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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die hypnotische Suggestion

dem zwingenden Einflüsse des Willens ihres Geliebten. Selbst wenn in einem
einzelnen Fall ein solcher zwingender Einfluß nachzuweisen wäre, was kaum
möglich sein dürfte, könnte ihn der Richter nicht wohl als Entschuldigungs-
grund gelten lassen, wenn die angeklagte Person sich freiwillig und gern solchen
Einflüssen hingiebt, wie jene Gabriele Bvmpard. Denn es ist eben unsittlich
und unerlaubt, sich freiwillig des Bewußtseins zu berauben und sich entweder
durch Rausch in die Gewalt der eignen blinden Triebe oder durch Narkose
oder Hypnose in die eines andern Menschen zu geben. Vor kurzem wurde in
Berlin ein Zahnarzt verhaftet, der junge Madchen betäubt und ihnen dann
Gewalt angethan hat. Wenn diese Mädchen die Betäubung bestellt haben, fo
sind sie von Mitschuld nicht freizusprechen; denn eine Frauensperson darf sich
von einem fremden Manne nur dann betäuben lassen, wenn ihr eine bekannte
Person als Hüterin ihrer Ehre zur Seite steht. Wenn die heutige Rechtspflege
sonst keine Schmerzen hat, der Suggestivnslehre wegen braucht sie sich keine
Refvrmsorgen zu machen.

Am allerentschiedensten aber müssen Nur das von französischen Ärzten
erhobene und von Herrn von Harlunger befürwortete Ansinnen zurückweise",
daß die Suggestion als Erziehungsmittel verwendet werden solle. Der genannte
Arzt will einem Diener die Kleptomanie eingeflößt und wieder ausgetrieben
haben. Hoffentlich bildet er sich das bloß ein, und der Diener hat ihm, auf
die Schrulle seines Herrn eingehend, nur aus Gefälligkeit einige Zigarren ent¬
wendet, sonst würde der Arzt Strafe verdienen. Mit oder ohne Suggestion
ist es immer leichter, einen Menschen zu verführen, als den lasterhaft gewordenen
zu bessern. Auch Trunksucht will or. vou Harlunger geheilt, ein schläfriges,
faules Dienstmädchen in eine lustige, arbeitstüchtige Person verwandelt haben.
Aller Ehren wert, Wenns wahr ist! Er meint nun, die bisher übliche Erziehung
beruhe ja auch auf Suggestion, auf "suggestiv" im Wachen." Und er sührt
dann folgende Worte des Suggestivnsapostels Lwbanlt an: "Ohne sich davon
Rechenschaft zu geben, eignet man sich moralische und politische Ansichten,
Familien- und Rassenvorurteile um, nimmt man die Vorstellniigen in sich auf,
die die Atmosphäre, in der man lebt, erfüllen. Es giebt soziale und religiöse
Grundsätze, die vor dem Richterstichl des gesunden Menschenverstandes,
vollends vor dem der Vernunft nicht bestehen können, und die man doch bereit¬
willig glaubt; sie haben sich von den Eltern ans die Kinder vererbt, sie sind
Gemeingut der Nation geworden; es ist unmöglich, sie durch Vernunftgründe
zu vernichten; es nützt nichts, daß man ihre Falschheit nachweist." Und da
solle" diese Grundsätze auf hypnotischen Wege nnsgetrieben werde"? Aller¬
liebst! Giebt es etwa eine" als unfehlbar anerkannten Papst in der Welt
-- die Unfehlbarkeit für sich allein nützt noch nichts --, der entscheidet, welche
Grundsätze richtig und z" s"ggerire" sind und welche nicht? beider oder zum
Glück giebt es keinen. Auch die Herren Snggerenten werden verschiedner


Die hypnotische Suggestion

dem zwingenden Einflüsse des Willens ihres Geliebten. Selbst wenn in einem
einzelnen Fall ein solcher zwingender Einfluß nachzuweisen wäre, was kaum
möglich sein dürfte, könnte ihn der Richter nicht wohl als Entschuldigungs-
grund gelten lassen, wenn die angeklagte Person sich freiwillig und gern solchen
Einflüssen hingiebt, wie jene Gabriele Bvmpard. Denn es ist eben unsittlich
und unerlaubt, sich freiwillig des Bewußtseins zu berauben und sich entweder
durch Rausch in die Gewalt der eignen blinden Triebe oder durch Narkose
oder Hypnose in die eines andern Menschen zu geben. Vor kurzem wurde in
Berlin ein Zahnarzt verhaftet, der junge Madchen betäubt und ihnen dann
Gewalt angethan hat. Wenn diese Mädchen die Betäubung bestellt haben, fo
sind sie von Mitschuld nicht freizusprechen; denn eine Frauensperson darf sich
von einem fremden Manne nur dann betäuben lassen, wenn ihr eine bekannte
Person als Hüterin ihrer Ehre zur Seite steht. Wenn die heutige Rechtspflege
sonst keine Schmerzen hat, der Suggestivnslehre wegen braucht sie sich keine
Refvrmsorgen zu machen.

Am allerentschiedensten aber müssen Nur das von französischen Ärzten
erhobene und von Herrn von Harlunger befürwortete Ansinnen zurückweise»,
daß die Suggestion als Erziehungsmittel verwendet werden solle. Der genannte
Arzt will einem Diener die Kleptomanie eingeflößt und wieder ausgetrieben
haben. Hoffentlich bildet er sich das bloß ein, und der Diener hat ihm, auf
die Schrulle seines Herrn eingehend, nur aus Gefälligkeit einige Zigarren ent¬
wendet, sonst würde der Arzt Strafe verdienen. Mit oder ohne Suggestion
ist es immer leichter, einen Menschen zu verführen, als den lasterhaft gewordenen
zu bessern. Auch Trunksucht will or. vou Harlunger geheilt, ein schläfriges,
faules Dienstmädchen in eine lustige, arbeitstüchtige Person verwandelt haben.
Aller Ehren wert, Wenns wahr ist! Er meint nun, die bisher übliche Erziehung
beruhe ja auch auf Suggestion, auf „suggestiv» im Wachen." Und er sührt
dann folgende Worte des Suggestivnsapostels Lwbanlt an: „Ohne sich davon
Rechenschaft zu geben, eignet man sich moralische und politische Ansichten,
Familien- und Rassenvorurteile um, nimmt man die Vorstellniigen in sich auf,
die die Atmosphäre, in der man lebt, erfüllen. Es giebt soziale und religiöse
Grundsätze, die vor dem Richterstichl des gesunden Menschenverstandes,
vollends vor dem der Vernunft nicht bestehen können, und die man doch bereit¬
willig glaubt; sie haben sich von den Eltern ans die Kinder vererbt, sie sind
Gemeingut der Nation geworden; es ist unmöglich, sie durch Vernunftgründe
zu vernichten; es nützt nichts, daß man ihre Falschheit nachweist." Und da
solle» diese Grundsätze auf hypnotischen Wege nnsgetrieben werde»? Aller¬
liebst! Giebt es etwa eine» als unfehlbar anerkannten Papst in der Welt
— die Unfehlbarkeit für sich allein nützt noch nichts —, der entscheidet, welche
Grundsätze richtig und z» s»ggerire» sind und welche nicht? beider oder zum
Glück giebt es keinen. Auch die Herren Snggerenten werden verschiedner


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[0039] Die hypnotische Suggestion dem zwingenden Einflüsse des Willens ihres Geliebten. Selbst wenn in einem einzelnen Fall ein solcher zwingender Einfluß nachzuweisen wäre, was kaum möglich sein dürfte, könnte ihn der Richter nicht wohl als Entschuldigungs- grund gelten lassen, wenn die angeklagte Person sich freiwillig und gern solchen Einflüssen hingiebt, wie jene Gabriele Bvmpard. Denn es ist eben unsittlich und unerlaubt, sich freiwillig des Bewußtseins zu berauben und sich entweder durch Rausch in die Gewalt der eignen blinden Triebe oder durch Narkose oder Hypnose in die eines andern Menschen zu geben. Vor kurzem wurde in Berlin ein Zahnarzt verhaftet, der junge Madchen betäubt und ihnen dann Gewalt angethan hat. Wenn diese Mädchen die Betäubung bestellt haben, fo sind sie von Mitschuld nicht freizusprechen; denn eine Frauensperson darf sich von einem fremden Manne nur dann betäuben lassen, wenn ihr eine bekannte Person als Hüterin ihrer Ehre zur Seite steht. Wenn die heutige Rechtspflege sonst keine Schmerzen hat, der Suggestivnslehre wegen braucht sie sich keine Refvrmsorgen zu machen. Am allerentschiedensten aber müssen Nur das von französischen Ärzten erhobene und von Herrn von Harlunger befürwortete Ansinnen zurückweise», daß die Suggestion als Erziehungsmittel verwendet werden solle. Der genannte Arzt will einem Diener die Kleptomanie eingeflößt und wieder ausgetrieben haben. Hoffentlich bildet er sich das bloß ein, und der Diener hat ihm, auf die Schrulle seines Herrn eingehend, nur aus Gefälligkeit einige Zigarren ent¬ wendet, sonst würde der Arzt Strafe verdienen. Mit oder ohne Suggestion ist es immer leichter, einen Menschen zu verführen, als den lasterhaft gewordenen zu bessern. Auch Trunksucht will or. vou Harlunger geheilt, ein schläfriges, faules Dienstmädchen in eine lustige, arbeitstüchtige Person verwandelt haben. Aller Ehren wert, Wenns wahr ist! Er meint nun, die bisher übliche Erziehung beruhe ja auch auf Suggestion, auf „suggestiv» im Wachen." Und er sührt dann folgende Worte des Suggestivnsapostels Lwbanlt an: „Ohne sich davon Rechenschaft zu geben, eignet man sich moralische und politische Ansichten, Familien- und Rassenvorurteile um, nimmt man die Vorstellniigen in sich auf, die die Atmosphäre, in der man lebt, erfüllen. Es giebt soziale und religiöse Grundsätze, die vor dem Richterstichl des gesunden Menschenverstandes, vollends vor dem der Vernunft nicht bestehen können, und die man doch bereit¬ willig glaubt; sie haben sich von den Eltern ans die Kinder vererbt, sie sind Gemeingut der Nation geworden; es ist unmöglich, sie durch Vernunftgründe zu vernichten; es nützt nichts, daß man ihre Falschheit nachweist." Und da solle» diese Grundsätze auf hypnotischen Wege nnsgetrieben werde»? Aller¬ liebst! Giebt es etwa eine» als unfehlbar anerkannten Papst in der Welt — die Unfehlbarkeit für sich allein nützt noch nichts —, der entscheidet, welche Grundsätze richtig und z» s»ggerire» sind und welche nicht? beider oder zum Glück giebt es keinen. Auch die Herren Snggerenten werden verschiedner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/39>, abgerufen am 25.07.2024.