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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Hausindustnelle Zustände

Hauptwerk über das Kapital: "Die moderne Hausindustrie hat mit der alt-
modischen, die uilabhüngiges städtisches Handwerk, selbständige Bauernwirt¬
schaft und vor allem ein Hans der Arbeiterfamilie voraussetzt, nichts gemein
als den Namen. Sie ist jetzt verwandelt in das auswärtige Departement der
Fabrik, der Manufaktur oder des Wareumagazius. Neben den Fabrikarbeitern,
Mannfakturarbeitern und Handwerkern, die es in großen Massen räumlich
konzentrirt und direkt kommandirt, bewegt das Kapital dnrch unsichtbare Fäden
eine andre Armee in den großen Städten und über das flache Land zer¬
streuter Hausarbciter." Dein ist vom Standpunkte sozialer Betrachtung, ohne
die gewerblichen und technischen Unterschiede zu verkennen, durchaus beizu-
treten. Unsre heutige Hausindustrie ist mit wenigen Ausnahmen nichts
andres als ein auswärtiger Herrschaftsbezirk des industriellen Großkapitals,
überdies ein Bezirk, worin noch das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte
herrscht, das, des mächtigen Beistandes der fabrikindustriellen Bevölkerung,
der Arbeiterschutzgesetzgebung, entbehrend, sich in einer äußerst ungünstigen
wirtschaftlichen Lage befindet. Der Bericht über Schlesien behauptet sogar
alles Ernstes, daß die Lebenshaltung der schlesischen Hausarbeiter wesentlich
schlechter sei als die der Strafgefangenen. Der Sträfling empfange iustruktions-
mäßig wöchentlich zweimal Fleisch, mindestens zweimal täglich warme und
reichliche Speise, könne sich bei gutem Wetter eine halbe bis eine Stunde
täglich im Grünen oder doch in freier Luft ergehen, schlafe in geräumigen,
gut gelüfteten Gelassen, dürfe nur acht bis zwölf Stunden und bei Leibe nicht
mit Arbeiten, die der Gesundheit schädlich sind, beschäftigt werden. Von alle-
dem sei in der Hausindustrie nicht die Rede.

Durch Selbsthilfe wird sich die deutsche Hausindustrie kein besseres Dasein
erringen können oder doch nur in einzelnen besondern Fällen; es fehlt ihr an
der Grundvoraussetzung des gedeihlichen Wirkens einer industriellen Genossen¬
schaft, deu Geldmitteln, denn wer Gewinn erlangen will, muß auch Verlust
zu tragen imstande sein. Hilfe in ihrer bedrängten Lage hat sie lediglich vom
Staate zu erwarten. Erstens muß man eine sinngemäße Ausdehnung der
gesamten bestehenden Arbeiterversicherungs- und Gewerbeschntzgesetzgebung auf
die Hallsindustriellen ohne Ausnahme befürworten, ein Unternehmen, das aller¬
dings bei den großen Verschiedenheiten, die unter ihnen herrschen, die größte
Behutsamkeit erfordert, und deren Ziel sich voraussichtlich nur durch allmäh¬
liches Vorgehen nach einzelnen Richtungen wird erreichen lassen.

Anderseits wird der Staat dnrch Gründung zahlreicher Fachschulen und
gesetzlichen Zwang zu ihrem Besuch in deu Zweigen, die größere Geschicklichkeit
und höhern Geschmack erfordern, die Lage der HnuSarbeiter verbessern können.
Er würde ihnen hierdurch technisch geschulte Hilfskräfte zuführen und durch
eine solidere gewerbliche Vorbildung sie zu besseren, insbesondre kunstgewerb¬
lichen Arbeiten und damit zur Erlangung eines höhern Arbeitsverdienstes


Hausindustnelle Zustände

Hauptwerk über das Kapital: „Die moderne Hausindustrie hat mit der alt-
modischen, die uilabhüngiges städtisches Handwerk, selbständige Bauernwirt¬
schaft und vor allem ein Hans der Arbeiterfamilie voraussetzt, nichts gemein
als den Namen. Sie ist jetzt verwandelt in das auswärtige Departement der
Fabrik, der Manufaktur oder des Wareumagazius. Neben den Fabrikarbeitern,
Mannfakturarbeitern und Handwerkern, die es in großen Massen räumlich
konzentrirt und direkt kommandirt, bewegt das Kapital dnrch unsichtbare Fäden
eine andre Armee in den großen Städten und über das flache Land zer¬
streuter Hausarbciter." Dein ist vom Standpunkte sozialer Betrachtung, ohne
die gewerblichen und technischen Unterschiede zu verkennen, durchaus beizu-
treten. Unsre heutige Hausindustrie ist mit wenigen Ausnahmen nichts
andres als ein auswärtiger Herrschaftsbezirk des industriellen Großkapitals,
überdies ein Bezirk, worin noch das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte
herrscht, das, des mächtigen Beistandes der fabrikindustriellen Bevölkerung,
der Arbeiterschutzgesetzgebung, entbehrend, sich in einer äußerst ungünstigen
wirtschaftlichen Lage befindet. Der Bericht über Schlesien behauptet sogar
alles Ernstes, daß die Lebenshaltung der schlesischen Hausarbeiter wesentlich
schlechter sei als die der Strafgefangenen. Der Sträfling empfange iustruktions-
mäßig wöchentlich zweimal Fleisch, mindestens zweimal täglich warme und
reichliche Speise, könne sich bei gutem Wetter eine halbe bis eine Stunde
täglich im Grünen oder doch in freier Luft ergehen, schlafe in geräumigen,
gut gelüfteten Gelassen, dürfe nur acht bis zwölf Stunden und bei Leibe nicht
mit Arbeiten, die der Gesundheit schädlich sind, beschäftigt werden. Von alle-
dem sei in der Hausindustrie nicht die Rede.

Durch Selbsthilfe wird sich die deutsche Hausindustrie kein besseres Dasein
erringen können oder doch nur in einzelnen besondern Fällen; es fehlt ihr an
der Grundvoraussetzung des gedeihlichen Wirkens einer industriellen Genossen¬
schaft, deu Geldmitteln, denn wer Gewinn erlangen will, muß auch Verlust
zu tragen imstande sein. Hilfe in ihrer bedrängten Lage hat sie lediglich vom
Staate zu erwarten. Erstens muß man eine sinngemäße Ausdehnung der
gesamten bestehenden Arbeiterversicherungs- und Gewerbeschntzgesetzgebung auf
die Hallsindustriellen ohne Ausnahme befürworten, ein Unternehmen, das aller¬
dings bei den großen Verschiedenheiten, die unter ihnen herrschen, die größte
Behutsamkeit erfordert, und deren Ziel sich voraussichtlich nur durch allmäh¬
liches Vorgehen nach einzelnen Richtungen wird erreichen lassen.

Anderseits wird der Staat dnrch Gründung zahlreicher Fachschulen und
gesetzlichen Zwang zu ihrem Besuch in deu Zweigen, die größere Geschicklichkeit
und höhern Geschmack erfordern, die Lage der HnuSarbeiter verbessern können.
Er würde ihnen hierdurch technisch geschulte Hilfskräfte zuführen und durch
eine solidere gewerbliche Vorbildung sie zu besseren, insbesondre kunstgewerb¬
lichen Arbeiten und damit zur Erlangung eines höhern Arbeitsverdienstes


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[0371] Hausindustnelle Zustände Hauptwerk über das Kapital: „Die moderne Hausindustrie hat mit der alt- modischen, die uilabhüngiges städtisches Handwerk, selbständige Bauernwirt¬ schaft und vor allem ein Hans der Arbeiterfamilie voraussetzt, nichts gemein als den Namen. Sie ist jetzt verwandelt in das auswärtige Departement der Fabrik, der Manufaktur oder des Wareumagazius. Neben den Fabrikarbeitern, Mannfakturarbeitern und Handwerkern, die es in großen Massen räumlich konzentrirt und direkt kommandirt, bewegt das Kapital dnrch unsichtbare Fäden eine andre Armee in den großen Städten und über das flache Land zer¬ streuter Hausarbciter." Dein ist vom Standpunkte sozialer Betrachtung, ohne die gewerblichen und technischen Unterschiede zu verkennen, durchaus beizu- treten. Unsre heutige Hausindustrie ist mit wenigen Ausnahmen nichts andres als ein auswärtiger Herrschaftsbezirk des industriellen Großkapitals, überdies ein Bezirk, worin noch das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte herrscht, das, des mächtigen Beistandes der fabrikindustriellen Bevölkerung, der Arbeiterschutzgesetzgebung, entbehrend, sich in einer äußerst ungünstigen wirtschaftlichen Lage befindet. Der Bericht über Schlesien behauptet sogar alles Ernstes, daß die Lebenshaltung der schlesischen Hausarbeiter wesentlich schlechter sei als die der Strafgefangenen. Der Sträfling empfange iustruktions- mäßig wöchentlich zweimal Fleisch, mindestens zweimal täglich warme und reichliche Speise, könne sich bei gutem Wetter eine halbe bis eine Stunde täglich im Grünen oder doch in freier Luft ergehen, schlafe in geräumigen, gut gelüfteten Gelassen, dürfe nur acht bis zwölf Stunden und bei Leibe nicht mit Arbeiten, die der Gesundheit schädlich sind, beschäftigt werden. Von alle- dem sei in der Hausindustrie nicht die Rede. Durch Selbsthilfe wird sich die deutsche Hausindustrie kein besseres Dasein erringen können oder doch nur in einzelnen besondern Fällen; es fehlt ihr an der Grundvoraussetzung des gedeihlichen Wirkens einer industriellen Genossen¬ schaft, deu Geldmitteln, denn wer Gewinn erlangen will, muß auch Verlust zu tragen imstande sein. Hilfe in ihrer bedrängten Lage hat sie lediglich vom Staate zu erwarten. Erstens muß man eine sinngemäße Ausdehnung der gesamten bestehenden Arbeiterversicherungs- und Gewerbeschntzgesetzgebung auf die Hallsindustriellen ohne Ausnahme befürworten, ein Unternehmen, das aller¬ dings bei den großen Verschiedenheiten, die unter ihnen herrschen, die größte Behutsamkeit erfordert, und deren Ziel sich voraussichtlich nur durch allmäh¬ liches Vorgehen nach einzelnen Richtungen wird erreichen lassen. Anderseits wird der Staat dnrch Gründung zahlreicher Fachschulen und gesetzlichen Zwang zu ihrem Besuch in deu Zweigen, die größere Geschicklichkeit und höhern Geschmack erfordern, die Lage der HnuSarbeiter verbessern können. Er würde ihnen hierdurch technisch geschulte Hilfskräfte zuführen und durch eine solidere gewerbliche Vorbildung sie zu besseren, insbesondre kunstgewerb¬ lichen Arbeiten und damit zur Erlangung eines höhern Arbeitsverdienstes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/371>, abgerufen am 25.07.2024.