Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die akademische Uttnstausstellung in Berlin

und ihren Geistesverwandten heilig und unverletzlich waren. Die Technik der
Pastell- nud Aquarellmalerei ist zu einem Umfang und zu einer Kraft des
Ausdrucks entwickelt worden, die der Kunstübung früherer Jahrhunderte un¬
bekannt waren, und in einigen Zweigen der graphischen Künste, besonders in
der Radirung und der Heliogravüre, die unserm auf Massenerzeugung und
Massenverbrauch angelegten Zeitalter besonders sympathisch sind, haben wir
es so herrlich weit gebracht, daß bei diesem Wettlauf fortschreitender Nepro-
duktiousverfahren dein schwerfällig nebenher trottendeu Kupferstich der Atem
ausgegangen ist. Die Bildhauerkunst endlich hat sich einerseits redliche Mühe
gegeben, den monumentalen Stil mit Ernst und Würde zu Pflegen, anderseits
hat sie Beweglichkeit genug gezeigt, um in der realistischen Wiedergabe des
Lebens, in der unbefangenen Natürlichkeit und naiven Anmut mit den Meistern
der Kleinplastik, den Italienern, zu wetteifern.

Der Vorwurf des Rückganges würde also streng genommen nur auf der
Staffeleimalerei haften bleiben, und die Physiognomie unsrer Ausstellung zeigt
in der That, daß dieser Borwurf begründet ist, wobei wir freilich die schon
oben gemachte Einschränkung nicht vergessen dürfen, daß wir nicht die Physio¬
gnomie der Malerei Deutschlands, sondern nur die der Malerei Preußens,
insbesondre Berlins, vor uns haben. Es ist ein eigentümliches Verhängnis,
daß die allgemeine geistige Verflachung und Verödung, die den am meisten
hervortretenden Charakterzug dieser Physiognomie bilden, gerade in einer Zeit
überHand genommen haben, wo die deutsche Malerei nach langem Ringen endlich
über alle äußern Mitteln der Darstellung eine Herrschaft errungen hat, die sie
vordem nie besessen hatte. Unsre Blumen- und Stilllebemnaler haben sowohl
an Glanz und Pracht des Kolorits wie in der die Wirklichkeit zurückspiegelnden
Wiedergabe jeglichen Kleinkrams die alten Niederländer erreicht, an Umfang
und Reichtum ihrer Kompositionen sogar übertroffen. Von einem historischen
Stillleben z. B. im Stile des viel berufenen Avr8 impvrator, dessen Urheberin,
Hermine von Preuschen, durch seinen zweifelhaften Erfolg nicht abgeschreckt worden
ist, unsre Ausstellung mit einem ähnlichen Gebilde, einer auf der Lagune cinhcr-
gleitenden, reich mit Vlumeu bestreuten Gondel mit der Leiche der Irene von
Spilimberg, einer Schülerin Tizians, zu beschicken, haben sich die alten Nieder¬
länder nichts träumen lassen. Unsre Landschafts- und Marinemaler umspannen
den ganzen Erdkreis. Sie dringen mit den Forschungsreisenden in das Innere
Afrikas und begleiten die Nordpolsucher auf ihrer entbehrungsvollen Fahrt.
Sie nehmen an wissenschaftlichen Seereisen teil, die ihnen gestatten, monatelang
das Meer unter alleu Breitegraden, zu allen Jahres-, Tages- und Nachtzeiten,
bei alle" Luft- und Lichterscheinungen zu beobachten und alle schnell vorüber¬
gehenden Erscheinungen in Öl- und Wasserfarbenstudien festzuhalten. In den
Mariueu Richard Eschkes, der im vorigen Jahre mit der Planktou-Expedition
eine große Ozeanfahrt gemacht hat, wie in denen des in Berlin thätigen


Die akademische Uttnstausstellung in Berlin

und ihren Geistesverwandten heilig und unverletzlich waren. Die Technik der
Pastell- nud Aquarellmalerei ist zu einem Umfang und zu einer Kraft des
Ausdrucks entwickelt worden, die der Kunstübung früherer Jahrhunderte un¬
bekannt waren, und in einigen Zweigen der graphischen Künste, besonders in
der Radirung und der Heliogravüre, die unserm auf Massenerzeugung und
Massenverbrauch angelegten Zeitalter besonders sympathisch sind, haben wir
es so herrlich weit gebracht, daß bei diesem Wettlauf fortschreitender Nepro-
duktiousverfahren dein schwerfällig nebenher trottendeu Kupferstich der Atem
ausgegangen ist. Die Bildhauerkunst endlich hat sich einerseits redliche Mühe
gegeben, den monumentalen Stil mit Ernst und Würde zu Pflegen, anderseits
hat sie Beweglichkeit genug gezeigt, um in der realistischen Wiedergabe des
Lebens, in der unbefangenen Natürlichkeit und naiven Anmut mit den Meistern
der Kleinplastik, den Italienern, zu wetteifern.

Der Vorwurf des Rückganges würde also streng genommen nur auf der
Staffeleimalerei haften bleiben, und die Physiognomie unsrer Ausstellung zeigt
in der That, daß dieser Borwurf begründet ist, wobei wir freilich die schon
oben gemachte Einschränkung nicht vergessen dürfen, daß wir nicht die Physio¬
gnomie der Malerei Deutschlands, sondern nur die der Malerei Preußens,
insbesondre Berlins, vor uns haben. Es ist ein eigentümliches Verhängnis,
daß die allgemeine geistige Verflachung und Verödung, die den am meisten
hervortretenden Charakterzug dieser Physiognomie bilden, gerade in einer Zeit
überHand genommen haben, wo die deutsche Malerei nach langem Ringen endlich
über alle äußern Mitteln der Darstellung eine Herrschaft errungen hat, die sie
vordem nie besessen hatte. Unsre Blumen- und Stilllebemnaler haben sowohl
an Glanz und Pracht des Kolorits wie in der die Wirklichkeit zurückspiegelnden
Wiedergabe jeglichen Kleinkrams die alten Niederländer erreicht, an Umfang
und Reichtum ihrer Kompositionen sogar übertroffen. Von einem historischen
Stillleben z. B. im Stile des viel berufenen Avr8 impvrator, dessen Urheberin,
Hermine von Preuschen, durch seinen zweifelhaften Erfolg nicht abgeschreckt worden
ist, unsre Ausstellung mit einem ähnlichen Gebilde, einer auf der Lagune cinhcr-
gleitenden, reich mit Vlumeu bestreuten Gondel mit der Leiche der Irene von
Spilimberg, einer Schülerin Tizians, zu beschicken, haben sich die alten Nieder¬
länder nichts träumen lassen. Unsre Landschafts- und Marinemaler umspannen
den ganzen Erdkreis. Sie dringen mit den Forschungsreisenden in das Innere
Afrikas und begleiten die Nordpolsucher auf ihrer entbehrungsvollen Fahrt.
Sie nehmen an wissenschaftlichen Seereisen teil, die ihnen gestatten, monatelang
das Meer unter alleu Breitegraden, zu allen Jahres-, Tages- und Nachtzeiten,
bei alle» Luft- und Lichterscheinungen zu beobachten und alle schnell vorüber¬
gehenden Erscheinungen in Öl- und Wasserfarbenstudien festzuhalten. In den
Mariueu Richard Eschkes, der im vorigen Jahre mit der Planktou-Expedition
eine große Ozeanfahrt gemacht hat, wie in denen des in Berlin thätigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208164"/>
          <fw type="header" place="top"> Die akademische Uttnstausstellung in Berlin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_619" prev="#ID_618"> und ihren Geistesverwandten heilig und unverletzlich waren. Die Technik der<lb/>
Pastell- nud Aquarellmalerei ist zu einem Umfang und zu einer Kraft des<lb/>
Ausdrucks entwickelt worden, die der Kunstübung früherer Jahrhunderte un¬<lb/>
bekannt waren, und in einigen Zweigen der graphischen Künste, besonders in<lb/>
der Radirung und der Heliogravüre, die unserm auf Massenerzeugung und<lb/>
Massenverbrauch angelegten Zeitalter besonders sympathisch sind, haben wir<lb/>
es so herrlich weit gebracht, daß bei diesem Wettlauf fortschreitender Nepro-<lb/>
duktiousverfahren dein schwerfällig nebenher trottendeu Kupferstich der Atem<lb/>
ausgegangen ist. Die Bildhauerkunst endlich hat sich einerseits redliche Mühe<lb/>
gegeben, den monumentalen Stil mit Ernst und Würde zu Pflegen, anderseits<lb/>
hat sie Beweglichkeit genug gezeigt, um in der realistischen Wiedergabe des<lb/>
Lebens, in der unbefangenen Natürlichkeit und naiven Anmut mit den Meistern<lb/>
der Kleinplastik, den Italienern, zu wetteifern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_620" next="#ID_621"> Der Vorwurf des Rückganges würde also streng genommen nur auf der<lb/>
Staffeleimalerei haften bleiben, und die Physiognomie unsrer Ausstellung zeigt<lb/>
in der That, daß dieser Borwurf begründet ist, wobei wir freilich die schon<lb/>
oben gemachte Einschränkung nicht vergessen dürfen, daß wir nicht die Physio¬<lb/>
gnomie der Malerei Deutschlands, sondern nur die der Malerei Preußens,<lb/>
insbesondre Berlins, vor uns haben. Es ist ein eigentümliches Verhängnis,<lb/>
daß die allgemeine geistige Verflachung und Verödung, die den am meisten<lb/>
hervortretenden Charakterzug dieser Physiognomie bilden, gerade in einer Zeit<lb/>
überHand genommen haben, wo die deutsche Malerei nach langem Ringen endlich<lb/>
über alle äußern Mitteln der Darstellung eine Herrschaft errungen hat, die sie<lb/>
vordem nie besessen hatte. Unsre Blumen- und Stilllebemnaler haben sowohl<lb/>
an Glanz und Pracht des Kolorits wie in der die Wirklichkeit zurückspiegelnden<lb/>
Wiedergabe jeglichen Kleinkrams die alten Niederländer erreicht, an Umfang<lb/>
und Reichtum ihrer Kompositionen sogar übertroffen. Von einem historischen<lb/>
Stillleben z. B. im Stile des viel berufenen Avr8 impvrator, dessen Urheberin,<lb/>
Hermine von Preuschen, durch seinen zweifelhaften Erfolg nicht abgeschreckt worden<lb/>
ist, unsre Ausstellung mit einem ähnlichen Gebilde, einer auf der Lagune cinhcr-<lb/>
gleitenden, reich mit Vlumeu bestreuten Gondel mit der Leiche der Irene von<lb/>
Spilimberg, einer Schülerin Tizians, zu beschicken, haben sich die alten Nieder¬<lb/>
länder nichts träumen lassen. Unsre Landschafts- und Marinemaler umspannen<lb/>
den ganzen Erdkreis. Sie dringen mit den Forschungsreisenden in das Innere<lb/>
Afrikas und begleiten die Nordpolsucher auf ihrer entbehrungsvollen Fahrt.<lb/>
Sie nehmen an wissenschaftlichen Seereisen teil, die ihnen gestatten, monatelang<lb/>
das Meer unter alleu Breitegraden, zu allen Jahres-, Tages- und Nachtzeiten,<lb/>
bei alle» Luft- und Lichterscheinungen zu beobachten und alle schnell vorüber¬<lb/>
gehenden Erscheinungen in Öl- und Wasserfarbenstudien festzuhalten. In den<lb/>
Mariueu Richard Eschkes, der im vorigen Jahre mit der Planktou-Expedition<lb/>
eine große Ozeanfahrt gemacht hat, wie in denen des in Berlin thätigen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0227] Die akademische Uttnstausstellung in Berlin und ihren Geistesverwandten heilig und unverletzlich waren. Die Technik der Pastell- nud Aquarellmalerei ist zu einem Umfang und zu einer Kraft des Ausdrucks entwickelt worden, die der Kunstübung früherer Jahrhunderte un¬ bekannt waren, und in einigen Zweigen der graphischen Künste, besonders in der Radirung und der Heliogravüre, die unserm auf Massenerzeugung und Massenverbrauch angelegten Zeitalter besonders sympathisch sind, haben wir es so herrlich weit gebracht, daß bei diesem Wettlauf fortschreitender Nepro- duktiousverfahren dein schwerfällig nebenher trottendeu Kupferstich der Atem ausgegangen ist. Die Bildhauerkunst endlich hat sich einerseits redliche Mühe gegeben, den monumentalen Stil mit Ernst und Würde zu Pflegen, anderseits hat sie Beweglichkeit genug gezeigt, um in der realistischen Wiedergabe des Lebens, in der unbefangenen Natürlichkeit und naiven Anmut mit den Meistern der Kleinplastik, den Italienern, zu wetteifern. Der Vorwurf des Rückganges würde also streng genommen nur auf der Staffeleimalerei haften bleiben, und die Physiognomie unsrer Ausstellung zeigt in der That, daß dieser Borwurf begründet ist, wobei wir freilich die schon oben gemachte Einschränkung nicht vergessen dürfen, daß wir nicht die Physio¬ gnomie der Malerei Deutschlands, sondern nur die der Malerei Preußens, insbesondre Berlins, vor uns haben. Es ist ein eigentümliches Verhängnis, daß die allgemeine geistige Verflachung und Verödung, die den am meisten hervortretenden Charakterzug dieser Physiognomie bilden, gerade in einer Zeit überHand genommen haben, wo die deutsche Malerei nach langem Ringen endlich über alle äußern Mitteln der Darstellung eine Herrschaft errungen hat, die sie vordem nie besessen hatte. Unsre Blumen- und Stilllebemnaler haben sowohl an Glanz und Pracht des Kolorits wie in der die Wirklichkeit zurückspiegelnden Wiedergabe jeglichen Kleinkrams die alten Niederländer erreicht, an Umfang und Reichtum ihrer Kompositionen sogar übertroffen. Von einem historischen Stillleben z. B. im Stile des viel berufenen Avr8 impvrator, dessen Urheberin, Hermine von Preuschen, durch seinen zweifelhaften Erfolg nicht abgeschreckt worden ist, unsre Ausstellung mit einem ähnlichen Gebilde, einer auf der Lagune cinhcr- gleitenden, reich mit Vlumeu bestreuten Gondel mit der Leiche der Irene von Spilimberg, einer Schülerin Tizians, zu beschicken, haben sich die alten Nieder¬ länder nichts träumen lassen. Unsre Landschafts- und Marinemaler umspannen den ganzen Erdkreis. Sie dringen mit den Forschungsreisenden in das Innere Afrikas und begleiten die Nordpolsucher auf ihrer entbehrungsvollen Fahrt. Sie nehmen an wissenschaftlichen Seereisen teil, die ihnen gestatten, monatelang das Meer unter alleu Breitegraden, zu allen Jahres-, Tages- und Nachtzeiten, bei alle» Luft- und Lichterscheinungen zu beobachten und alle schnell vorüber¬ gehenden Erscheinungen in Öl- und Wasserfarbenstudien festzuhalten. In den Mariueu Richard Eschkes, der im vorigen Jahre mit der Planktou-Expedition eine große Ozeanfahrt gemacht hat, wie in denen des in Berlin thätigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/227
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/227>, abgerufen am 25.07.2024.