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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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sich also nicht beklagen. Er machte auch gute Miene zum bösen Spiel, und der
Spritzer kam mit dem. Schrecken, davon.

Zur Abeudarbeitsstuude mußten alle pünktlich wieder zur Stelle sein;
doch hielt es nicht besonders schwer, sich beim Kollaborator auch für den Abend
frei zu machen, wenn mau einmal aufs Linkische Bad oder ans die Brühlsche
Terrasse ins Konzert oder, wenn Dawison spielte oder Rienzi, Tannhäuser
oder Lohengrin, selbst Orpheus in der Unterwelt gegeben wurde, ins Theater
gehen wollte. Für die Wagnerschen Opern, soweit sie damals vorhanden
waren, schwärmten wir alle. Im Theater -- es war der schone alte
Sempersche Bau, der 1869 abbrannte -- war eine Treppe, die ins Souterrain
führte zu einer großen, mit einem eisernen Gitter verwahrten Mauerosfnung,
an der man laut und deutlich das Orchester hörte. Wie oft habe ich an dieser
Öffnung gestanden, um wenigstens die Ouvertüre zu erschnappen! Besonders
die Rienzionvertüre, an der sich zu berauschen es übrigens noch eine andre
Gelegenheit gab: die Wachparade am Blockhause in Neustadt, wo sie oft
Sonntags unter der Leitung eiues kleinen, etwas hochschultrigen Militär¬
kapellmeisters wundervoll gespielt wurde. Aber auch Dawison wurde von uns
vergöttert. Wo wir nur konnten, liefen wir ihm zu Gefallen, um ihn zu
sehen. Richard den Dritten, Falstaff und Narziß konnten wir alle auswendig.
"Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für'n Pferd!" oder: "Dn kennst meine
alte Parade! so lag ich, und so führte ich meine Klinge" oder: "Ich bin ein
Nichts von einem Menschen und hab' mich mein Lebtag nie ans Fachstudien
eingelassen" bemühten wir uns genau so nachzusprechen, wie er es sprach, und
wie er als Richard in der ersten Szene erst lange auf sich warten ließ und
daun endlich hereinhinkte, selbst das wurde ihm nachgemacht. Einer hatte das
unsägliche Glück, daß er, infolge hoher Verbindungen -- ein Verwandter von
ihm war, glaub' ich, Theaterschneider -- während der Aufführung manchmal
hinter die Kulissen durfte. Der konnte dann sogar erzählen, was Dawison
nußer der Rolle noch gesagt hatte, wie er, wenn draußen Beifall geklatscht
wurde, mit den Fingern geschnalzt und in den Schnürboden hinausgerufen
hatte, den Vorhang wieder aufzuziehen.

So schön wars in der Arbeitsstunde freilich nicht. Da konnte man sich
vor Müdigkeit manchmal kaum aufrecht erhalte" und lauerte auf deu Glocken-
schlag, der das Abendlied und das Abendgebet brachte. Und doch knarrte mit¬
unter eine Viertelstunde vor Schluß ganz überflüssigerweise noch einmal die
Thür des Kollaborators, und er ging noch einmal an den Tafeln entlang und
wartete seines Jnspektoramtes. Aber man hatte doch wenigstens Mitleid mit
deu Kleinen; man neckte sie höchstens ein bischen, wenn sie sich gar so sehr nach
dem Bettzipfel sehnten. Mich hatten sie einmal, während ich mit dem Kopf
auf dem Tische liegend fest eingeschlafen war, ganz.mit Büchern umbaut und
einen Spiegel in die Mitte gestellt.


sich also nicht beklagen. Er machte auch gute Miene zum bösen Spiel, und der
Spritzer kam mit dem. Schrecken, davon.

Zur Abeudarbeitsstuude mußten alle pünktlich wieder zur Stelle sein;
doch hielt es nicht besonders schwer, sich beim Kollaborator auch für den Abend
frei zu machen, wenn mau einmal aufs Linkische Bad oder ans die Brühlsche
Terrasse ins Konzert oder, wenn Dawison spielte oder Rienzi, Tannhäuser
oder Lohengrin, selbst Orpheus in der Unterwelt gegeben wurde, ins Theater
gehen wollte. Für die Wagnerschen Opern, soweit sie damals vorhanden
waren, schwärmten wir alle. Im Theater — es war der schone alte
Sempersche Bau, der 1869 abbrannte — war eine Treppe, die ins Souterrain
führte zu einer großen, mit einem eisernen Gitter verwahrten Mauerosfnung,
an der man laut und deutlich das Orchester hörte. Wie oft habe ich an dieser
Öffnung gestanden, um wenigstens die Ouvertüre zu erschnappen! Besonders
die Rienzionvertüre, an der sich zu berauschen es übrigens noch eine andre
Gelegenheit gab: die Wachparade am Blockhause in Neustadt, wo sie oft
Sonntags unter der Leitung eiues kleinen, etwas hochschultrigen Militär¬
kapellmeisters wundervoll gespielt wurde. Aber auch Dawison wurde von uns
vergöttert. Wo wir nur konnten, liefen wir ihm zu Gefallen, um ihn zu
sehen. Richard den Dritten, Falstaff und Narziß konnten wir alle auswendig.
„Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für'n Pferd!" oder: „Dn kennst meine
alte Parade! so lag ich, und so führte ich meine Klinge" oder: „Ich bin ein
Nichts von einem Menschen und hab' mich mein Lebtag nie ans Fachstudien
eingelassen" bemühten wir uns genau so nachzusprechen, wie er es sprach, und
wie er als Richard in der ersten Szene erst lange auf sich warten ließ und
daun endlich hereinhinkte, selbst das wurde ihm nachgemacht. Einer hatte das
unsägliche Glück, daß er, infolge hoher Verbindungen — ein Verwandter von
ihm war, glaub' ich, Theaterschneider — während der Aufführung manchmal
hinter die Kulissen durfte. Der konnte dann sogar erzählen, was Dawison
nußer der Rolle noch gesagt hatte, wie er, wenn draußen Beifall geklatscht
wurde, mit den Fingern geschnalzt und in den Schnürboden hinausgerufen
hatte, den Vorhang wieder aufzuziehen.

So schön wars in der Arbeitsstunde freilich nicht. Da konnte man sich
vor Müdigkeit manchmal kaum aufrecht erhalte» und lauerte auf deu Glocken-
schlag, der das Abendlied und das Abendgebet brachte. Und doch knarrte mit¬
unter eine Viertelstunde vor Schluß ganz überflüssigerweise noch einmal die
Thür des Kollaborators, und er ging noch einmal an den Tafeln entlang und
wartete seines Jnspektoramtes. Aber man hatte doch wenigstens Mitleid mit
deu Kleinen; man neckte sie höchstens ein bischen, wenn sie sich gar so sehr nach
dem Bettzipfel sehnten. Mich hatten sie einmal, während ich mit dem Kopf
auf dem Tische liegend fest eingeschlafen war, ganz.mit Büchern umbaut und
einen Spiegel in die Mitte gestellt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/103>, abgerufen am 25.07.2024.