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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Viktor Hehn

Die Anerkennung der gelehrten Welt hat Hehns "Kulturpflanzen und
Haustieren" nicht gefehlt. Ihr äußeres Maß ist in den fünf Auflagen, die
das Buch in fünfzehn Jahren erlebte, ausgedrückt. Ein ausgezeichneter Ver¬
treter der Altertumswissenschaft, von mir um nähere Formulirung seines Urteils
gebeten, schreibt: "Nie zuvor war der hier dargestellte Prozeß in seiner Ge¬
samtheit und in seinem Zusammenhange mit der Kultur ins Ange gefaßt.
Über die Betrachtung einzelner Thatsachen war man nicht hinausgekommen.
Auch wer in diesen "historisch-linguistischen Skizzen" (wie der Verfasser sie
allzu bescheiden nennt) noch so flüchtig blättert, wird auf jeder Seite gewahr,
daß hier die langsam, dafür aber auch ganz ausgereifte Frucht vieljähriger
Geduld und Arbeit geboten wird, deren weit auseinanderliegende Gebiete zu
umfassen höchst selten ein Einzelner imstande ist: mit einer großen philologischen,
linguistischen, litterarischen Gelehrsamkeit sind hier nicht geringe naturwissen¬
schaftliche, ethnographische und historische Kenntnisse verbunden. Auch der
Vorsicht und Behutsamkeit, mit der Hehn bei der Aufstellung der (auf dem
vielfach schwankenden Boden dieser Forschungen natürlich zahlreichen) Hypo¬
thesen stets zu Werke geht, der Sorgfalt und Besonnenheit, mit der er alle
Momente des Für und Wider abwägt, muß man die höchste Anerkennung
zollen. Aber weit mehr noch als den Umfang und die Vielseitigkeit seines
Wissens, als die Sicherheit seiner Methode bewundert man die Kraft seiner
in das Dunkel der Vorzeit dringenden, in winzigen, zerstreuten und entstellten
Nachrichten die Zusammenhänge und Beziehungen erfassender, immer neue,
überraschende Ausblicke und Perspektiven eröffnende Anschauung. Das Buch
gehört zu den klassischen Werken uicht nur der Altertumskunde, sondern mich
der deutschen Litteratur."

Die letzten der obigen Sätze deuten schon auf das, worin anch unsers
Erachtens die höchste Bedeutung des Hehnschen Buches enthalten ist: so lehr¬
reich die unmittelbaren Ergebnisse sind, noch Wertvolleres ist aus ihm zu lernen,
wenn wir es als Typus betrachten. Es wird anerkannt: allen an die Spezinl-
forschung zu stellenden Forderungen ist mit nicht zu übertreffender "Akribie"
gerecht geworden, und doch ist vom Anfang bis zum Ende in keinem Moment
der Blick aufs Ganze verloren. Wie viel oder wie wenig Recht die immer lauter
werdenden Klagen über den die Wissenschaft verderbenden Spezialismus, über
die Borherrschaft einer mikroskopischen Weltanschauung haben mögen -- vor
Hehns Buch werden sie verstummen müssen. Es tritt darin glänzend ans
Licht, daß .Hehn, gleich seinem berühmten Landsmann K. E. von Baer, eine
Künstlernatur war. Wir meinen damit noch uicht an erster Stelle die beiden
gemeinsame Meisterschaft der Darstellung, die klare, edle, harmonische Sprache,
wir meinen vor allem das echt künstlerische Geistesbedürfnis, jede kleinste
Untersuchung, die sie unternehmen, in den Dienst einer großen Anschauung zu.
stellen, das Stückwerk des Wissens zu einem organischen Sein zu erhöhen.


Grenzboten 111 1890 40
Viktor Hehn

Die Anerkennung der gelehrten Welt hat Hehns „Kulturpflanzen und
Haustieren" nicht gefehlt. Ihr äußeres Maß ist in den fünf Auflagen, die
das Buch in fünfzehn Jahren erlebte, ausgedrückt. Ein ausgezeichneter Ver¬
treter der Altertumswissenschaft, von mir um nähere Formulirung seines Urteils
gebeten, schreibt: „Nie zuvor war der hier dargestellte Prozeß in seiner Ge¬
samtheit und in seinem Zusammenhange mit der Kultur ins Ange gefaßt.
Über die Betrachtung einzelner Thatsachen war man nicht hinausgekommen.
Auch wer in diesen »historisch-linguistischen Skizzen« (wie der Verfasser sie
allzu bescheiden nennt) noch so flüchtig blättert, wird auf jeder Seite gewahr,
daß hier die langsam, dafür aber auch ganz ausgereifte Frucht vieljähriger
Geduld und Arbeit geboten wird, deren weit auseinanderliegende Gebiete zu
umfassen höchst selten ein Einzelner imstande ist: mit einer großen philologischen,
linguistischen, litterarischen Gelehrsamkeit sind hier nicht geringe naturwissen¬
schaftliche, ethnographische und historische Kenntnisse verbunden. Auch der
Vorsicht und Behutsamkeit, mit der Hehn bei der Aufstellung der (auf dem
vielfach schwankenden Boden dieser Forschungen natürlich zahlreichen) Hypo¬
thesen stets zu Werke geht, der Sorgfalt und Besonnenheit, mit der er alle
Momente des Für und Wider abwägt, muß man die höchste Anerkennung
zollen. Aber weit mehr noch als den Umfang und die Vielseitigkeit seines
Wissens, als die Sicherheit seiner Methode bewundert man die Kraft seiner
in das Dunkel der Vorzeit dringenden, in winzigen, zerstreuten und entstellten
Nachrichten die Zusammenhänge und Beziehungen erfassender, immer neue,
überraschende Ausblicke und Perspektiven eröffnende Anschauung. Das Buch
gehört zu den klassischen Werken uicht nur der Altertumskunde, sondern mich
der deutschen Litteratur."

Die letzten der obigen Sätze deuten schon auf das, worin anch unsers
Erachtens die höchste Bedeutung des Hehnschen Buches enthalten ist: so lehr¬
reich die unmittelbaren Ergebnisse sind, noch Wertvolleres ist aus ihm zu lernen,
wenn wir es als Typus betrachten. Es wird anerkannt: allen an die Spezinl-
forschung zu stellenden Forderungen ist mit nicht zu übertreffender „Akribie"
gerecht geworden, und doch ist vom Anfang bis zum Ende in keinem Moment
der Blick aufs Ganze verloren. Wie viel oder wie wenig Recht die immer lauter
werdenden Klagen über den die Wissenschaft verderbenden Spezialismus, über
die Borherrschaft einer mikroskopischen Weltanschauung haben mögen — vor
Hehns Buch werden sie verstummen müssen. Es tritt darin glänzend ans
Licht, daß .Hehn, gleich seinem berühmten Landsmann K. E. von Baer, eine
Künstlernatur war. Wir meinen damit noch uicht an erster Stelle die beiden
gemeinsame Meisterschaft der Darstellung, die klare, edle, harmonische Sprache,
wir meinen vor allem das echt künstlerische Geistesbedürfnis, jede kleinste
Untersuchung, die sie unternehmen, in den Dienst einer großen Anschauung zu.
stellen, das Stückwerk des Wissens zu einem organischen Sein zu erhöhen.


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[0321] Viktor Hehn Die Anerkennung der gelehrten Welt hat Hehns „Kulturpflanzen und Haustieren" nicht gefehlt. Ihr äußeres Maß ist in den fünf Auflagen, die das Buch in fünfzehn Jahren erlebte, ausgedrückt. Ein ausgezeichneter Ver¬ treter der Altertumswissenschaft, von mir um nähere Formulirung seines Urteils gebeten, schreibt: „Nie zuvor war der hier dargestellte Prozeß in seiner Ge¬ samtheit und in seinem Zusammenhange mit der Kultur ins Ange gefaßt. Über die Betrachtung einzelner Thatsachen war man nicht hinausgekommen. Auch wer in diesen »historisch-linguistischen Skizzen« (wie der Verfasser sie allzu bescheiden nennt) noch so flüchtig blättert, wird auf jeder Seite gewahr, daß hier die langsam, dafür aber auch ganz ausgereifte Frucht vieljähriger Geduld und Arbeit geboten wird, deren weit auseinanderliegende Gebiete zu umfassen höchst selten ein Einzelner imstande ist: mit einer großen philologischen, linguistischen, litterarischen Gelehrsamkeit sind hier nicht geringe naturwissen¬ schaftliche, ethnographische und historische Kenntnisse verbunden. Auch der Vorsicht und Behutsamkeit, mit der Hehn bei der Aufstellung der (auf dem vielfach schwankenden Boden dieser Forschungen natürlich zahlreichen) Hypo¬ thesen stets zu Werke geht, der Sorgfalt und Besonnenheit, mit der er alle Momente des Für und Wider abwägt, muß man die höchste Anerkennung zollen. Aber weit mehr noch als den Umfang und die Vielseitigkeit seines Wissens, als die Sicherheit seiner Methode bewundert man die Kraft seiner in das Dunkel der Vorzeit dringenden, in winzigen, zerstreuten und entstellten Nachrichten die Zusammenhänge und Beziehungen erfassender, immer neue, überraschende Ausblicke und Perspektiven eröffnende Anschauung. Das Buch gehört zu den klassischen Werken uicht nur der Altertumskunde, sondern mich der deutschen Litteratur." Die letzten der obigen Sätze deuten schon auf das, worin anch unsers Erachtens die höchste Bedeutung des Hehnschen Buches enthalten ist: so lehr¬ reich die unmittelbaren Ergebnisse sind, noch Wertvolleres ist aus ihm zu lernen, wenn wir es als Typus betrachten. Es wird anerkannt: allen an die Spezinl- forschung zu stellenden Forderungen ist mit nicht zu übertreffender „Akribie" gerecht geworden, und doch ist vom Anfang bis zum Ende in keinem Moment der Blick aufs Ganze verloren. Wie viel oder wie wenig Recht die immer lauter werdenden Klagen über den die Wissenschaft verderbenden Spezialismus, über die Borherrschaft einer mikroskopischen Weltanschauung haben mögen — vor Hehns Buch werden sie verstummen müssen. Es tritt darin glänzend ans Licht, daß .Hehn, gleich seinem berühmten Landsmann K. E. von Baer, eine Künstlernatur war. Wir meinen damit noch uicht an erster Stelle die beiden gemeinsame Meisterschaft der Darstellung, die klare, edle, harmonische Sprache, wir meinen vor allem das echt künstlerische Geistesbedürfnis, jede kleinste Untersuchung, die sie unternehmen, in den Dienst einer großen Anschauung zu. stellen, das Stückwerk des Wissens zu einem organischen Sein zu erhöhen. Grenzboten 111 1890 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/321>, abgerufen am 26.06.2024.