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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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trat die Reichsverfassung für das Reichsland in Kraft, und seither sind
fünfzehn Abgeordnete ans den drei Bezirken zum Reichstag gewählt wurden,
während Elsaß-Lothringen zum Bundesrat nur Vertreter mit beratender Stimme
entsendet. Vorher wie nachher sind die meisten schon damals bestehenden Reichs-
gesetze auf Elsaß-Lothringen ausgedehnt worden. Um die Bevölkerung für das
Wohl ihres engern Vaterlandes durch Teilnahme an den öffentlichen Angelegen¬
heiten zu gewinnen, rief ein kaiserlicher Erlaß vom 29. Oktober 1874 den
Landesausschuß ins Leben, zunächst nur zur gutachtlichen Beratung der Gesetz¬
entwürfe und Landesangelegenheiten, aber schon durch das Gesetz vom 2. Mai
1877 wurde dieser Landesausschuß zum Gesetzgebungsorgau, wenngleich der
Reichsgesetzgebung ebenfalls die Erlassung von Landesgesetzen vorbehalten wurde.
Die wesentliche Umgestaltung seiner staatsrechtlichen Verhältnisse und seiner
Verwaltung erfuhr Elsaß-Lothringen seit dein 1. Oktober 1879, seitdem ein
Statthalter nicht nur mit den Befugnissen des Reichskanzlers und des frühern
Oberpräsidenten, sondern noch mit eiuer Reihe landesherrlicher Machtvoll¬
kommenheiten ausgestattet und unter ihm ein Ministerium an die Spitze gestellt
worden ist.

Die eingeschlagenen Maßregeln haben ihre Wirkung nicht verfehlt- Die
Zugehörigen der bessern Klassen haben, nachdem die erste Angstperiode nach
dem Kriege überwunden war, allmählich den doktrinär prvtestlerischen Stand¬
punkt, wenigstens im Interesse des Landes und gewiß nicht ohne ein eignes
ansprechendes Interesse verlassen, und zum Zustnndebringen der meisten wirt¬
schaftlichen Gesetze gelang es, die Zustimmung der Mehrheit des Landes¬
ausschusses zum Negierungsvorschlage herbeizuführen, sodaß man sich des
Weges der Reichsgesetzgebung nicht zu bedienen brauchte. Nur die lothringischen
Abgeordneten suchten hin und wieder durch eine geschlossene Verneinung Ein¬
druck zu macheu, auch wurde gegenüber Abünderungsentwürfeu des Ooäs olvii,
des in Elsaß-Lothringen geltenden bürgerlichen Rechts, eine gewisse Zurück -
haltung beobachtet, sodaß man wenigstens zuerst auch da sich ablehnend ver¬
hielt, wo, wie z. B. ans dem Gebiete der Liegenschaften und Hypotheken, das
französische Recht längst von der modernen deutschen, vorzüglich der preußischen
Gesetzgebung überholt war. Im Anfange trug gewiß zu dieser Haltung auch
die Erwägung bei, daß man hypnotisch auf die Bresche in den Vogesen blickte
und es den befreienden Franzosen ersparen wollte, mit so vielen unnützen
Dingen aufräumen zu müssen. Nach und nach machten sich doch die Vorteile
der deutschen Gesetze in ihrer Ausführung bemerkbar, und jetzt kommen die
Regierung und der Landesausschuß mit einander aus, wie verständige Eheleute,
die sich ursprünglich nicht aus gegenseitiger Neigung genommen haben. Wenn
gegen die zweite, allzu schnell arbeitende Gesetzgebung von Elsaß-Lothringen
ein Vorwurf erhoben werden kauu, fo trifft er jedenfalls weniger die ein-
gebornen Elemente, die daran beteiligt sind. Soweit es sich freilich nur rein


trat die Reichsverfassung für das Reichsland in Kraft, und seither sind
fünfzehn Abgeordnete ans den drei Bezirken zum Reichstag gewählt wurden,
während Elsaß-Lothringen zum Bundesrat nur Vertreter mit beratender Stimme
entsendet. Vorher wie nachher sind die meisten schon damals bestehenden Reichs-
gesetze auf Elsaß-Lothringen ausgedehnt worden. Um die Bevölkerung für das
Wohl ihres engern Vaterlandes durch Teilnahme an den öffentlichen Angelegen¬
heiten zu gewinnen, rief ein kaiserlicher Erlaß vom 29. Oktober 1874 den
Landesausschuß ins Leben, zunächst nur zur gutachtlichen Beratung der Gesetz¬
entwürfe und Landesangelegenheiten, aber schon durch das Gesetz vom 2. Mai
1877 wurde dieser Landesausschuß zum Gesetzgebungsorgau, wenngleich der
Reichsgesetzgebung ebenfalls die Erlassung von Landesgesetzen vorbehalten wurde.
Die wesentliche Umgestaltung seiner staatsrechtlichen Verhältnisse und seiner
Verwaltung erfuhr Elsaß-Lothringen seit dein 1. Oktober 1879, seitdem ein
Statthalter nicht nur mit den Befugnissen des Reichskanzlers und des frühern
Oberpräsidenten, sondern noch mit eiuer Reihe landesherrlicher Machtvoll¬
kommenheiten ausgestattet und unter ihm ein Ministerium an die Spitze gestellt
worden ist.

Die eingeschlagenen Maßregeln haben ihre Wirkung nicht verfehlt- Die
Zugehörigen der bessern Klassen haben, nachdem die erste Angstperiode nach
dem Kriege überwunden war, allmählich den doktrinär prvtestlerischen Stand¬
punkt, wenigstens im Interesse des Landes und gewiß nicht ohne ein eignes
ansprechendes Interesse verlassen, und zum Zustnndebringen der meisten wirt¬
schaftlichen Gesetze gelang es, die Zustimmung der Mehrheit des Landes¬
ausschusses zum Negierungsvorschlage herbeizuführen, sodaß man sich des
Weges der Reichsgesetzgebung nicht zu bedienen brauchte. Nur die lothringischen
Abgeordneten suchten hin und wieder durch eine geschlossene Verneinung Ein¬
druck zu macheu, auch wurde gegenüber Abünderungsentwürfeu des Ooäs olvii,
des in Elsaß-Lothringen geltenden bürgerlichen Rechts, eine gewisse Zurück -
haltung beobachtet, sodaß man wenigstens zuerst auch da sich ablehnend ver¬
hielt, wo, wie z. B. ans dem Gebiete der Liegenschaften und Hypotheken, das
französische Recht längst von der modernen deutschen, vorzüglich der preußischen
Gesetzgebung überholt war. Im Anfange trug gewiß zu dieser Haltung auch
die Erwägung bei, daß man hypnotisch auf die Bresche in den Vogesen blickte
und es den befreienden Franzosen ersparen wollte, mit so vielen unnützen
Dingen aufräumen zu müssen. Nach und nach machten sich doch die Vorteile
der deutschen Gesetze in ihrer Ausführung bemerkbar, und jetzt kommen die
Regierung und der Landesausschuß mit einander aus, wie verständige Eheleute,
die sich ursprünglich nicht aus gegenseitiger Neigung genommen haben. Wenn
gegen die zweite, allzu schnell arbeitende Gesetzgebung von Elsaß-Lothringen
ein Vorwurf erhoben werden kauu, fo trifft er jedenfalls weniger die ein-
gebornen Elemente, die daran beteiligt sind. Soweit es sich freilich nur rein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/106>, abgerufen am 25.07.2024.