Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Die Baufiihrung des Mittelalters bei den Steinmetzen ging die Arbeit gleichmäßig das ganze Jahr hindurch fort; Da der Verfasser Jesuit ist, so versteht es sich von selbst, daß er die ge¬ schlechterung der Lage des Arbeiterkindes, so hat er sich ja selbst schon hin¬ Zum Schluß mag noch bemerkt werden, daß der Verfasser an vielen Die Baufiihrung des Mittelalters bei den Steinmetzen ging die Arbeit gleichmäßig das ganze Jahr hindurch fort; Da der Verfasser Jesuit ist, so versteht es sich von selbst, daß er die ge¬ schlechterung der Lage des Arbeiterkindes, so hat er sich ja selbst schon hin¬ Zum Schluß mag noch bemerkt werden, daß der Verfasser an vielen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207969"/> <fw type="header" place="top"> Die Baufiihrung des Mittelalters</fw><lb/> <p xml:id="ID_48" prev="#ID_47"> bei den Steinmetzen ging die Arbeit gleichmäßig das ganze Jahr hindurch fort;<lb/> selbstverständlich wurde im Winter weniger Lohn gezahlt als im Sommer.<lb/> Endlich wußte man nichts von arbeitslosen Zeiten. Es war nicht wie heute, wo<lb/> Perioden des tollsten Banschwindels mit flaue» Jahren wechseln. Nie wurde<lb/> massenhaft, aber irgendwo wurde immer gebaut, und an Arbeitern mar kein<lb/> Überfluß. Die starke Nachfrage nach geschickten Arbeitern erklärt es, daß die<lb/> Gesellen — sie werden in den Rechnungen mit Namen aufgeführt — oft<lb/> wechseln. Stiegen die Lebeusmittelpreise, so kam es wohl zu Lohnstreitigkeiten,<lb/> die immer gütlich beigelegt worden zu sein scheinen. Nur waren dabei nicht<lb/> Meister und Gesellen die streitenden Parteien, sondern Meister und Gesellen<lb/> einer- und der Bauherr anderseits. Im dritten Teile des Buches, der von<lb/> der Ausstattung der Kirche handelt, findet man Angaben über die Lohn-<lb/> verhältnisse der Maler und Goldschmiede.</p><lb/> <p xml:id="ID_49"> Da der Verfasser Jesuit ist, so versteht es sich von selbst, daß er die ge¬<lb/> sammelten Thatsachen gelegentlich zur Verherrlichung seiner Kirche und zu<lb/> Seitenhieben auf den Protestantismus verwendet. Wir pvlemisireu nicht gegen<lb/> seine Auslassungen. Soweit sie katholische Gebräuche und Knltusformen<lb/> empfehlen wollen, handelt es sich um Geschmacksachen, und <in AUKtidu8 non<lb/> c-Le «lisvntÄnclum, Wenn aber Beisfel den Schein zu erwecken sucht, als sei<lb/> die „Kirchenspaltung" schuld gewesen an der um eintretenden Ver¬</p><lb/> <p xml:id="ID_50"> schlechterung der Lage des Arbeiterkindes, so hat er sich ja selbst schon hin¬<lb/> reichend widerlegt, indem er eingesteht, daß die beiden Hauptursachen dieser<lb/> Verschlechterung, die Entwertung des Geldes und das überhandnehmende<lb/> Sulmüsstvnswesen, sich schon im fünfzehnten Jahrhundert bemerkbar machen.<lb/> Damit ist schon bewiesen, daß wir es hier mit einem von Glaubensmeinungen<lb/> und Kirchenverfassungen ganz unabhängigen Umschwunge des Wirtschaftslebens<lb/> zu thun haben. Mit der Reformation hängt dieser Umschwung nnr insofern<lb/> zusammen, als er eine allgemeine Unzufriedenheit und Gährung hervorrief, die<lb/> das Volk neuerungslustig machte, und als unter den Begüterten, gegen die sich<lb/> jene neidische und begehrliche Neuerungssucht richtete, die über Bedürfnis reichen<lb/> und ihrer ursprünglichen Bestimmung meist untreu gewordenen kirchlichen In¬<lb/> stitute zunächst in die Augen fielen.</p><lb/> <p xml:id="ID_51"> Zum Schluß mag noch bemerkt werden, daß der Verfasser an vielen<lb/> Stellen ein gesundes Urteil in Knnstfrageu bekundet und u. a. vor dem<lb/> Purismus unsrer Neugothiker warnt. Das letztere erklärt sich freilich aus den<lb/> Traditionell seines Ordens, der als Beförderer des Renaissance-, Barock-,<lb/> Rokoko- lind Zopfstils und als stilverderbender Wüterich in alten gothischen<lb/> Kirchen bei der Schule der Gebrüder Reichensperger übel angeschrieben steht.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
Die Baufiihrung des Mittelalters
bei den Steinmetzen ging die Arbeit gleichmäßig das ganze Jahr hindurch fort;
selbstverständlich wurde im Winter weniger Lohn gezahlt als im Sommer.
Endlich wußte man nichts von arbeitslosen Zeiten. Es war nicht wie heute, wo
Perioden des tollsten Banschwindels mit flaue» Jahren wechseln. Nie wurde
massenhaft, aber irgendwo wurde immer gebaut, und an Arbeitern mar kein
Überfluß. Die starke Nachfrage nach geschickten Arbeitern erklärt es, daß die
Gesellen — sie werden in den Rechnungen mit Namen aufgeführt — oft
wechseln. Stiegen die Lebeusmittelpreise, so kam es wohl zu Lohnstreitigkeiten,
die immer gütlich beigelegt worden zu sein scheinen. Nur waren dabei nicht
Meister und Gesellen die streitenden Parteien, sondern Meister und Gesellen
einer- und der Bauherr anderseits. Im dritten Teile des Buches, der von
der Ausstattung der Kirche handelt, findet man Angaben über die Lohn-
verhältnisse der Maler und Goldschmiede.
Da der Verfasser Jesuit ist, so versteht es sich von selbst, daß er die ge¬
sammelten Thatsachen gelegentlich zur Verherrlichung seiner Kirche und zu
Seitenhieben auf den Protestantismus verwendet. Wir pvlemisireu nicht gegen
seine Auslassungen. Soweit sie katholische Gebräuche und Knltusformen
empfehlen wollen, handelt es sich um Geschmacksachen, und <in AUKtidu8 non
c-Le «lisvntÄnclum, Wenn aber Beisfel den Schein zu erwecken sucht, als sei
die „Kirchenspaltung" schuld gewesen an der um eintretenden Ver¬
schlechterung der Lage des Arbeiterkindes, so hat er sich ja selbst schon hin¬
reichend widerlegt, indem er eingesteht, daß die beiden Hauptursachen dieser
Verschlechterung, die Entwertung des Geldes und das überhandnehmende
Sulmüsstvnswesen, sich schon im fünfzehnten Jahrhundert bemerkbar machen.
Damit ist schon bewiesen, daß wir es hier mit einem von Glaubensmeinungen
und Kirchenverfassungen ganz unabhängigen Umschwunge des Wirtschaftslebens
zu thun haben. Mit der Reformation hängt dieser Umschwung nnr insofern
zusammen, als er eine allgemeine Unzufriedenheit und Gährung hervorrief, die
das Volk neuerungslustig machte, und als unter den Begüterten, gegen die sich
jene neidische und begehrliche Neuerungssucht richtete, die über Bedürfnis reichen
und ihrer ursprünglichen Bestimmung meist untreu gewordenen kirchlichen In¬
stitute zunächst in die Augen fielen.
Zum Schluß mag noch bemerkt werden, daß der Verfasser an vielen
Stellen ein gesundes Urteil in Knnstfrageu bekundet und u. a. vor dem
Purismus unsrer Neugothiker warnt. Das letztere erklärt sich freilich aus den
Traditionell seines Ordens, der als Beförderer des Renaissance-, Barock-,
Rokoko- lind Zopfstils und als stilverderbender Wüterich in alten gothischen
Kirchen bei der Schule der Gebrüder Reichensperger übel angeschrieben steht.
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