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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die hypnotische Suggestion

Meinung sein, und möglicherweise hält Herr Liöbault sogar die Grundsätze
seiner Brüder im seligmachende" Knnstschlaf für falsch und seine eignen allein
für richtig. So werden nun die Anhänger aller Schulen, Sekten und Parteien
drauflos suggeriren. Der stramme Protestant, bei dem sich ein verkappter
Jesuit eingeschlichen hat, wird sich morgen einen geweihten Rosenkranz kaufen,
und Windthorst wird vou Stöcker gezwungen werden, ein Lutherfestspiel zu
schreiben. Unsre Offiziere werden eines schönen Morgens als Sozialdemokratin
und die Sozia ldemvkrateu als Ritter des Könige"ins vou Gottes Gnaden
aufwache". Die geheimsten und polizeiwidrigste" Gedanken von Eltern und
Lehrern werden mit unwiderstehlicher Gewalt die Kinderseelen ergreifen, und
die ganze Welt wird sich in ein Tollhaus verWandel". Wir danken schön!
Die Grundsätze wie die Ansichten werden immer verschieden bleiben, und im
Kampf entgegengesetzter Lehren "ut Glaubeusmeüiungeu wird auch in Zukunft
das Gleichgewicht der Gesellschaft erhalten werden und der Geist der Einzelnen
zur Reife gedeihen müssen. Aber im Lichte des Bewußtseins und der Öffent¬
lichkeit muß dieser Kampf geführt und muß die Jugend zu den Grundsätzen
der Eltern und Lehrer erzogen werden. Die Obrigkeit und das Volk, in dem
ja die Gemäßigten für gewöhnlich überwiegen, müssen die kämpfenden Meinungen,
müssen den Schulunterricht überwachen können, um einzuschreiten, sobald eine
extreme Meinung, irgend ein Fanatismus sich in bedrohlichem Umfange aus¬
breitet. Das fehlte noch, daß wir bewußtlos und gegen unsern Willen durch
tückische Zauberkünste in irgend eine geistige Richtung hineingelockt würden!
Gerade das gehört auch zur Erziehung, daß der junge Mensch, je alter er
wird, desto überlegter zwischen de" dargebotene" Lehren und Grundsätze" wählen
und in einzelnen Füllen der Aufnahme Widerstand leisten kann; denn de"
wichtigste" Teil der Erziehung bildet die Selbsterziehung. Bleiben wir also
schon bei der "Suggestion im Wachen," durch nüchterne Lehre, durch Beweis¬
führung und Überredung; überlassen wir den "medizinisch-hypnotischen Sug¬
gestionsspuk den Müßiggängern, den Sonderlingen und de" Phantasten, und
setzen wir uns entschieden zur Wehr, we"n einzelne Ärzte und Philosophen
diesen Unfug unter der Flagge der Naturwissenschaft ins Krankenzimmer, in
den Gerichtssaal und in die Schule einschmuggeln wollen.




Die hypnotische Suggestion

Meinung sein, und möglicherweise hält Herr Liöbault sogar die Grundsätze
seiner Brüder im seligmachende» Knnstschlaf für falsch und seine eignen allein
für richtig. So werden nun die Anhänger aller Schulen, Sekten und Parteien
drauflos suggeriren. Der stramme Protestant, bei dem sich ein verkappter
Jesuit eingeschlichen hat, wird sich morgen einen geweihten Rosenkranz kaufen,
und Windthorst wird vou Stöcker gezwungen werden, ein Lutherfestspiel zu
schreiben. Unsre Offiziere werden eines schönen Morgens als Sozialdemokratin
und die Sozia ldemvkrateu als Ritter des Könige»ins vou Gottes Gnaden
aufwache». Die geheimsten und polizeiwidrigste» Gedanken von Eltern und
Lehrern werden mit unwiderstehlicher Gewalt die Kinderseelen ergreifen, und
die ganze Welt wird sich in ein Tollhaus verWandel». Wir danken schön!
Die Grundsätze wie die Ansichten werden immer verschieden bleiben, und im
Kampf entgegengesetzter Lehren »ut Glaubeusmeüiungeu wird auch in Zukunft
das Gleichgewicht der Gesellschaft erhalten werden und der Geist der Einzelnen
zur Reife gedeihen müssen. Aber im Lichte des Bewußtseins und der Öffent¬
lichkeit muß dieser Kampf geführt und muß die Jugend zu den Grundsätzen
der Eltern und Lehrer erzogen werden. Die Obrigkeit und das Volk, in dem
ja die Gemäßigten für gewöhnlich überwiegen, müssen die kämpfenden Meinungen,
müssen den Schulunterricht überwachen können, um einzuschreiten, sobald eine
extreme Meinung, irgend ein Fanatismus sich in bedrohlichem Umfange aus¬
breitet. Das fehlte noch, daß wir bewußtlos und gegen unsern Willen durch
tückische Zauberkünste in irgend eine geistige Richtung hineingelockt würden!
Gerade das gehört auch zur Erziehung, daß der junge Mensch, je alter er
wird, desto überlegter zwischen de» dargebotene» Lehren und Grundsätze» wählen
und in einzelnen Füllen der Aufnahme Widerstand leisten kann; denn de»
wichtigste» Teil der Erziehung bildet die Selbsterziehung. Bleiben wir also
schon bei der „Suggestion im Wachen," durch nüchterne Lehre, durch Beweis¬
führung und Überredung; überlassen wir den »medizinisch-hypnotischen Sug¬
gestionsspuk den Müßiggängern, den Sonderlingen und de» Phantasten, und
setzen wir uns entschieden zur Wehr, we»n einzelne Ärzte und Philosophen
diesen Unfug unter der Flagge der Naturwissenschaft ins Krankenzimmer, in
den Gerichtssaal und in die Schule einschmuggeln wollen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/40>, abgerufen am 26.06.2024.