Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.Der ehrliche Makler außer stände, eine Verständigung zwischen den beiden Lager" anzubahnen, die Um vieler Mund wird bei dieser Behauptung ein verächtliches Lächeln Der ehrliche Makler außer stände, eine Verständigung zwischen den beiden Lager» anzubahnen, die Um vieler Mund wird bei dieser Behauptung ein verächtliches Lächeln <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208091"/> <fw type="header" place="top"> Der ehrliche Makler</fw><lb/> <p xml:id="ID_418" prev="#ID_417"> außer stände, eine Verständigung zwischen den beiden Lager» anzubahnen, die<lb/> einem Waffenstillstande oder gar einem Frieden zur Grundlage dienen könnte.<lb/> Sie tragen die Schenklappen ihres Parteistandpunktes beständig mit sich<lb/> herum nud sehen nur, was vor ihnen liegt, was diesem einmal befestigte»<lb/> und eingewurzelten Glauben an die einzige eigne Berechtigung irgendwelche<lb/> Nahrung verschaffen könnte: sie sind eben parteiisch und können nicht<lb/> anders sein. Das erste Erfordernis einer Verständigung ist aber das Ver¬<lb/> ständnis für die Berechtigung aller streitenden Sonderwillen, und dieses<lb/> kaun nur von einer Seite erwartet werde«, nach der sich aller Blicke richten<lb/> müssen, die eine gerechte Entscheidung dieses Zwistes überhaupt ersehnen:<lb/> nur vou der unabhängigem, nupnrteiischen, allein mit Thatsachen und nicht<lb/> mit Meinungen rechnenden Wissenschaft und deren krönenden Sammelpunkte,<lb/> der wissenschaftlichen Philosophie, die die Ergebnisse der Sonderwissenschaften<lb/> zusammenfassend zur Gewinnung allgemeiner Vernunftschlüsse verwertet und<lb/> so eine eigentliche Weltanschauung begründet. Nur sie kann der „ehrliche<lb/> Makler" des großen Vertrages werden, des wirklichen „Gesellschaftsvertrages,"<lb/> den die Stände des deutscheu Volkes mit einander schließen wollen und sollen,<lb/> um wieder in Frieden und Eintracht mit einander zu wohnen und nicht in<lb/> trotzigem Eigensinn zur Wahrung ihrer getrennten Vorteile einander gewaffnet<lb/> gegenüberzustehen; nur ihre uneigennützige, unverdächtige Vermittlung kaun und<lb/> wird Deutschland innerlich einigen und so dem Werke unsers abgeschiedueu<lb/> Heldenkaisers die Krone aufsetzen, sein Vermächtnis erfüllen. Nur ihr ist es<lb/> möglich, deu Mittler abzugeben, weil sie allein von der Höhe ihres welt¬<lb/> überragenden Gesichtspunktes über beide Heere sieht und die Fehler ihrer Auf-<lb/> stellung und Taktik besser überschaut, als es selbst die Führer unten vermöchten.<lb/> Die Männer der wissenschaftlichen Philosophie gleichen so einer Gruppe höherer<lb/> Offiziere, die vou der Gondel eines Fesselballons über die Bewegungen zweier<lb/> Truppenkörper zu Gericht sitzen: sie sind zwar nicht in der Verfassung, beide<lb/> zu leiten, aber doch zu sehen und zu urteilen, wo es fehlt und wie es ginge.<lb/> Und dabei verlieren sie bei aller schwindelnden Höhe doch nie den Boden unter<lb/> den Füßen; das haltbare Tau ihrer Deduktionen aus unbestrittenen, unbestreit¬<lb/> baren, thatsächlichen Beobachtungen hält sie beständig an unsrer Erde fest.</p><lb/> <p xml:id="ID_419" next="#ID_420"> Um vieler Mund wird bei dieser Behauptung ein verächtliches Lächeln<lb/> spielen, hüben wie drüben. „Philosophie ist nur rativnalisirte Theologie,"<lb/> erklärte neulich ein sozialdemokratischer Häuptling — ein gebildeter Maun;<lb/> er hatte für den Augenblick vergessen, welche Anregung das sozialistische<lb/> Staatsideal den Ausführungen Hegels über die Entwicklungslehre verdankt,<lb/> wie gerade die eigentlichen Begründer der Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle<lb/> und Karl Marz:, den Einfluß der Hegelschen Schule auf Schritt und Tritt<lb/> verraten. Aber auch rechts sehe ich eine Anzahl stattlicher Herren mit hohen<lb/> Titeln nud noch höherm Einkommen vornehm über diese Einfalt die Achseln</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0154]
Der ehrliche Makler
außer stände, eine Verständigung zwischen den beiden Lager» anzubahnen, die
einem Waffenstillstande oder gar einem Frieden zur Grundlage dienen könnte.
Sie tragen die Schenklappen ihres Parteistandpunktes beständig mit sich
herum nud sehen nur, was vor ihnen liegt, was diesem einmal befestigte»
und eingewurzelten Glauben an die einzige eigne Berechtigung irgendwelche
Nahrung verschaffen könnte: sie sind eben parteiisch und können nicht
anders sein. Das erste Erfordernis einer Verständigung ist aber das Ver¬
ständnis für die Berechtigung aller streitenden Sonderwillen, und dieses
kaun nur von einer Seite erwartet werde«, nach der sich aller Blicke richten
müssen, die eine gerechte Entscheidung dieses Zwistes überhaupt ersehnen:
nur vou der unabhängigem, nupnrteiischen, allein mit Thatsachen und nicht
mit Meinungen rechnenden Wissenschaft und deren krönenden Sammelpunkte,
der wissenschaftlichen Philosophie, die die Ergebnisse der Sonderwissenschaften
zusammenfassend zur Gewinnung allgemeiner Vernunftschlüsse verwertet und
so eine eigentliche Weltanschauung begründet. Nur sie kann der „ehrliche
Makler" des großen Vertrages werden, des wirklichen „Gesellschaftsvertrages,"
den die Stände des deutscheu Volkes mit einander schließen wollen und sollen,
um wieder in Frieden und Eintracht mit einander zu wohnen und nicht in
trotzigem Eigensinn zur Wahrung ihrer getrennten Vorteile einander gewaffnet
gegenüberzustehen; nur ihre uneigennützige, unverdächtige Vermittlung kaun und
wird Deutschland innerlich einigen und so dem Werke unsers abgeschiedueu
Heldenkaisers die Krone aufsetzen, sein Vermächtnis erfüllen. Nur ihr ist es
möglich, deu Mittler abzugeben, weil sie allein von der Höhe ihres welt¬
überragenden Gesichtspunktes über beide Heere sieht und die Fehler ihrer Auf-
stellung und Taktik besser überschaut, als es selbst die Führer unten vermöchten.
Die Männer der wissenschaftlichen Philosophie gleichen so einer Gruppe höherer
Offiziere, die vou der Gondel eines Fesselballons über die Bewegungen zweier
Truppenkörper zu Gericht sitzen: sie sind zwar nicht in der Verfassung, beide
zu leiten, aber doch zu sehen und zu urteilen, wo es fehlt und wie es ginge.
Und dabei verlieren sie bei aller schwindelnden Höhe doch nie den Boden unter
den Füßen; das haltbare Tau ihrer Deduktionen aus unbestrittenen, unbestreit¬
baren, thatsächlichen Beobachtungen hält sie beständig an unsrer Erde fest.
Um vieler Mund wird bei dieser Behauptung ein verächtliches Lächeln
spielen, hüben wie drüben. „Philosophie ist nur rativnalisirte Theologie,"
erklärte neulich ein sozialdemokratischer Häuptling — ein gebildeter Maun;
er hatte für den Augenblick vergessen, welche Anregung das sozialistische
Staatsideal den Ausführungen Hegels über die Entwicklungslehre verdankt,
wie gerade die eigentlichen Begründer der Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle
und Karl Marz:, den Einfluß der Hegelschen Schule auf Schritt und Tritt
verraten. Aber auch rechts sehe ich eine Anzahl stattlicher Herren mit hohen
Titeln nud noch höherm Einkommen vornehm über diese Einfalt die Achseln
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