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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Aus Elsaß-Lothringen

Aufgabe des Bundesrates wird dieser Antrag schwer bestehen. Aber auch an
diesem Beispiele kann man sehen, wie die Zentralisation die Leute gewöhnt hat,
statt der Selbsthilfe die Stantshilfe zu suchen, und das thun auch Bittsteller,
die keineswegs Freunde Deutschlands sind.

Ein andrer Initiativantrag aus dem Hause betraf die Vertiefung der
Kanäle, um den Anschluß an die französischen und die belgischen Wasserstraßen
zu erhalten. Neben diesem seit Jahren besprochenen Entwürfe waren es aber
noch zwei andre, die die öffentliche Meinung bewegten: die schon uuter fran¬
zösischer Herrschaft unternommene und dnrch den Krieg unterbrochene Kannli-
sirung der Mosel und die Herstellung einer Kanalverbindung zwischen Stra߬
burg und Ludwigshafen oder Speier. Keines dieser Vorhaben schloß das
andre aus, sie konnten neben einander bestehen; aber die Mittel des Landes
reichen nicht aus, um alle drei Aufgaben gleichzeitig in Angriff zu nehmen,
man mußte sich also darüber verständigen, welchem der drei Entwürfe zuerst
Unterstützung gewährt werden sollte. Solche Entscheidungen gehören aber in
einem kleinen Lande zu den schwierigsten Dingen. Im vorigen Jahre hatte
man beschlossen, die Entscheidung über die Verwendung sich vorbehaltend, einen
Kanalfvnds zum Allsbau und zur Verbesserung der bestehenden Wasserstraßen
zu bilden, um zunächst der einen oder andern der als besonders wichtig und
dringend anerkannten Anforderungen später gerecht werden zu können. Nach
Jahr und Tag aber hatte sich die Sachlage schon geändert. Die Kanalisirnng
der Mosel wird nicht mehr in Betracht gezogen; mau nahm an, und wohl
mit Recht, daß sich die Sache ohne Zuthun des Neichslnndes wegen des über¬
wiegenden Interesses Preußens von selbst machen würde. Für den Kanal
Straßbnrg-Ludwigshafen hatte man sich im Lande nie sonderlich erwärmt.
Die Oberelsässer sprachen nur von ,,'in Mantüffel sin Kanal"; in Lothringen
hatte von jeher das Schicksal des Panamakanals näher gelegen als das des
Kanals im Rheinthale. Aber auch die Stadt Straßbnrg selbst, die bestimmt
schien, durch diesen Kanal die Rolle Mannheims zu übernehmen, zeigte
wellig Vereitwilligkeit zur Übernahme dieser Ausgabe. Der Bürgermeister der
Stadt Straßburg schien die Schaffung dieser Wasserverlnil dung für eine hoff¬
nungslose Angelegenheit zu halten, der Reichstagsabgeordnete für Straßbnrg
dagegen tröstete sich und die Versammlung über alle Zweifel mit der Ver¬
sicherung, daß die Angelegenheit des Kanals nicht so schlimm stehe, da es sich
nicht nur um ein Interesse des Neichslcmdes, sondern um ein Interesse des
Reiches handle. Das Reich dürfte aber wohl wenig Interesse daran haben,
dem schönen, musterhaft verwalteten Lande Baden mit feiner fleißigen, klugen
und strebsamen Bevölkerung, dem reichstreuesteu Bundesgenossen, der schon
durch die Industrie des Elsaß, durch die Neichseisenbahnen, durch die Universität
Straßburg u. s. w. stark geschädigt wird, den Wettbewerb mit dem Reichslande,
das seine Reichstreue erst noch zu erweise" hat, noch weiter zu erschweren.


Aus Elsaß-Lothringen

Aufgabe des Bundesrates wird dieser Antrag schwer bestehen. Aber auch an
diesem Beispiele kann man sehen, wie die Zentralisation die Leute gewöhnt hat,
statt der Selbsthilfe die Stantshilfe zu suchen, und das thun auch Bittsteller,
die keineswegs Freunde Deutschlands sind.

Ein andrer Initiativantrag aus dem Hause betraf die Vertiefung der
Kanäle, um den Anschluß an die französischen und die belgischen Wasserstraßen
zu erhalten. Neben diesem seit Jahren besprochenen Entwürfe waren es aber
noch zwei andre, die die öffentliche Meinung bewegten: die schon uuter fran¬
zösischer Herrschaft unternommene und dnrch den Krieg unterbrochene Kannli-
sirung der Mosel und die Herstellung einer Kanalverbindung zwischen Stra߬
burg und Ludwigshafen oder Speier. Keines dieser Vorhaben schloß das
andre aus, sie konnten neben einander bestehen; aber die Mittel des Landes
reichen nicht aus, um alle drei Aufgaben gleichzeitig in Angriff zu nehmen,
man mußte sich also darüber verständigen, welchem der drei Entwürfe zuerst
Unterstützung gewährt werden sollte. Solche Entscheidungen gehören aber in
einem kleinen Lande zu den schwierigsten Dingen. Im vorigen Jahre hatte
man beschlossen, die Entscheidung über die Verwendung sich vorbehaltend, einen
Kanalfvnds zum Allsbau und zur Verbesserung der bestehenden Wasserstraßen
zu bilden, um zunächst der einen oder andern der als besonders wichtig und
dringend anerkannten Anforderungen später gerecht werden zu können. Nach
Jahr und Tag aber hatte sich die Sachlage schon geändert. Die Kanalisirnng
der Mosel wird nicht mehr in Betracht gezogen; mau nahm an, und wohl
mit Recht, daß sich die Sache ohne Zuthun des Neichslnndes wegen des über¬
wiegenden Interesses Preußens von selbst machen würde. Für den Kanal
Straßbnrg-Ludwigshafen hatte man sich im Lande nie sonderlich erwärmt.
Die Oberelsässer sprachen nur von ,,'in Mantüffel sin Kanal"; in Lothringen
hatte von jeher das Schicksal des Panamakanals näher gelegen als das des
Kanals im Rheinthale. Aber auch die Stadt Straßbnrg selbst, die bestimmt
schien, durch diesen Kanal die Rolle Mannheims zu übernehmen, zeigte
wellig Vereitwilligkeit zur Übernahme dieser Ausgabe. Der Bürgermeister der
Stadt Straßburg schien die Schaffung dieser Wasserverlnil dung für eine hoff¬
nungslose Angelegenheit zu halten, der Reichstagsabgeordnete für Straßbnrg
dagegen tröstete sich und die Versammlung über alle Zweifel mit der Ver¬
sicherung, daß die Angelegenheit des Kanals nicht so schlimm stehe, da es sich
nicht nur um ein Interesse des Neichslcmdes, sondern um ein Interesse des
Reiches handle. Das Reich dürfte aber wohl wenig Interesse daran haben,
dem schönen, musterhaft verwalteten Lande Baden mit feiner fleißigen, klugen
und strebsamen Bevölkerung, dem reichstreuesteu Bundesgenossen, der schon
durch die Industrie des Elsaß, durch die Neichseisenbahnen, durch die Universität
Straßburg u. s. w. stark geschädigt wird, den Wettbewerb mit dem Reichslande,
das seine Reichstreue erst noch zu erweise« hat, noch weiter zu erschweren.


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[0264] Aus Elsaß-Lothringen Aufgabe des Bundesrates wird dieser Antrag schwer bestehen. Aber auch an diesem Beispiele kann man sehen, wie die Zentralisation die Leute gewöhnt hat, statt der Selbsthilfe die Stantshilfe zu suchen, und das thun auch Bittsteller, die keineswegs Freunde Deutschlands sind. Ein andrer Initiativantrag aus dem Hause betraf die Vertiefung der Kanäle, um den Anschluß an die französischen und die belgischen Wasserstraßen zu erhalten. Neben diesem seit Jahren besprochenen Entwürfe waren es aber noch zwei andre, die die öffentliche Meinung bewegten: die schon uuter fran¬ zösischer Herrschaft unternommene und dnrch den Krieg unterbrochene Kannli- sirung der Mosel und die Herstellung einer Kanalverbindung zwischen Stra߬ burg und Ludwigshafen oder Speier. Keines dieser Vorhaben schloß das andre aus, sie konnten neben einander bestehen; aber die Mittel des Landes reichen nicht aus, um alle drei Aufgaben gleichzeitig in Angriff zu nehmen, man mußte sich also darüber verständigen, welchem der drei Entwürfe zuerst Unterstützung gewährt werden sollte. Solche Entscheidungen gehören aber in einem kleinen Lande zu den schwierigsten Dingen. Im vorigen Jahre hatte man beschlossen, die Entscheidung über die Verwendung sich vorbehaltend, einen Kanalfvnds zum Allsbau und zur Verbesserung der bestehenden Wasserstraßen zu bilden, um zunächst der einen oder andern der als besonders wichtig und dringend anerkannten Anforderungen später gerecht werden zu können. Nach Jahr und Tag aber hatte sich die Sachlage schon geändert. Die Kanalisirnng der Mosel wird nicht mehr in Betracht gezogen; mau nahm an, und wohl mit Recht, daß sich die Sache ohne Zuthun des Neichslnndes wegen des über¬ wiegenden Interesses Preußens von selbst machen würde. Für den Kanal Straßbnrg-Ludwigshafen hatte man sich im Lande nie sonderlich erwärmt. Die Oberelsässer sprachen nur von ,,'in Mantüffel sin Kanal"; in Lothringen hatte von jeher das Schicksal des Panamakanals näher gelegen als das des Kanals im Rheinthale. Aber auch die Stadt Straßbnrg selbst, die bestimmt schien, durch diesen Kanal die Rolle Mannheims zu übernehmen, zeigte wellig Vereitwilligkeit zur Übernahme dieser Ausgabe. Der Bürgermeister der Stadt Straßburg schien die Schaffung dieser Wasserverlnil dung für eine hoff¬ nungslose Angelegenheit zu halten, der Reichstagsabgeordnete für Straßbnrg dagegen tröstete sich und die Versammlung über alle Zweifel mit der Ver¬ sicherung, daß die Angelegenheit des Kanals nicht so schlimm stehe, da es sich nicht nur um ein Interesse des Neichslcmdes, sondern um ein Interesse des Reiches handle. Das Reich dürfte aber wohl wenig Interesse daran haben, dem schönen, musterhaft verwalteten Lande Baden mit feiner fleißigen, klugen und strebsamen Bevölkerung, dem reichstreuesteu Bundesgenossen, der schon durch die Industrie des Elsaß, durch die Neichseisenbahnen, durch die Universität Straßburg u. s. w. stark geschädigt wird, den Wettbewerb mit dem Reichslande, das seine Reichstreue erst noch zu erweise« hat, noch weiter zu erschweren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/264>, abgerufen am 26.06.2024.