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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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?le Germanisirung in Elsaß-Lothringen

Verfahren die Beamten und erfüllte auch weite Schichten des Volkes mit Mi߬
trauen. Die Franzosen, unter ihnen Tausende von Militärpflichtiger, über¬
schwemmten das Land, die Optanten, die im Lande wohnten und als geborne
Elsässer und Lothringer mit der deutsch gewordenen Bevölkerung den engsten
Verkehr unterhielten, schürten immer aufs neue die Flammen der Unzufriedenheit.
Familien mit nachweisbar revanchelustiger Gesinnung verbrachten den Sommer
auf ihren Besitzungen in den Reichslanden, französische Offiziere in großer
Menge verlebten die Jagdzeit bei ihren Freunden und Bekannten im Elsaß.
Der Handlungsreisende brachte mit den neuesten Modeartikeln aus Paris auch
jene Hetzblätter mit, die wie der Sozialdemokrat von persönlichen Denunziationen
wimmelten und zeigen sollten, daß man in der Hauptstadt alles genau kou-
trollire. Wehe den Abgefallenen, den Männern wie Petri, Schlumberger,
Bulach -- was müßte ihr Schicksal sein, wenn wieder die befreienden Franzosen
herrschen würden! Es folgte eine Reihe von Landesverratsprozessen, die be¬
wiesen, wie unsre Nachbarn im Westen die ihnen gewährte Gastfreundschaft
verwandten. Es stellte sich heraus, daß subalterne Beamte, die aus der fran¬
zösischen Zeit übernommen waren, ihre Stellungen, bei denen man ihnen Ver¬
trauen schenken mußte, zum Verrat mißbraucht hatten. Gerade für diese lagen
in den Verhältnissen selbst schwere Gefährdungen; von zwei Brüdern war der
eine vielleicht als französischer Gendarm an der Grenze beschäftigt, der andre
stand dicht daneben im deutschen Eisenbahndicnst. Dazu kam, daß die inter¬
nationalen Beziehungen zwischen Frankreich und dem deutschen Reiche sich ver¬
schlechterten. Jules Ferrh hatte gehen müssen, Boulanger wurde Kriegsminister
und schien einen unwiderstehlichen Zauber auf seine Landsleute auszuüben.
Selbst Reibungen, wie sie die Kauffmann- und die Schnäbeleaffcnre zeigen,
blieben nicht aus.

Noch unter Manteuffel selbst trat der aus den Umständen sich notwendig
ergebende Umschwung ein. Selbst ein Mann von der Richtung des Abge¬
ordneten Guerber mußte zugeben, wie er dies kürzlich in seiner Neichstagsrede
gethan hat, daß der Kriegsminister Boulanger das deutsche Reich zur Vor¬
kehrung aller Schutzmaßregeln zwang. Bei den Reichstagswahlen siegten die
protestlerischen Kandidaten, und nicht ohne Grund konnte jemand aus Alt¬
deutschland seine Stimme erheben und verlangen, daß man Personen, die das
deutsche Reich in seinen: Bestand anfechten, auch die Eigenschaft zum Abge¬
ordneten gesetzlich absprechen sollte.

Die neue Ära wird eingeleitet mit dein Erlaß des Statthalters Manteuffel
an den Staatssekretär v. Hofmann vom 28. August 1884, der, um die Bildung
einer französischen Kolonie zu verhindern, das Reichsland von den Optanten
und den Elementen, die vor Eintritt in das wehrpflichtige Alter ausgewandert
und nach Verlust der deutschen Reichsangehörigkeit zurückgekehrt waren, säubern
sollte. Es folgten Verordnungen, die Aufenthaltsbeschränkungen für Ausländer


?le Germanisirung in Elsaß-Lothringen

Verfahren die Beamten und erfüllte auch weite Schichten des Volkes mit Mi߬
trauen. Die Franzosen, unter ihnen Tausende von Militärpflichtiger, über¬
schwemmten das Land, die Optanten, die im Lande wohnten und als geborne
Elsässer und Lothringer mit der deutsch gewordenen Bevölkerung den engsten
Verkehr unterhielten, schürten immer aufs neue die Flammen der Unzufriedenheit.
Familien mit nachweisbar revanchelustiger Gesinnung verbrachten den Sommer
auf ihren Besitzungen in den Reichslanden, französische Offiziere in großer
Menge verlebten die Jagdzeit bei ihren Freunden und Bekannten im Elsaß.
Der Handlungsreisende brachte mit den neuesten Modeartikeln aus Paris auch
jene Hetzblätter mit, die wie der Sozialdemokrat von persönlichen Denunziationen
wimmelten und zeigen sollten, daß man in der Hauptstadt alles genau kou-
trollire. Wehe den Abgefallenen, den Männern wie Petri, Schlumberger,
Bulach — was müßte ihr Schicksal sein, wenn wieder die befreienden Franzosen
herrschen würden! Es folgte eine Reihe von Landesverratsprozessen, die be¬
wiesen, wie unsre Nachbarn im Westen die ihnen gewährte Gastfreundschaft
verwandten. Es stellte sich heraus, daß subalterne Beamte, die aus der fran¬
zösischen Zeit übernommen waren, ihre Stellungen, bei denen man ihnen Ver¬
trauen schenken mußte, zum Verrat mißbraucht hatten. Gerade für diese lagen
in den Verhältnissen selbst schwere Gefährdungen; von zwei Brüdern war der
eine vielleicht als französischer Gendarm an der Grenze beschäftigt, der andre
stand dicht daneben im deutschen Eisenbahndicnst. Dazu kam, daß die inter¬
nationalen Beziehungen zwischen Frankreich und dem deutschen Reiche sich ver¬
schlechterten. Jules Ferrh hatte gehen müssen, Boulanger wurde Kriegsminister
und schien einen unwiderstehlichen Zauber auf seine Landsleute auszuüben.
Selbst Reibungen, wie sie die Kauffmann- und die Schnäbeleaffcnre zeigen,
blieben nicht aus.

Noch unter Manteuffel selbst trat der aus den Umständen sich notwendig
ergebende Umschwung ein. Selbst ein Mann von der Richtung des Abge¬
ordneten Guerber mußte zugeben, wie er dies kürzlich in seiner Neichstagsrede
gethan hat, daß der Kriegsminister Boulanger das deutsche Reich zur Vor¬
kehrung aller Schutzmaßregeln zwang. Bei den Reichstagswahlen siegten die
protestlerischen Kandidaten, und nicht ohne Grund konnte jemand aus Alt¬
deutschland seine Stimme erheben und verlangen, daß man Personen, die das
deutsche Reich in seinen: Bestand anfechten, auch die Eigenschaft zum Abge¬
ordneten gesetzlich absprechen sollte.

Die neue Ära wird eingeleitet mit dein Erlaß des Statthalters Manteuffel
an den Staatssekretär v. Hofmann vom 28. August 1884, der, um die Bildung
einer französischen Kolonie zu verhindern, das Reichsland von den Optanten
und den Elementen, die vor Eintritt in das wehrpflichtige Alter ausgewandert
und nach Verlust der deutschen Reichsangehörigkeit zurückgekehrt waren, säubern
sollte. Es folgten Verordnungen, die Aufenthaltsbeschränkungen für Ausländer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/110>, abgerufen am 28.09.2024.