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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Geschichte, die er uns im "Hans Volkmar" erzählt, ist an sich recht
hübsch. Sie spielt im vierten Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts an ver-
schiednen Orten: in Nürnberg, in Rom, vor der von den Türken belagerten
Festung Ofen. Ans dem sparsam geschilderten Hintergründe der Zeit will uns
die Dichtung den Bildungsgang eines großen Talentes von der Jngend bis
zur vollen Reife vor Angen stellen. Hans Volkmars Vater ist ein begabter
Schüler Albrecht Dürers gewesen:, den die leidenschaftlichste Sehnsucht nach
hoher .Kunst dazu trieb, sein junges Weib zu verlassen und nach Rom zu
pilgern. Dort aber ist er gestorben, gerade als er sich satt genug um den
Herrlichkeiten der damals gewaltig aufblühenden neuen Kunst gesehen hatte;
sein verlassenes Weib ist in Nürnberg vor Sehnsucht nach dem fernen Gatten
gestorben und hat den jungen Hans dem Hausgenossen und Freunde ihres
Mannes, Filippo, hinterlassen. Hans wächst in der Obhut des treuen, väterlich
gesinnten Mannes heran und verrät sehr früh hohe künstlerische Begabung,
ein Erbteil des Vaters. Auch er wird von Sehnsucht getrieben, Italien zu
sehen. In der Nürnberger Heimat haben sie es noch nicht über das Kunst¬
handwerk hinaufgebracht; die hohe, zwecklose Kunst erscheint den nüchternen
Zunftgenossen als eine unglückliche Schwärmerei. Hans leistet deshalb nur
wenig in der Znnftschule, und der ganze Gegensatz der neuen und der alten
Zeit bricht hervor, als Haus bei dem Meister Fred um die Hand seiner
Jugendfreundin Maria wirbt. Die beiden Männer verstehen sich bei aller
Reinheit der Gesinnung nicht -- ein feines dichterisches Motiv. Verstärkt wird
die Abneigung des Alten gegen den Jungen noch durch ein andres Motiv.
Frey hat die Mutter des Hans geliebt, die sich damals für den zugereister
genialen Volkmar entschied; den dnrch Vvlkmars Reise nach Italien bewirkten
frühen Tod der schönen Fran kann der alte Frey seinem Nebenbuhler selbst
im Grabe nicht verzeihen. Da Hans so sehr seinem Vater im Charakter und
in der Gesichtsbildung gleicht, will ihm Frey seine Tochter nicht geben.
Dennoch läßt er sich herbei, den Liebenden zwei Jahre Bedenkzeit zu geben;
ist Hans dann ein erwerbsfähiger Mann geworden, so soll er Maria heim¬
führen. Das ist alles ebenso schlicht als wahr erfunden. Die zwei Jahre
nun dienen dazu, Hans sowohl als Maun wie als Künstler zu klären, reif
werden zu lassen. Er wird halb unwillig in den Krieg gegen die Türken
hineingerissen. Wir erhalten hübsche Schilderungen des Landsknechtstreibens
und der politischen Lage der Zeit in der zweiten Hälfte der Regierung Karls des
Fünften. Im Kriege zum Manne gehämmert, kommt er dann nach Venedig
und lernt das Haus und die Kunst Tizians kennen. Eine feine Episode
schildert ihn da in den Banden einer reichen adlichen venetianischen Witwe.
Hans muß nämlich die wahre Liebe von der künstlerischen Begeisterung für
schöne Frauen auf seinem Bildungsgange unterscheiden lernen. Dann gelangt
er nach Rom und dort in persönlichen Verkehr mit Michel Angelo, der


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Die Geschichte, die er uns im „Hans Volkmar" erzählt, ist an sich recht
hübsch. Sie spielt im vierten Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts an ver-
schiednen Orten: in Nürnberg, in Rom, vor der von den Türken belagerten
Festung Ofen. Ans dem sparsam geschilderten Hintergründe der Zeit will uns
die Dichtung den Bildungsgang eines großen Talentes von der Jngend bis
zur vollen Reife vor Angen stellen. Hans Volkmars Vater ist ein begabter
Schüler Albrecht Dürers gewesen:, den die leidenschaftlichste Sehnsucht nach
hoher .Kunst dazu trieb, sein junges Weib zu verlassen und nach Rom zu
pilgern. Dort aber ist er gestorben, gerade als er sich satt genug um den
Herrlichkeiten der damals gewaltig aufblühenden neuen Kunst gesehen hatte;
sein verlassenes Weib ist in Nürnberg vor Sehnsucht nach dem fernen Gatten
gestorben und hat den jungen Hans dem Hausgenossen und Freunde ihres
Mannes, Filippo, hinterlassen. Hans wächst in der Obhut des treuen, väterlich
gesinnten Mannes heran und verrät sehr früh hohe künstlerische Begabung,
ein Erbteil des Vaters. Auch er wird von Sehnsucht getrieben, Italien zu
sehen. In der Nürnberger Heimat haben sie es noch nicht über das Kunst¬
handwerk hinaufgebracht; die hohe, zwecklose Kunst erscheint den nüchternen
Zunftgenossen als eine unglückliche Schwärmerei. Hans leistet deshalb nur
wenig in der Znnftschule, und der ganze Gegensatz der neuen und der alten
Zeit bricht hervor, als Haus bei dem Meister Fred um die Hand seiner
Jugendfreundin Maria wirbt. Die beiden Männer verstehen sich bei aller
Reinheit der Gesinnung nicht — ein feines dichterisches Motiv. Verstärkt wird
die Abneigung des Alten gegen den Jungen noch durch ein andres Motiv.
Frey hat die Mutter des Hans geliebt, die sich damals für den zugereister
genialen Volkmar entschied; den dnrch Vvlkmars Reise nach Italien bewirkten
frühen Tod der schönen Fran kann der alte Frey seinem Nebenbuhler selbst
im Grabe nicht verzeihen. Da Hans so sehr seinem Vater im Charakter und
in der Gesichtsbildung gleicht, will ihm Frey seine Tochter nicht geben.
Dennoch läßt er sich herbei, den Liebenden zwei Jahre Bedenkzeit zu geben;
ist Hans dann ein erwerbsfähiger Mann geworden, so soll er Maria heim¬
führen. Das ist alles ebenso schlicht als wahr erfunden. Die zwei Jahre
nun dienen dazu, Hans sowohl als Maun wie als Künstler zu klären, reif
werden zu lassen. Er wird halb unwillig in den Krieg gegen die Türken
hineingerissen. Wir erhalten hübsche Schilderungen des Landsknechtstreibens
und der politischen Lage der Zeit in der zweiten Hälfte der Regierung Karls des
Fünften. Im Kriege zum Manne gehämmert, kommt er dann nach Venedig
und lernt das Haus und die Kunst Tizians kennen. Eine feine Episode
schildert ihn da in den Banden einer reichen adlichen venetianischen Witwe.
Hans muß nämlich die wahre Liebe von der künstlerischen Begeisterung für
schöne Frauen auf seinem Bildungsgange unterscheiden lernen. Dann gelangt
er nach Rom und dort in persönlichen Verkehr mit Michel Angelo, der


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[0024] Neue Gxik Die Geschichte, die er uns im „Hans Volkmar" erzählt, ist an sich recht hübsch. Sie spielt im vierten Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts an ver- schiednen Orten: in Nürnberg, in Rom, vor der von den Türken belagerten Festung Ofen. Ans dem sparsam geschilderten Hintergründe der Zeit will uns die Dichtung den Bildungsgang eines großen Talentes von der Jngend bis zur vollen Reife vor Angen stellen. Hans Volkmars Vater ist ein begabter Schüler Albrecht Dürers gewesen:, den die leidenschaftlichste Sehnsucht nach hoher .Kunst dazu trieb, sein junges Weib zu verlassen und nach Rom zu pilgern. Dort aber ist er gestorben, gerade als er sich satt genug um den Herrlichkeiten der damals gewaltig aufblühenden neuen Kunst gesehen hatte; sein verlassenes Weib ist in Nürnberg vor Sehnsucht nach dem fernen Gatten gestorben und hat den jungen Hans dem Hausgenossen und Freunde ihres Mannes, Filippo, hinterlassen. Hans wächst in der Obhut des treuen, väterlich gesinnten Mannes heran und verrät sehr früh hohe künstlerische Begabung, ein Erbteil des Vaters. Auch er wird von Sehnsucht getrieben, Italien zu sehen. In der Nürnberger Heimat haben sie es noch nicht über das Kunst¬ handwerk hinaufgebracht; die hohe, zwecklose Kunst erscheint den nüchternen Zunftgenossen als eine unglückliche Schwärmerei. Hans leistet deshalb nur wenig in der Znnftschule, und der ganze Gegensatz der neuen und der alten Zeit bricht hervor, als Haus bei dem Meister Fred um die Hand seiner Jugendfreundin Maria wirbt. Die beiden Männer verstehen sich bei aller Reinheit der Gesinnung nicht — ein feines dichterisches Motiv. Verstärkt wird die Abneigung des Alten gegen den Jungen noch durch ein andres Motiv. Frey hat die Mutter des Hans geliebt, die sich damals für den zugereister genialen Volkmar entschied; den dnrch Vvlkmars Reise nach Italien bewirkten frühen Tod der schönen Fran kann der alte Frey seinem Nebenbuhler selbst im Grabe nicht verzeihen. Da Hans so sehr seinem Vater im Charakter und in der Gesichtsbildung gleicht, will ihm Frey seine Tochter nicht geben. Dennoch läßt er sich herbei, den Liebenden zwei Jahre Bedenkzeit zu geben; ist Hans dann ein erwerbsfähiger Mann geworden, so soll er Maria heim¬ führen. Das ist alles ebenso schlicht als wahr erfunden. Die zwei Jahre nun dienen dazu, Hans sowohl als Maun wie als Künstler zu klären, reif werden zu lassen. Er wird halb unwillig in den Krieg gegen die Türken hineingerissen. Wir erhalten hübsche Schilderungen des Landsknechtstreibens und der politischen Lage der Zeit in der zweiten Hälfte der Regierung Karls des Fünften. Im Kriege zum Manne gehämmert, kommt er dann nach Venedig und lernt das Haus und die Kunst Tizians kennen. Eine feine Episode schildert ihn da in den Banden einer reichen adlichen venetianischen Witwe. Hans muß nämlich die wahre Liebe von der künstlerischen Begeisterung für schöne Frauen auf seinem Bildungsgange unterscheiden lernen. Dann gelangt er nach Rom und dort in persönlichen Verkehr mit Michel Angelo, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/24>, abgerufen am 26.06.2024.