Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Germanisinnig in Elsaß-Lothringen

Kaiserpfalz, dem Landesansschnßgcbäude und der Landesbibliothek hat sich nuf
dem freigewordenen Boden angeschlossen. Mülhausens Industrie hat sich regel¬
recht fortentwickelt, die großen Firmen der Dollfus, Mieg, Kvchliu gedeihen,
wie sie früher gediehen sind, und nicht zum mindesten hat bei ihnen die ver¬
änderte Zollgesetzgebung gut angeschlagen. Nur Metz ging zunächst in seinem
Handel wie in seiner Bewvhnerzahl, deren bessere Elemente nach Nancy über¬
siedelten, zurück, ist aber auch schon längst wieder im Steigen begriffen, wobei
zu beachten ist, daß der gewaltige Festungsring dem Wachstum der Stadt
natürlich Grenzen setzt. Es herrscht also keine Kirchhvfsstille, sondern nur
eine gewisse Resignation in politischer Beziehung bei der obern eingebornen
Gesellschaft, die eingesehen hat, daß die Befreiung durch die Franzosen ans
den griechischen Kalenden zu erwarten steht. Man äußert seine Abneigung bei
deu Wahlen und dadurch, daß man sich hermetisch von den Altdeutschen ab¬
schließt. In der Hauptstadt wird diese Absonderung weniger fühlbar als an
andern Orten; denn mit dem Statthalter und den Spitzen der Behörden wollen
die Einheimischen unter allen Umständen Beziehungen unterhalten. Am meisten
tritt der Gegensatz der alt- und der neudeutschen Gesellschaft in Mülhausen zu Tage.
In dieser Fabrikstadt, wo sich, ähnlich wie in den Hansestädten, ein angesehener,
vornehmer Patrizierstand mit bedeutendem Vermögen gebildet hat, spielt die
eingewanderte Gesellschaft, von der allein die Beamten, Offiziere und deren
Anhang in Betracht kommen, den eingebornen Kreisen gegenüber eine ganz
geringfügige Rolle. Es giebt keine Anknüpfungen zwischen beiden. Wie erzählt
wird, sollen insbesondre die Frauen der Großfabrikanten durch ihre Versetzungen
jede Annäherung an die Eingewanderten hintertreiben, während die Männer
schon in Folge ihres Berufes äußerliche Berührungen nicht vermeiden können.
Es wäre am Platze, in diese Stadt an die Stelle eines Generals einen ver¬
heirateten Prinzen zu ertheilte"; er würde an: ehesten imstande sein, beide
Elemente mit einander in Verkehr zu bringen. An Entgegenkommen hat es
von altdeutscher Seite nicht gefehlt.

Da mau durch das in büreaukratischen Bahnen sich bewegende System
des Oberpräsidenten Möller in der Germanisirung nicht schnell genug vorwärts
gekommen zu sein meinte, ließ man einen Wechsel eintreten. Der verstorbene
Statthalter, Freiherr v. Manteuffel, führte ein persönliches Regiment ein, er
suchte und unterhielt einen intimeren Verkehr mit den Notabeln manchmal
sogar gewaltsam. In seinem Hause überwog die französische Sprache in der
Konversation. Vielleicht glaubte er die Notabeln durch Anknüpfung an die
Formen der französischen Präfektenmethode, die sie von früher her gewohnt
waren, für sich zu gewinnen. Sein Liebcswerben fand aber keine Gegenneigung,
man nutzte die Liebenswürdigkeit des Statthalters aus, und es erlangten über
die Köpfe der Beamten hinweg Leute Einfluß, die sich nachträglich als unzu¬
verlässig und noch schlimmer als das herausstellten. Dabei verstimmte dieses


Die Germanisinnig in Elsaß-Lothringen

Kaiserpfalz, dem Landesansschnßgcbäude und der Landesbibliothek hat sich nuf
dem freigewordenen Boden angeschlossen. Mülhausens Industrie hat sich regel¬
recht fortentwickelt, die großen Firmen der Dollfus, Mieg, Kvchliu gedeihen,
wie sie früher gediehen sind, und nicht zum mindesten hat bei ihnen die ver¬
änderte Zollgesetzgebung gut angeschlagen. Nur Metz ging zunächst in seinem
Handel wie in seiner Bewvhnerzahl, deren bessere Elemente nach Nancy über¬
siedelten, zurück, ist aber auch schon längst wieder im Steigen begriffen, wobei
zu beachten ist, daß der gewaltige Festungsring dem Wachstum der Stadt
natürlich Grenzen setzt. Es herrscht also keine Kirchhvfsstille, sondern nur
eine gewisse Resignation in politischer Beziehung bei der obern eingebornen
Gesellschaft, die eingesehen hat, daß die Befreiung durch die Franzosen ans
den griechischen Kalenden zu erwarten steht. Man äußert seine Abneigung bei
deu Wahlen und dadurch, daß man sich hermetisch von den Altdeutschen ab¬
schließt. In der Hauptstadt wird diese Absonderung weniger fühlbar als an
andern Orten; denn mit dem Statthalter und den Spitzen der Behörden wollen
die Einheimischen unter allen Umständen Beziehungen unterhalten. Am meisten
tritt der Gegensatz der alt- und der neudeutschen Gesellschaft in Mülhausen zu Tage.
In dieser Fabrikstadt, wo sich, ähnlich wie in den Hansestädten, ein angesehener,
vornehmer Patrizierstand mit bedeutendem Vermögen gebildet hat, spielt die
eingewanderte Gesellschaft, von der allein die Beamten, Offiziere und deren
Anhang in Betracht kommen, den eingebornen Kreisen gegenüber eine ganz
geringfügige Rolle. Es giebt keine Anknüpfungen zwischen beiden. Wie erzählt
wird, sollen insbesondre die Frauen der Großfabrikanten durch ihre Versetzungen
jede Annäherung an die Eingewanderten hintertreiben, während die Männer
schon in Folge ihres Berufes äußerliche Berührungen nicht vermeiden können.
Es wäre am Platze, in diese Stadt an die Stelle eines Generals einen ver¬
heirateten Prinzen zu ertheilte»; er würde an: ehesten imstande sein, beide
Elemente mit einander in Verkehr zu bringen. An Entgegenkommen hat es
von altdeutscher Seite nicht gefehlt.

Da mau durch das in büreaukratischen Bahnen sich bewegende System
des Oberpräsidenten Möller in der Germanisirung nicht schnell genug vorwärts
gekommen zu sein meinte, ließ man einen Wechsel eintreten. Der verstorbene
Statthalter, Freiherr v. Manteuffel, führte ein persönliches Regiment ein, er
suchte und unterhielt einen intimeren Verkehr mit den Notabeln manchmal
sogar gewaltsam. In seinem Hause überwog die französische Sprache in der
Konversation. Vielleicht glaubte er die Notabeln durch Anknüpfung an die
Formen der französischen Präfektenmethode, die sie von früher her gewohnt
waren, für sich zu gewinnen. Sein Liebcswerben fand aber keine Gegenneigung,
man nutzte die Liebenswürdigkeit des Statthalters aus, und es erlangten über
die Köpfe der Beamten hinweg Leute Einfluß, die sich nachträglich als unzu¬
verlässig und noch schlimmer als das herausstellten. Dabei verstimmte dieses


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208046"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Germanisinnig in Elsaß-Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_287" prev="#ID_286"> Kaiserpfalz, dem Landesansschnßgcbäude und der Landesbibliothek hat sich nuf<lb/>
dem freigewordenen Boden angeschlossen. Mülhausens Industrie hat sich regel¬<lb/>
recht fortentwickelt, die großen Firmen der Dollfus, Mieg, Kvchliu gedeihen,<lb/>
wie sie früher gediehen sind, und nicht zum mindesten hat bei ihnen die ver¬<lb/>
änderte Zollgesetzgebung gut angeschlagen. Nur Metz ging zunächst in seinem<lb/>
Handel wie in seiner Bewvhnerzahl, deren bessere Elemente nach Nancy über¬<lb/>
siedelten, zurück, ist aber auch schon längst wieder im Steigen begriffen, wobei<lb/>
zu beachten ist, daß der gewaltige Festungsring dem Wachstum der Stadt<lb/>
natürlich Grenzen setzt. Es herrscht also keine Kirchhvfsstille, sondern nur<lb/>
eine gewisse Resignation in politischer Beziehung bei der obern eingebornen<lb/>
Gesellschaft, die eingesehen hat, daß die Befreiung durch die Franzosen ans<lb/>
den griechischen Kalenden zu erwarten steht. Man äußert seine Abneigung bei<lb/>
deu Wahlen und dadurch, daß man sich hermetisch von den Altdeutschen ab¬<lb/>
schließt. In der Hauptstadt wird diese Absonderung weniger fühlbar als an<lb/>
andern Orten; denn mit dem Statthalter und den Spitzen der Behörden wollen<lb/>
die Einheimischen unter allen Umständen Beziehungen unterhalten. Am meisten<lb/>
tritt der Gegensatz der alt- und der neudeutschen Gesellschaft in Mülhausen zu Tage.<lb/>
In dieser Fabrikstadt, wo sich, ähnlich wie in den Hansestädten, ein angesehener,<lb/>
vornehmer Patrizierstand mit bedeutendem Vermögen gebildet hat, spielt die<lb/>
eingewanderte Gesellschaft, von der allein die Beamten, Offiziere und deren<lb/>
Anhang in Betracht kommen, den eingebornen Kreisen gegenüber eine ganz<lb/>
geringfügige Rolle. Es giebt keine Anknüpfungen zwischen beiden. Wie erzählt<lb/>
wird, sollen insbesondre die Frauen der Großfabrikanten durch ihre Versetzungen<lb/>
jede Annäherung an die Eingewanderten hintertreiben, während die Männer<lb/>
schon in Folge ihres Berufes äußerliche Berührungen nicht vermeiden können.<lb/>
Es wäre am Platze, in diese Stadt an die Stelle eines Generals einen ver¬<lb/>
heirateten Prinzen zu ertheilte»; er würde an: ehesten imstande sein, beide<lb/>
Elemente mit einander in Verkehr zu bringen. An Entgegenkommen hat es<lb/>
von altdeutscher Seite nicht gefehlt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_288" next="#ID_289"> Da mau durch das in büreaukratischen Bahnen sich bewegende System<lb/>
des Oberpräsidenten Möller in der Germanisirung nicht schnell genug vorwärts<lb/>
gekommen zu sein meinte, ließ man einen Wechsel eintreten. Der verstorbene<lb/>
Statthalter, Freiherr v. Manteuffel, führte ein persönliches Regiment ein, er<lb/>
suchte und unterhielt einen intimeren Verkehr mit den Notabeln manchmal<lb/>
sogar gewaltsam. In seinem Hause überwog die französische Sprache in der<lb/>
Konversation. Vielleicht glaubte er die Notabeln durch Anknüpfung an die<lb/>
Formen der französischen Präfektenmethode, die sie von früher her gewohnt<lb/>
waren, für sich zu gewinnen. Sein Liebcswerben fand aber keine Gegenneigung,<lb/>
man nutzte die Liebenswürdigkeit des Statthalters aus, und es erlangten über<lb/>
die Köpfe der Beamten hinweg Leute Einfluß, die sich nachträglich als unzu¬<lb/>
verlässig und noch schlimmer als das herausstellten. Dabei verstimmte dieses</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] Die Germanisinnig in Elsaß-Lothringen Kaiserpfalz, dem Landesansschnßgcbäude und der Landesbibliothek hat sich nuf dem freigewordenen Boden angeschlossen. Mülhausens Industrie hat sich regel¬ recht fortentwickelt, die großen Firmen der Dollfus, Mieg, Kvchliu gedeihen, wie sie früher gediehen sind, und nicht zum mindesten hat bei ihnen die ver¬ änderte Zollgesetzgebung gut angeschlagen. Nur Metz ging zunächst in seinem Handel wie in seiner Bewvhnerzahl, deren bessere Elemente nach Nancy über¬ siedelten, zurück, ist aber auch schon längst wieder im Steigen begriffen, wobei zu beachten ist, daß der gewaltige Festungsring dem Wachstum der Stadt natürlich Grenzen setzt. Es herrscht also keine Kirchhvfsstille, sondern nur eine gewisse Resignation in politischer Beziehung bei der obern eingebornen Gesellschaft, die eingesehen hat, daß die Befreiung durch die Franzosen ans den griechischen Kalenden zu erwarten steht. Man äußert seine Abneigung bei deu Wahlen und dadurch, daß man sich hermetisch von den Altdeutschen ab¬ schließt. In der Hauptstadt wird diese Absonderung weniger fühlbar als an andern Orten; denn mit dem Statthalter und den Spitzen der Behörden wollen die Einheimischen unter allen Umständen Beziehungen unterhalten. Am meisten tritt der Gegensatz der alt- und der neudeutschen Gesellschaft in Mülhausen zu Tage. In dieser Fabrikstadt, wo sich, ähnlich wie in den Hansestädten, ein angesehener, vornehmer Patrizierstand mit bedeutendem Vermögen gebildet hat, spielt die eingewanderte Gesellschaft, von der allein die Beamten, Offiziere und deren Anhang in Betracht kommen, den eingebornen Kreisen gegenüber eine ganz geringfügige Rolle. Es giebt keine Anknüpfungen zwischen beiden. Wie erzählt wird, sollen insbesondre die Frauen der Großfabrikanten durch ihre Versetzungen jede Annäherung an die Eingewanderten hintertreiben, während die Männer schon in Folge ihres Berufes äußerliche Berührungen nicht vermeiden können. Es wäre am Platze, in diese Stadt an die Stelle eines Generals einen ver¬ heirateten Prinzen zu ertheilte»; er würde an: ehesten imstande sein, beide Elemente mit einander in Verkehr zu bringen. An Entgegenkommen hat es von altdeutscher Seite nicht gefehlt. Da mau durch das in büreaukratischen Bahnen sich bewegende System des Oberpräsidenten Möller in der Germanisirung nicht schnell genug vorwärts gekommen zu sein meinte, ließ man einen Wechsel eintreten. Der verstorbene Statthalter, Freiherr v. Manteuffel, führte ein persönliches Regiment ein, er suchte und unterhielt einen intimeren Verkehr mit den Notabeln manchmal sogar gewaltsam. In seinem Hause überwog die französische Sprache in der Konversation. Vielleicht glaubte er die Notabeln durch Anknüpfung an die Formen der französischen Präfektenmethode, die sie von früher her gewohnt waren, für sich zu gewinnen. Sein Liebcswerben fand aber keine Gegenneigung, man nutzte die Liebenswürdigkeit des Statthalters aus, und es erlangten über die Köpfe der Beamten hinweg Leute Einfluß, die sich nachträglich als unzu¬ verlässig und noch schlimmer als das herausstellten. Dabei verstimmte dieses

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/109>, abgerufen am 29.06.2024.