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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Aus Elsaß-Lothringen

ob ein Rufer in der Wüste durch andauernde Mißerfolge verdrossen geworden
wäre? Liegt es daran, daß verschiedne stets kampfesfrohe Gegner von der
Bildfläche verschwunden sind, oder daran, daß das anfängliche Mißtrauen
gegen die Negierung sich gemindert hat, oder endlich daran, daß die Einfüh¬
rung der deutschen Sprache die allgemeine Redelust eingeschränkt hat? Wir
wollen die Frage auf sich beruhen lassen und uns mit der Thatsache begnügen,
daß die Verhandlungen des Landesausschusses in den letzten Jahren an Zug¬
kraft eingebüßt habe", während früher wenigstens die erste Lesung des Etats
alljährlich ein kleines mit Spannung erwartetes und vielfach besprochenes Er¬
eignis bildete. Nur ab und zu ereignet es sich, daß ein Abgeordneter glaubt,
es sich und der Mitwelt oder doch der Nachwelt schuldig zu sein, daß er dieser
verstockten deutschen Regierung den Mahnruf zudvnnert: "Schüstizia est fon-
damentöm reguorvm!" als ob in der ehemaligen Prnfektur zu Straßburg, wo
nach der Dichtung Rückerts die alte Vvgesentanne unwillig über die Fremd¬
herrschaft krachte, heute noch statt des liebenswürdigen Fürsten v. Hohenlohe
ein Herzog Alba walte. Es ist aber auch gar nicht so schlimm gemeint; solche
Phrasen verfangen auch uicht mehr; deun im Stillen denkt sich doch jeder, daß
es sich "im Ländel" unter deutscher Verwaltung gar nicht schlecht lebe. Es
ist aber nicht zu verkennen, daß, seitdem die deutsche Geschäftssprache eingeführt
ist, die französische Presse sich nur uoch notdürftig mit unsern Kcnnmerver-
hnndlungeu beschäftigt; seitdem ist auch eine gewisse Sorgfalt in Haltung und
Rede, ein gewisser höherer Schwung, insbesondre die Phrase verschwunden.
Die Zuhörerschaft für die früher zum Fenster hinaus gesprochenen Reden fehlt
ja jetzt; Deutschlands wegen giebt man sich keine Mühe, man fühlt sich mehr
unter sich, und im Lande selbst würden in deutscher Sprache vorgetragene
Klagen über himmelschreiende Bedrückungen doch sofort als Übertreibungen
empfunden werden. Vor vielen Jahren hörten wir von einem vertraueus-
werten Zeugen eine Geschichte erzählen, die sich am Hofe des Königs Max I.
von Baiern zutrug, der seinerzeit in Straßburg als Oberst des Regiments
UvM-^lsg-vo gelebt hatte. Der junge bairische Graf N, der von der damals
noch üblichen Bildungsreise in Frankreich heimgekehrt war, glänzte am Hofe
in München durch die erstaunliche Fertigkeit, mit der er über Nichtigkeiten die
artigsten französischen Worte zu drechseln und die Zuhörer zu blenden ver¬
stand. Der alte Graf N, ein Urbaier, wortkarg und von einfacher Art, unter¬
brach einmal, empört über die Entartung des Sprößlings, den Wortschwall:
"Xaverl, sag amol dös auf gut boarisch." "Ach, warum nicht gar, widersprach
gutmütig der König, da würde ja kein Mensch dem Xaverl auch uur ein Wort
glaube"; das Feuerwerk ist abgebrannt, was wollen Sie noch nach den leeren
Hülsen suchen?" Ernster werdend fügte der König bei, er habe bei Ausbruch
der Revolution eine eigentümliche Erfahrung in seiner elsüssischen Grafschaft
Rappoltstein gemacht. Als die Einheimischen anfingen von "de Menscherachte"


Aus Elsaß-Lothringen

ob ein Rufer in der Wüste durch andauernde Mißerfolge verdrossen geworden
wäre? Liegt es daran, daß verschiedne stets kampfesfrohe Gegner von der
Bildfläche verschwunden sind, oder daran, daß das anfängliche Mißtrauen
gegen die Negierung sich gemindert hat, oder endlich daran, daß die Einfüh¬
rung der deutschen Sprache die allgemeine Redelust eingeschränkt hat? Wir
wollen die Frage auf sich beruhen lassen und uns mit der Thatsache begnügen,
daß die Verhandlungen des Landesausschusses in den letzten Jahren an Zug¬
kraft eingebüßt habe», während früher wenigstens die erste Lesung des Etats
alljährlich ein kleines mit Spannung erwartetes und vielfach besprochenes Er¬
eignis bildete. Nur ab und zu ereignet es sich, daß ein Abgeordneter glaubt,
es sich und der Mitwelt oder doch der Nachwelt schuldig zu sein, daß er dieser
verstockten deutschen Regierung den Mahnruf zudvnnert: „Schüstizia est fon-
damentöm reguorvm!" als ob in der ehemaligen Prnfektur zu Straßburg, wo
nach der Dichtung Rückerts die alte Vvgesentanne unwillig über die Fremd¬
herrschaft krachte, heute noch statt des liebenswürdigen Fürsten v. Hohenlohe
ein Herzog Alba walte. Es ist aber auch gar nicht so schlimm gemeint; solche
Phrasen verfangen auch uicht mehr; deun im Stillen denkt sich doch jeder, daß
es sich „im Ländel" unter deutscher Verwaltung gar nicht schlecht lebe. Es
ist aber nicht zu verkennen, daß, seitdem die deutsche Geschäftssprache eingeführt
ist, die französische Presse sich nur uoch notdürftig mit unsern Kcnnmerver-
hnndlungeu beschäftigt; seitdem ist auch eine gewisse Sorgfalt in Haltung und
Rede, ein gewisser höherer Schwung, insbesondre die Phrase verschwunden.
Die Zuhörerschaft für die früher zum Fenster hinaus gesprochenen Reden fehlt
ja jetzt; Deutschlands wegen giebt man sich keine Mühe, man fühlt sich mehr
unter sich, und im Lande selbst würden in deutscher Sprache vorgetragene
Klagen über himmelschreiende Bedrückungen doch sofort als Übertreibungen
empfunden werden. Vor vielen Jahren hörten wir von einem vertraueus-
werten Zeugen eine Geschichte erzählen, die sich am Hofe des Königs Max I.
von Baiern zutrug, der seinerzeit in Straßburg als Oberst des Regiments
UvM-^lsg-vo gelebt hatte. Der junge bairische Graf N, der von der damals
noch üblichen Bildungsreise in Frankreich heimgekehrt war, glänzte am Hofe
in München durch die erstaunliche Fertigkeit, mit der er über Nichtigkeiten die
artigsten französischen Worte zu drechseln und die Zuhörer zu blenden ver¬
stand. Der alte Graf N, ein Urbaier, wortkarg und von einfacher Art, unter¬
brach einmal, empört über die Entartung des Sprößlings, den Wortschwall:
„Xaverl, sag amol dös auf gut boarisch." „Ach, warum nicht gar, widersprach
gutmütig der König, da würde ja kein Mensch dem Xaverl auch uur ein Wort
glaube«; das Feuerwerk ist abgebrannt, was wollen Sie noch nach den leeren
Hülsen suchen?" Ernster werdend fügte der König bei, er habe bei Ausbruch
der Revolution eine eigentümliche Erfahrung in seiner elsüssischen Grafschaft
Rappoltstein gemacht. Als die Einheimischen anfingen von „de Menscherachte"


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[0259] Aus Elsaß-Lothringen ob ein Rufer in der Wüste durch andauernde Mißerfolge verdrossen geworden wäre? Liegt es daran, daß verschiedne stets kampfesfrohe Gegner von der Bildfläche verschwunden sind, oder daran, daß das anfängliche Mißtrauen gegen die Negierung sich gemindert hat, oder endlich daran, daß die Einfüh¬ rung der deutschen Sprache die allgemeine Redelust eingeschränkt hat? Wir wollen die Frage auf sich beruhen lassen und uns mit der Thatsache begnügen, daß die Verhandlungen des Landesausschusses in den letzten Jahren an Zug¬ kraft eingebüßt habe», während früher wenigstens die erste Lesung des Etats alljährlich ein kleines mit Spannung erwartetes und vielfach besprochenes Er¬ eignis bildete. Nur ab und zu ereignet es sich, daß ein Abgeordneter glaubt, es sich und der Mitwelt oder doch der Nachwelt schuldig zu sein, daß er dieser verstockten deutschen Regierung den Mahnruf zudvnnert: „Schüstizia est fon- damentöm reguorvm!" als ob in der ehemaligen Prnfektur zu Straßburg, wo nach der Dichtung Rückerts die alte Vvgesentanne unwillig über die Fremd¬ herrschaft krachte, heute noch statt des liebenswürdigen Fürsten v. Hohenlohe ein Herzog Alba walte. Es ist aber auch gar nicht so schlimm gemeint; solche Phrasen verfangen auch uicht mehr; deun im Stillen denkt sich doch jeder, daß es sich „im Ländel" unter deutscher Verwaltung gar nicht schlecht lebe. Es ist aber nicht zu verkennen, daß, seitdem die deutsche Geschäftssprache eingeführt ist, die französische Presse sich nur uoch notdürftig mit unsern Kcnnmerver- hnndlungeu beschäftigt; seitdem ist auch eine gewisse Sorgfalt in Haltung und Rede, ein gewisser höherer Schwung, insbesondre die Phrase verschwunden. Die Zuhörerschaft für die früher zum Fenster hinaus gesprochenen Reden fehlt ja jetzt; Deutschlands wegen giebt man sich keine Mühe, man fühlt sich mehr unter sich, und im Lande selbst würden in deutscher Sprache vorgetragene Klagen über himmelschreiende Bedrückungen doch sofort als Übertreibungen empfunden werden. Vor vielen Jahren hörten wir von einem vertraueus- werten Zeugen eine Geschichte erzählen, die sich am Hofe des Königs Max I. von Baiern zutrug, der seinerzeit in Straßburg als Oberst des Regiments UvM-^lsg-vo gelebt hatte. Der junge bairische Graf N, der von der damals noch üblichen Bildungsreise in Frankreich heimgekehrt war, glänzte am Hofe in München durch die erstaunliche Fertigkeit, mit der er über Nichtigkeiten die artigsten französischen Worte zu drechseln und die Zuhörer zu blenden ver¬ stand. Der alte Graf N, ein Urbaier, wortkarg und von einfacher Art, unter¬ brach einmal, empört über die Entartung des Sprößlings, den Wortschwall: „Xaverl, sag amol dös auf gut boarisch." „Ach, warum nicht gar, widersprach gutmütig der König, da würde ja kein Mensch dem Xaverl auch uur ein Wort glaube«; das Feuerwerk ist abgebrannt, was wollen Sie noch nach den leeren Hülsen suchen?" Ernster werdend fügte der König bei, er habe bei Ausbruch der Revolution eine eigentümliche Erfahrung in seiner elsüssischen Grafschaft Rappoltstein gemacht. Als die Einheimischen anfingen von „de Menscherachte"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/259>, abgerufen am 25.07.2024.