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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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stube angezündet wurde. War das geschehen, dünn disputirteu sie mit ein¬
ander, denn in der Regel waren sie uneinig, und Blau liebte es auch hier,
seine Paradoxen vorzuführen und leidenschaftlich zu verteidigen. Als sie ihn
dann eines Abends fragte, ob er eine kürzlich herausgekommene Erzählung
gelesen habe, begnügte er sich nicht damit, dies zu verneinen, sondern kam
natürlich sofort mit seinen alten Theorien über Kunst und Poesie zum Vorschein.

Aber meinen Sie nicht, daß man sich nach -- nach etwas Romantik
sehnen kaun, nur ein wenig für das Alltägliche hier im Leben? fragte sie.

Gewiß, Fräulein, aber das soll das Lebe" und die Natur selbst bringen.

Hat das Leben Ihnen schon dergleichen geboten?

Ich kann mit ja und mit nein antworten. Es vergeht erstens kaum ein Tag,
wo nicht eins oder das andre draußen in der Natur, großes oder kleines, mich
fesselte und mir eine Freude bereitete, die, wie ich glaube, jedenfalls über der
steht, die Sie z. B. bei einer gemalten Landschaft eines großen Meisters
empfinden.

Aber Poesie oder Romantik, oder wie wir es sonst nennen wollen, bringt
Ihnen das die Wirklichkeit auch?

Ja, das thut sie -- sie hat mir Iraxa. gebracht! Ist es nicht gerade so
gut ein Märchen wie so viele andre, daß ich eines schonen Tages zu einem
Antiquar in Kopenhagen komme und dort ein Blatt finde, worauf ein Un¬
bekannter vor mehr als hundert Jahren zwei Zeilen geschrieben hat, die mich
erst nach Falster schicken und mich dadurch vou etwas befreien, das weder
mein noch eines andern Glück geworden wäre, das mir dann ein Gut in herr¬
licher Gegend verschafft und nun schließlich mich hierher in so angenehme
Verhältnisse sührt! Und fühlen Sie nicht, daß selbst die Frage über Trapas
Vorhandensein ihre Poesie hat? Wenn sie sich findet, ist dann nicht etwas
Fesselndes bei dem Gedanken, daß die Blume Menschenalter auf Menschenalter
ihr verborgenes Dasein fortgesetzt hat, und nachdem sie einmal gefunden
worden war, nie wieder einem Menschen vor die Angen gekommen ist, auf
jeden Fall keinem, der sie zu würdigen verstanden hätte! Und ist das Ge¬
schlecht ausgestorben, so hat ja die Frage schon dadurch ihren eignen Reiz.
Glauben Sie, daß Kletten oder Wegebreit aussterben? Nein, ebenso wenig wie
die Familien Hansen oder Imsen, die immerfort blühen. Die aristokratischen
Geschlechter sind es, die aussterben, die feinern Organismen, die nicht im
Besitz von so vieler animalischen oder, in diesem Fall richtiger gesagt, vege¬
tabilischen Lebenskraft sind. Denken Sie sich nur diesen Stoff zu einem Ge¬
dicht -- wenn denn durchaus gedichtet sein soll! Die letzte 1"rax^ das einzige
Exemplar des Geschlechts, das zum letztenmal seine weiße Krone entfaltet hat,
setzt eine Frucht an, die nicht keimt, und dann taucht sie ihr Haupt an einem
kalten Herbstabend unter Wasser und sinkt zurück in den ewigen Kreislauf der
Natur. Ist das nicht Poesie oder wenigstens etwas der Art?


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stube angezündet wurde. War das geschehen, dünn disputirteu sie mit ein¬
ander, denn in der Regel waren sie uneinig, und Blau liebte es auch hier,
seine Paradoxen vorzuführen und leidenschaftlich zu verteidigen. Als sie ihn
dann eines Abends fragte, ob er eine kürzlich herausgekommene Erzählung
gelesen habe, begnügte er sich nicht damit, dies zu verneinen, sondern kam
natürlich sofort mit seinen alten Theorien über Kunst und Poesie zum Vorschein.

Aber meinen Sie nicht, daß man sich nach — nach etwas Romantik
sehnen kaun, nur ein wenig für das Alltägliche hier im Leben? fragte sie.

Gewiß, Fräulein, aber das soll das Lebe» und die Natur selbst bringen.

Hat das Leben Ihnen schon dergleichen geboten?

Ich kann mit ja und mit nein antworten. Es vergeht erstens kaum ein Tag,
wo nicht eins oder das andre draußen in der Natur, großes oder kleines, mich
fesselte und mir eine Freude bereitete, die, wie ich glaube, jedenfalls über der
steht, die Sie z. B. bei einer gemalten Landschaft eines großen Meisters
empfinden.

Aber Poesie oder Romantik, oder wie wir es sonst nennen wollen, bringt
Ihnen das die Wirklichkeit auch?

Ja, das thut sie — sie hat mir Iraxa. gebracht! Ist es nicht gerade so
gut ein Märchen wie so viele andre, daß ich eines schonen Tages zu einem
Antiquar in Kopenhagen komme und dort ein Blatt finde, worauf ein Un¬
bekannter vor mehr als hundert Jahren zwei Zeilen geschrieben hat, die mich
erst nach Falster schicken und mich dadurch vou etwas befreien, das weder
mein noch eines andern Glück geworden wäre, das mir dann ein Gut in herr¬
licher Gegend verschafft und nun schließlich mich hierher in so angenehme
Verhältnisse sührt! Und fühlen Sie nicht, daß selbst die Frage über Trapas
Vorhandensein ihre Poesie hat? Wenn sie sich findet, ist dann nicht etwas
Fesselndes bei dem Gedanken, daß die Blume Menschenalter auf Menschenalter
ihr verborgenes Dasein fortgesetzt hat, und nachdem sie einmal gefunden
worden war, nie wieder einem Menschen vor die Angen gekommen ist, auf
jeden Fall keinem, der sie zu würdigen verstanden hätte! Und ist das Ge¬
schlecht ausgestorben, so hat ja die Frage schon dadurch ihren eignen Reiz.
Glauben Sie, daß Kletten oder Wegebreit aussterben? Nein, ebenso wenig wie
die Familien Hansen oder Imsen, die immerfort blühen. Die aristokratischen
Geschlechter sind es, die aussterben, die feinern Organismen, die nicht im
Besitz von so vieler animalischen oder, in diesem Fall richtiger gesagt, vege¬
tabilischen Lebenskraft sind. Denken Sie sich nur diesen Stoff zu einem Ge¬
dicht — wenn denn durchaus gedichtet sein soll! Die letzte 1"rax^ das einzige
Exemplar des Geschlechts, das zum letztenmal seine weiße Krone entfaltet hat,
setzt eine Frucht an, die nicht keimt, und dann taucht sie ihr Haupt an einem
kalten Herbstabend unter Wasser und sinkt zurück in den ewigen Kreislauf der
Natur. Ist das nicht Poesie oder wenigstens etwas der Art?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/380>, abgerufen am 25.06.2024.