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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Schweden Schnarf-Alquist offenbart sich ein Grad malerischer Darstelluugs-
fähigkeit, den Eduard Hildebrandt, der maßlos gefeierte "Maler des Kosmos,"
niemals erreicht hat. Was diesem trotz heißen Bemühens nicht gelingen wollte,
die Bläue des Meerwassers unter den Tropen in der Mannichfaltigkeit ihrer
Tone, in ihrer durchsichtigen Klarheit und Leuchtkraft mit überzeugender Wahr¬
heit wiederzugeben, scheint den genannten jungen Malern keine Schwierigkeiten
mehr zu bereiten. Unsre Genremaler sind in der Kunst, uus die Menschen
vergangener Zeiten in ihrer Tracht, ihrer Bewaffnung, ihrem Gebahren und
ihrer Umgebung leibhaftig und mit vollkommener geschichtlicher Treue vorzu¬
führen, so weit gediehen, daß sie sich vor der wetteifernden Wirklichkeit der
Kostümfeste und historischen Festzuge, in denen solche Maskeraden von lebendigen
Menschen unsrer Tage nachgespielt werden, nicht zu scheuen brauchen. Alle
Vvrbereitungsstufen sind also überwunden, alle Hilfsmittel in wünschenswerter
Fülle vorhanden, und doch sucht man uuter den Werken der Staffeleimalerei
vergebens nach einem Anlauf zu großer Kunst, zu hohem Schwunge oder auch
nur zu großer Anschauung. Wo einer ins Große geht, gerät er entweder in
Roheit der Darstellung, vielleicht weil er glaubt, dadurch am schnellsten und
leichtesten zu einer starken Wirkung zu gelangen, oder es geht bei gleichmäßig
sorgfältiger Durchführung aller Teile der Geist, der diese Teile zu durchdrungen
hat, verloren, und es gähnt uns eine frostige Leere entgegen. Zwei Beispiele
für das eine und das andre mögen genügen. Theodor Rocholl, ein ans der
Düsseldorfer Schule hervorgcgangener Maler, der bisher in großen Darstel¬
lungen aus dem deutsch-französischen Kriege, insbesondre ans den Kämpfen vor
Metz, ein schönes Talent für dramatische, lebensvolle Schilderung, verbunden
mit einer reichen koloristischen Begabung, gezeigt hatte, hat eine Episode ans
König Wilhelms Ritt am Tage nach der Schlacht bei sedem geniale, wie der
von Bismarck begleitete königliche Sieger vor einer Gruppe preußischer und
bairischer Soldaten verschiedner Waffengattungen, die ihn von allen Seiten
jubelnd umdrängen, Halt macht und einem Verwundeten die Hand drückt. In
dem Ausdruck der wilden, leidenschaftlichen Erregtheit, die noch in den Ge¬
sichtern und Geberden der von Kampfeswut und der Hitze des September¬
nachmittags glühenden Soldaten zuckt, hat der Künstler einen fast unheimlichen
Grad von Wahrheit erreicht, der aber im Grunde mehr abstößt als anzieht.
Wir sind nicht so zimperlich, die Augen gegen die Wahrnehmung zu verschließen,
daß nach einer solchen Blutarbeit die Bestie im Menschen wachgerüttelt wird
und daß der Mensch das natürliche Bedürfnis hat, sie durch irgend eine Kraft-
äußerung, hier dnrch betäubenden Jnbel mit Hurrahrufen, wieder zur Ruhe
zu bringen. Aber so lange die Kunst noch nicht so völlig in die Natur auf¬
gegangen ist, daß sie keine andre Aufgabe mehr zu erfüllen hat als die, die
Natur nachzuahmen, daß sie also auf jegliche Selbständigkeit verzichtet hat, so
lange wird der ästhetisch fühlende Mensch behaupten dürfen, daß Schilderungen


Schweden Schnarf-Alquist offenbart sich ein Grad malerischer Darstelluugs-
fähigkeit, den Eduard Hildebrandt, der maßlos gefeierte „Maler des Kosmos,"
niemals erreicht hat. Was diesem trotz heißen Bemühens nicht gelingen wollte,
die Bläue des Meerwassers unter den Tropen in der Mannichfaltigkeit ihrer
Tone, in ihrer durchsichtigen Klarheit und Leuchtkraft mit überzeugender Wahr¬
heit wiederzugeben, scheint den genannten jungen Malern keine Schwierigkeiten
mehr zu bereiten. Unsre Genremaler sind in der Kunst, uus die Menschen
vergangener Zeiten in ihrer Tracht, ihrer Bewaffnung, ihrem Gebahren und
ihrer Umgebung leibhaftig und mit vollkommener geschichtlicher Treue vorzu¬
führen, so weit gediehen, daß sie sich vor der wetteifernden Wirklichkeit der
Kostümfeste und historischen Festzuge, in denen solche Maskeraden von lebendigen
Menschen unsrer Tage nachgespielt werden, nicht zu scheuen brauchen. Alle
Vvrbereitungsstufen sind also überwunden, alle Hilfsmittel in wünschenswerter
Fülle vorhanden, und doch sucht man uuter den Werken der Staffeleimalerei
vergebens nach einem Anlauf zu großer Kunst, zu hohem Schwunge oder auch
nur zu großer Anschauung. Wo einer ins Große geht, gerät er entweder in
Roheit der Darstellung, vielleicht weil er glaubt, dadurch am schnellsten und
leichtesten zu einer starken Wirkung zu gelangen, oder es geht bei gleichmäßig
sorgfältiger Durchführung aller Teile der Geist, der diese Teile zu durchdrungen
hat, verloren, und es gähnt uns eine frostige Leere entgegen. Zwei Beispiele
für das eine und das andre mögen genügen. Theodor Rocholl, ein ans der
Düsseldorfer Schule hervorgcgangener Maler, der bisher in großen Darstel¬
lungen aus dem deutsch-französischen Kriege, insbesondre ans den Kämpfen vor
Metz, ein schönes Talent für dramatische, lebensvolle Schilderung, verbunden
mit einer reichen koloristischen Begabung, gezeigt hatte, hat eine Episode ans
König Wilhelms Ritt am Tage nach der Schlacht bei sedem geniale, wie der
von Bismarck begleitete königliche Sieger vor einer Gruppe preußischer und
bairischer Soldaten verschiedner Waffengattungen, die ihn von allen Seiten
jubelnd umdrängen, Halt macht und einem Verwundeten die Hand drückt. In
dem Ausdruck der wilden, leidenschaftlichen Erregtheit, die noch in den Ge¬
sichtern und Geberden der von Kampfeswut und der Hitze des September¬
nachmittags glühenden Soldaten zuckt, hat der Künstler einen fast unheimlichen
Grad von Wahrheit erreicht, der aber im Grunde mehr abstößt als anzieht.
Wir sind nicht so zimperlich, die Augen gegen die Wahrnehmung zu verschließen,
daß nach einer solchen Blutarbeit die Bestie im Menschen wachgerüttelt wird
und daß der Mensch das natürliche Bedürfnis hat, sie durch irgend eine Kraft-
äußerung, hier dnrch betäubenden Jnbel mit Hurrahrufen, wieder zur Ruhe
zu bringen. Aber so lange die Kunst noch nicht so völlig in die Natur auf¬
gegangen ist, daß sie keine andre Aufgabe mehr zu erfüllen hat als die, die
Natur nachzuahmen, daß sie also auf jegliche Selbständigkeit verzichtet hat, so
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[0228] Schweden Schnarf-Alquist offenbart sich ein Grad malerischer Darstelluugs- fähigkeit, den Eduard Hildebrandt, der maßlos gefeierte „Maler des Kosmos," niemals erreicht hat. Was diesem trotz heißen Bemühens nicht gelingen wollte, die Bläue des Meerwassers unter den Tropen in der Mannichfaltigkeit ihrer Tone, in ihrer durchsichtigen Klarheit und Leuchtkraft mit überzeugender Wahr¬ heit wiederzugeben, scheint den genannten jungen Malern keine Schwierigkeiten mehr zu bereiten. Unsre Genremaler sind in der Kunst, uus die Menschen vergangener Zeiten in ihrer Tracht, ihrer Bewaffnung, ihrem Gebahren und ihrer Umgebung leibhaftig und mit vollkommener geschichtlicher Treue vorzu¬ führen, so weit gediehen, daß sie sich vor der wetteifernden Wirklichkeit der Kostümfeste und historischen Festzuge, in denen solche Maskeraden von lebendigen Menschen unsrer Tage nachgespielt werden, nicht zu scheuen brauchen. Alle Vvrbereitungsstufen sind also überwunden, alle Hilfsmittel in wünschenswerter Fülle vorhanden, und doch sucht man uuter den Werken der Staffeleimalerei vergebens nach einem Anlauf zu großer Kunst, zu hohem Schwunge oder auch nur zu großer Anschauung. Wo einer ins Große geht, gerät er entweder in Roheit der Darstellung, vielleicht weil er glaubt, dadurch am schnellsten und leichtesten zu einer starken Wirkung zu gelangen, oder es geht bei gleichmäßig sorgfältiger Durchführung aller Teile der Geist, der diese Teile zu durchdrungen hat, verloren, und es gähnt uns eine frostige Leere entgegen. Zwei Beispiele für das eine und das andre mögen genügen. Theodor Rocholl, ein ans der Düsseldorfer Schule hervorgcgangener Maler, der bisher in großen Darstel¬ lungen aus dem deutsch-französischen Kriege, insbesondre ans den Kämpfen vor Metz, ein schönes Talent für dramatische, lebensvolle Schilderung, verbunden mit einer reichen koloristischen Begabung, gezeigt hatte, hat eine Episode ans König Wilhelms Ritt am Tage nach der Schlacht bei sedem geniale, wie der von Bismarck begleitete königliche Sieger vor einer Gruppe preußischer und bairischer Soldaten verschiedner Waffengattungen, die ihn von allen Seiten jubelnd umdrängen, Halt macht und einem Verwundeten die Hand drückt. In dem Ausdruck der wilden, leidenschaftlichen Erregtheit, die noch in den Ge¬ sichtern und Geberden der von Kampfeswut und der Hitze des September¬ nachmittags glühenden Soldaten zuckt, hat der Künstler einen fast unheimlichen Grad von Wahrheit erreicht, der aber im Grunde mehr abstößt als anzieht. Wir sind nicht so zimperlich, die Augen gegen die Wahrnehmung zu verschließen, daß nach einer solchen Blutarbeit die Bestie im Menschen wachgerüttelt wird und daß der Mensch das natürliche Bedürfnis hat, sie durch irgend eine Kraft- äußerung, hier dnrch betäubenden Jnbel mit Hurrahrufen, wieder zur Ruhe zu bringen. Aber so lange die Kunst noch nicht so völlig in die Natur auf¬ gegangen ist, daß sie keine andre Aufgabe mehr zu erfüllen hat als die, die Natur nachzuahmen, daß sie also auf jegliche Selbständigkeit verzichtet hat, so lange wird der ästhetisch fühlende Mensch behaupten dürfen, daß Schilderungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/228>, abgerufen am 25.07.2024.