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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Sie eilte hinein in ihr Zimmer, er hörte, daß ein Stich! umgeworfen und
ein .Kasten herausgezogen wurde, und ein paar Sekunden später kam sie mit
einem andern gelben Blatt zurück.

An dem Tage, wo die Papiere nach dem Wagen gebracht wurden, der
nach Mellins fahren sollte, sagte sie, sah ich einen Bogen, worauf Wappen und
Schnörkel gezeichnet waren. Ich war nur halb erwachsen damals und wollte
gern das Blatt mit den bunten Farben haben; deshalb riß ich die Hülste des
Bogens, die, worauf gemalt war, ab und bewahrte sie auf -- hier ist sie!

Ja, die Stücken passen zusammen, sagte er und betrachtete das Papier
genau. Sie und ich, wir haben jeder die Hülste gehabt.

Das haben wir! antwortete sie und versuchte zu lächeln. Nun haben Sie
ja Ihre Blume gefunden und -- haben nichts mehr zu suchen! Sie wandte
sich halb von ihm ab.

Doch, Fräulein, Sie erinnern sich wohl, ich sagte, daß ich zu glauben an¬
finge, daß das Leben noch einmal für mich dichten würde -- und mir scheint,
es ist auf dem besten Wege dazu ! Haben Sie gesehen, was auf dem Teile
des alten Blattes steht, den Sie mir in die Hände gegeben haben? Da find
ein paar alte Wappen gemalt, darunter das Wappen des Geschlechts, von dem
ich abzustammen glaube: ein in Blau und Silber geteiltes Schild, im silbernen
Felde zwei blaue Balken. Aber da steht noch mehr, wenn Sie sehen wollen:
hier bei den alten Besitzern von Östbäck steht bemerkt, daß am 3. September
^rav voinmi 1527 Herr Heimer Blau unverheiratet, als der kelte seines
Geschlechts, gestorben ist. Sehen Sie es?

Ja leider, antwortete sie, es scheint fast, daß ich dazu bestimmt sei, all
Ihre Illusionen zu vernichten, indem ich Ihnen Gewißheit über das Aussterben
alter Geschlechter bringe: erst IraM, und nun Blau --

Nein, Fräulein Edda, Sie haben nur den Schluß für eine Geschichte ge¬
liefert, oder vielleicht für zwei -- und ein Schluß muß doch sein! Ich habe
jedoch deu Glauben, daß meine eigentliche Geschichte jetzt erst beginnt: bin ich
nicht der letzte meines Geschlechts, so bin ich doch der letzte meines Namens,
aber wollen Sie wie ich, so soll nicht von Otus Blau geschrieben werden, daß
er als Junggesell gestorben sei!

Was Fräulein Edda antwortete, weiß man nicht genan, aber zu Tische
trank der Onkel das Wohl der Verlobten. Am Abend neckte er Blau, der bei
seiner Ankunft so bestimmt erklärt hatte, daß er sich kaum jemals verheiraten
würde, und fragte ihn heimlich, ob er sich auch vergewissert habe, daß seine
Nichte kleine Füße habe. Blau lächelte und antwortete nichts, aber er ging
mich einer Fenstervertiefung, gab Fräulein Edda einen kleinen Gegenstand, den
der Onkel nicht sehen konnte, und sagte nur: Avril^ soit ani mal xenss!




Sie eilte hinein in ihr Zimmer, er hörte, daß ein Stich! umgeworfen und
ein .Kasten herausgezogen wurde, und ein paar Sekunden später kam sie mit
einem andern gelben Blatt zurück.

An dem Tage, wo die Papiere nach dem Wagen gebracht wurden, der
nach Mellins fahren sollte, sagte sie, sah ich einen Bogen, worauf Wappen und
Schnörkel gezeichnet waren. Ich war nur halb erwachsen damals und wollte
gern das Blatt mit den bunten Farben haben; deshalb riß ich die Hülste des
Bogens, die, worauf gemalt war, ab und bewahrte sie auf — hier ist sie!

Ja, die Stücken passen zusammen, sagte er und betrachtete das Papier
genau. Sie und ich, wir haben jeder die Hülste gehabt.

Das haben wir! antwortete sie und versuchte zu lächeln. Nun haben Sie
ja Ihre Blume gefunden und — haben nichts mehr zu suchen! Sie wandte
sich halb von ihm ab.

Doch, Fräulein, Sie erinnern sich wohl, ich sagte, daß ich zu glauben an¬
finge, daß das Leben noch einmal für mich dichten würde — und mir scheint,
es ist auf dem besten Wege dazu ! Haben Sie gesehen, was auf dem Teile
des alten Blattes steht, den Sie mir in die Hände gegeben haben? Da find
ein paar alte Wappen gemalt, darunter das Wappen des Geschlechts, von dem
ich abzustammen glaube: ein in Blau und Silber geteiltes Schild, im silbernen
Felde zwei blaue Balken. Aber da steht noch mehr, wenn Sie sehen wollen:
hier bei den alten Besitzern von Östbäck steht bemerkt, daß am 3. September
^rav voinmi 1527 Herr Heimer Blau unverheiratet, als der kelte seines
Geschlechts, gestorben ist. Sehen Sie es?

Ja leider, antwortete sie, es scheint fast, daß ich dazu bestimmt sei, all
Ihre Illusionen zu vernichten, indem ich Ihnen Gewißheit über das Aussterben
alter Geschlechter bringe: erst IraM, und nun Blau —

Nein, Fräulein Edda, Sie haben nur den Schluß für eine Geschichte ge¬
liefert, oder vielleicht für zwei — und ein Schluß muß doch sein! Ich habe
jedoch deu Glauben, daß meine eigentliche Geschichte jetzt erst beginnt: bin ich
nicht der letzte meines Geschlechts, so bin ich doch der letzte meines Namens,
aber wollen Sie wie ich, so soll nicht von Otus Blau geschrieben werden, daß
er als Junggesell gestorben sei!

Was Fräulein Edda antwortete, weiß man nicht genan, aber zu Tische
trank der Onkel das Wohl der Verlobten. Am Abend neckte er Blau, der bei
seiner Ankunft so bestimmt erklärt hatte, daß er sich kaum jemals verheiraten
würde, und fragte ihn heimlich, ob er sich auch vergewissert habe, daß seine
Nichte kleine Füße habe. Blau lächelte und antwortete nichts, aber er ging
mich einer Fenstervertiefung, gab Fräulein Edda einen kleinen Gegenstand, den
der Onkel nicht sehen konnte, und sagte nur: Avril^ soit ani mal xenss!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/383>, abgerufen am 25.07.2024.