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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Das Heidentum in der römischen Rirche

dem eigentümlichen Geruch eines Menschen die Rede sein soll -- Jäger hat
das ja in die Mode gebracht --, so stellt man sich ihn bei solchen, die man
liebt und verehrt, lieber angenehm vor als das Gegenteil. Aber in der Haupt¬
sache ist dieser wohlriechende Josef von Copertin so unhellenisch wie möglich.
Sein spezifisches Aroma ist ihm nämlich, wie Trete auch selbst anführt, seiner
Reinheit, seiner Jungfräulichkeit wegen verliehen worden. Kann es einen
uuhelleuischeren Gedanken geben? Ein jungfräulicher Mann! Diese Vorstellung
wäre den Hellenen einfach unfaßbar und dabei höchst lächerlich vorgekommen.
Die Griechen kannten zwar jene orientalischen Kulte (und verabscheuten sie),
von deren Priestern Enthaltsamkeit gefordert wurde; aber sie wußten auch,
daß diese Enthaltsamkeit nur durch eine körperliche Operation bewirkt werden
konnte. Nicht als Götterliebling durch Wohlgeruch ausgezeichnet, sondern mit
übelriechende" Pestbeulen geschlagen würde der Verächter der Venus in einer
Volkssage erscheinen, die aus hellenischer Anschauung entsprungen wäre. Voll¬
kommen richtig hat Goethe in seiner Braut vou Korinth das hellenische Urteil
über das Keuschheitsideal der katholischen Kirche ausgedrückt, und in neuerer
Zeit spricht sich der italienische Arzt Mantegazza, der die antike Ansicht mit der
modern naturwissenschaftlichen verbindet, ganz ähnlich aus. Er nenut den
ägyptischen Josef einen dummen Heiligen, und meint, ein Jüngling, der vor
den Liebeswerbungen einer Frau entfliehe, sei verächtlicher als ein Eunuch.
Wenn es demnach auch den Italienern gar nicht einfällt, nach dem Wohl¬
geruch des seligen Josef von Cvpertin zu streben, ihren Geistlichen am aller¬
wenigsten, so liegt trotzdem in der Legende dieses Heiligen und in seiner Ver¬
ehrung ein ganz entschiedener Bruch mit der hellenischen Lebensansicht. Nicht
minder unbegründet ist es, wenn Trete die "Märlein" vom fliegenden Josef
nach dem Muster einer apokryphen Legende des Buches Daniel fabrizirt
sein läßt. Hier entführt ein Engel den Propheten Habaknk dnrch die
Luft; dieser wird also -- sofern man den Engel als Motor gelten lassen
will --, auf ganz mechanische Weise fortgebracht. Nach der fraglichen ita¬
lienischen Legende dagegen wurde Josef von Copertin durch die innere Kraft
seiner Liebe emporgerissen, und die Schwere seines Körpers wurde durch die
Lösung seiner Seele von allen Banden irdischer Begierden aufgehoben. Be¬
richtete die Legende wahres, so würde das innere, psychologische Wunder weit
größer sein, als das körperliche, in dein jenes seineu sinnlichen Ausdruck faud.
Dazu kommt, daß dieses körperliche Wunder in andern Fällen als dein des
Copertin von unsern heutigen Spiritisten und nnturwissenschaftlicheu Mystikern
für beglaubigt angenommen und "wissenschaftlich" erklärt wird; "medinmistische
Jnvitativn" (Verminderung des Körpergewichts oder Aufhebung der Schwer¬
kraft) lautet, wenn wir nicht irren, der Kunstausdruck dafür. Es sind Pro¬
testanten, und zwar teilweise solche, die sich durch starke Abneigung gegen den
Katholizismus auszeichnen, Naturforscher und Philosophen von bedeutendem


Das Heidentum in der römischen Rirche

dem eigentümlichen Geruch eines Menschen die Rede sein soll — Jäger hat
das ja in die Mode gebracht —, so stellt man sich ihn bei solchen, die man
liebt und verehrt, lieber angenehm vor als das Gegenteil. Aber in der Haupt¬
sache ist dieser wohlriechende Josef von Copertin so unhellenisch wie möglich.
Sein spezifisches Aroma ist ihm nämlich, wie Trete auch selbst anführt, seiner
Reinheit, seiner Jungfräulichkeit wegen verliehen worden. Kann es einen
uuhelleuischeren Gedanken geben? Ein jungfräulicher Mann! Diese Vorstellung
wäre den Hellenen einfach unfaßbar und dabei höchst lächerlich vorgekommen.
Die Griechen kannten zwar jene orientalischen Kulte (und verabscheuten sie),
von deren Priestern Enthaltsamkeit gefordert wurde; aber sie wußten auch,
daß diese Enthaltsamkeit nur durch eine körperliche Operation bewirkt werden
konnte. Nicht als Götterliebling durch Wohlgeruch ausgezeichnet, sondern mit
übelriechende» Pestbeulen geschlagen würde der Verächter der Venus in einer
Volkssage erscheinen, die aus hellenischer Anschauung entsprungen wäre. Voll¬
kommen richtig hat Goethe in seiner Braut vou Korinth das hellenische Urteil
über das Keuschheitsideal der katholischen Kirche ausgedrückt, und in neuerer
Zeit spricht sich der italienische Arzt Mantegazza, der die antike Ansicht mit der
modern naturwissenschaftlichen verbindet, ganz ähnlich aus. Er nenut den
ägyptischen Josef einen dummen Heiligen, und meint, ein Jüngling, der vor
den Liebeswerbungen einer Frau entfliehe, sei verächtlicher als ein Eunuch.
Wenn es demnach auch den Italienern gar nicht einfällt, nach dem Wohl¬
geruch des seligen Josef von Cvpertin zu streben, ihren Geistlichen am aller¬
wenigsten, so liegt trotzdem in der Legende dieses Heiligen und in seiner Ver¬
ehrung ein ganz entschiedener Bruch mit der hellenischen Lebensansicht. Nicht
minder unbegründet ist es, wenn Trete die „Märlein" vom fliegenden Josef
nach dem Muster einer apokryphen Legende des Buches Daniel fabrizirt
sein läßt. Hier entführt ein Engel den Propheten Habaknk dnrch die
Luft; dieser wird also — sofern man den Engel als Motor gelten lassen
will —, auf ganz mechanische Weise fortgebracht. Nach der fraglichen ita¬
lienischen Legende dagegen wurde Josef von Copertin durch die innere Kraft
seiner Liebe emporgerissen, und die Schwere seines Körpers wurde durch die
Lösung seiner Seele von allen Banden irdischer Begierden aufgehoben. Be¬
richtete die Legende wahres, so würde das innere, psychologische Wunder weit
größer sein, als das körperliche, in dein jenes seineu sinnlichen Ausdruck faud.
Dazu kommt, daß dieses körperliche Wunder in andern Fällen als dein des
Copertin von unsern heutigen Spiritisten und nnturwissenschaftlicheu Mystikern
für beglaubigt angenommen und „wissenschaftlich" erklärt wird; „medinmistische
Jnvitativn" (Verminderung des Körpergewichts oder Aufhebung der Schwer¬
kraft) lautet, wenn wir nicht irren, der Kunstausdruck dafür. Es sind Pro¬
testanten, und zwar teilweise solche, die sich durch starke Abneigung gegen den
Katholizismus auszeichnen, Naturforscher und Philosophen von bedeutendem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/222>, abgerufen am 25.07.2024.