihlten

später sagte, die Äußerung, dnß das Kapital auswandern könnte, wenn die
Fabrikanten zu sehr belastet würden, sei bereits so ans den Hund gekommen,
daß sie letzthin sogar in Friedrichsruhe gebraucht worden sei. Sehen Sie, Herr
Nickert, so muß man dein Manne kommen, der sich etwas darauf einbildet,
das deutsche Reich neu geschaffen und ein Aierteljahrhnndert lang die euro¬
päische Politik geleitet zu haben. AIs ob das nicht jeder von uns gethan
haben würde, hätte man uns »ur rangelassen! Doch uns hat noch keiner
ein Portefeuille angeboten, weder Herrn Nickert, noch Herrn Auer, und mir
erst recht nicht. Und so gut wie der Abgeordnete Auer konnte Fürst Bismarck
gar nicht regieren, weil er kein Sozialdemokrat ist. Die Sozialdemokraten
sind die einzigen einsichtigen, urteilsfähigen, gerechten, vorurteilsfreien
Menschen; das sagen sie selbst, also muß es wahr sein. In die Gewerbe-
gerichtc, sagen die Herren, müssen so viele als irgend möglich von unsrer
Partei gebracht werden, nicht weil sie etwas von den Sachen verstünden,
sondern weil sie Sozialdemokraten sind. Und einer der hervorragendsten von
ihnen, Herr Grillenberger, gab auch gleich ein Beispiel, wie sachlich sie vor¬
gehen. „Ich würde, wenn gar kein andrer Grund gegen das dreißigste Lebens¬
jahr vorhanden wäre, schon deshalb dagegen stimmen, weil der Abgeordnete
Ackermann dafür ist." Wenn der Verfasser des „Zitateuschatzes" dieses Wort
nicht für die nächste Auflage vvrinerkt, so versteht er sein Geschäft nicht. Es
muß gleich neben die unbekannten, aber gemißbilligten Gründe kommen.

Da ich wieder bei der Altersgrenze angelangt bin, so erlaube ich mir die
Frage an Herrn Nickert: Warum denn fünfundzwanzig Jahre? Weil man
eben in diesem Alter Mitglied des Reichstages werden kaun. Ein schöner
Grund, eine längst überwundene Verfassung! Wie alt war denn Alexander der
Große, als er den Thron bestieg? Noch nicht zwanzig. Mozart kvnzertirte
mit sechs Jahren, und mit achten komponirte er Sonaten. Kinder, die kaum
aus den Windeln sind, tanzen schon ans dem Seile, und das — ich weiß
nicht, ob einer von den Herren es schon versucht hat — ist noch etwas
schwieriger, als in einer Streitigkeit zwischen einem Arbeitgeber und einem
Herrn Arbeiter dein letztern Recht geben, weil er ein Sozialdemokrat ist.
Darum fort mit jeder Altersgrenze; wer eine Stimme hat, muß sie auch ab¬
geben können, das ist Menschenrecht, und der Stumme darf durch Zeichen
sprechen, konsequent, Herr Nickert, entschieden!")

Damit ist schon entschieden, daß auch das weibliche Geschlecht das Wahlrecht
erhalten muß, das aktive und das passive, wenigstens alle Mädchen und Franc»,
die sich zur arbeitenden Klasse zählen. Für dieses Recht ist der Abgeordnete



*) Zu meiner hohen Befriedigung ist nachträglich wenigstens von sozialdemvkratischcr
Seite durch Citirung Alexanders des Großen die Ehre des Hanfes gerettet worden. Aber die
Priorität bleibt mir, da meine Rede schon früher ungehalten war.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/47>, abgerufen am 26.06.2024.