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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Alumnenmserinnermigen

Ohrfeige konnte mans kaum nennen -- und entließ uns dann mit der köstlichen
Bemerkung: "Spielt ihr doch Schafkopp! Jetzt geht naus und laßt euch vom
Kollaborator el!? Pensum geben!" Da mußten wir denn den Ovid bringen
und bekamen über achtzig Verse aufgebrannt -- beiläufig: eine sehr geeignete
Art, Liebe zu deu alten Schriftstellern zu erwecken. Zum Glück waren es
Verse, die Nur schon in der Schule gelernt hatten -- sie singen an: livg'in
Lolis M-i-t 8ni"linüdu8 "1W volmmris --, und so war der augenblickliche Schade
nicht groß. Schlimmer war, daß zu Ostern auf der Zensur eine 2°' in den
Sitten Prangte, und dazu die unheimliche Bemerkung: Mag sich hüten, nicht
auf Abwege zu geraten. Ungefährlicher als die Hundemama, aber auch uoch
schlimm genug war ein andrer, der sich stets ans Fenster stellte, wenn er einen
einen Weg geschickt hatte, und aufpaßte, ob mau schnell oder langsam zurück¬
kommen würde. War man langsam gegangen, so hieß es: "Bring mal deinen
Cäsar!" Und hinterher, wenn man sein Straskapitel gelernt hatte, überhörte
ers nicht einmal, sondern ließ sich nur die ersten zwei oder drei Zeilen sagen,
dann hatte ers satt und klappte das Buch zu.

Die freie Zeit nach dein Nachmittagsunterricht bis zur Abendarbeits¬
stunde und namentlich Mittwochs und Sonnabends nachmittags wurde in der
verschiedenste" Weise vertempert. Man ging spazieren -- im Sommer in den
Prießnitzgrund oder in den Plauischen Grund lehnte auch halbe und
ganze Stunden an der Hausthür, jagte sich auf der Tablate oder im Schul-
hofe herum -- einem nach hinten spitz zulaufenden Höfchen von etwa fünfzig
Schritt Länge und zwanzig Schritt Breite! Als ich nach Jahren einmal wieder
hineintrat, überkam mich eine förmliche Angst vor dieser Enge, ich konnte mir
kaum, noch vorstellen, daß auf diesem Raume einst in den Freiviertelstnnden
Schneebataillen veranstaltet worden waren und dabei die Großen auch uoch
Platz gefunden hatten, ,rept?r"-ri^xl7>s ihre Horazoden zu lernen! Es gab aber
auch solche, die deu lieben langen Nachmittag zu Hanse hockten, "büffelten" oder
in der Kammer heimlich über einem Leihbiblivtheksschmöker saßen. Eines
schönen Nachmittags vergnügten sich zwei damit, daß sie sich ans der Tablate
mit einem Wasserkrug und einer Spritze verfolgten. Es ging ziemlich laut
dabei her, fortwährend wurden die Kammerthüren zugeworfen, und so erschien
endlich der Kollaborator. Er sieht die triefende Tablate, klopft an die Thür,
die zuletzt zugeworfen worden ist, und fordert Einlaß. Niemand öffnet. Er
geht in sein Zimmer zurück und holt den Hauptschlüssel. Wie er ausschließen
will, wird von innen fest zugehalten. "Nimm dich in Acht, du kriegst die volle
Ladung ins Gesicht!" ruft es drinnen. "Machen Sie sofort ans, ich bins!"
erwidert der Kollaborator. "Du kannst den Kollätsch famos nachmachen!
Aber nimm dich in Acht, ich rate dirs!" Endlich reißt der Kollaborator die
Thür mit Gewalt auf und -- bekommt richtig die volle Spritzenladuug ins
Gesicht. Es war ihm, hinlänglich vorher angekündigt worden er konnte


Alumnenmserinnermigen

Ohrfeige konnte mans kaum nennen — und entließ uns dann mit der köstlichen
Bemerkung: „Spielt ihr doch Schafkopp! Jetzt geht naus und laßt euch vom
Kollaborator el!? Pensum geben!" Da mußten wir denn den Ovid bringen
und bekamen über achtzig Verse aufgebrannt — beiläufig: eine sehr geeignete
Art, Liebe zu deu alten Schriftstellern zu erwecken. Zum Glück waren es
Verse, die Nur schon in der Schule gelernt hatten — sie singen an: livg'in
Lolis M-i-t 8ni»linüdu8 »1W volmmris —, und so war der augenblickliche Schade
nicht groß. Schlimmer war, daß zu Ostern auf der Zensur eine 2°' in den
Sitten Prangte, und dazu die unheimliche Bemerkung: Mag sich hüten, nicht
auf Abwege zu geraten. Ungefährlicher als die Hundemama, aber auch uoch
schlimm genug war ein andrer, der sich stets ans Fenster stellte, wenn er einen
einen Weg geschickt hatte, und aufpaßte, ob mau schnell oder langsam zurück¬
kommen würde. War man langsam gegangen, so hieß es: „Bring mal deinen
Cäsar!" Und hinterher, wenn man sein Straskapitel gelernt hatte, überhörte
ers nicht einmal, sondern ließ sich nur die ersten zwei oder drei Zeilen sagen,
dann hatte ers satt und klappte das Buch zu.

Die freie Zeit nach dein Nachmittagsunterricht bis zur Abendarbeits¬
stunde und namentlich Mittwochs und Sonnabends nachmittags wurde in der
verschiedenste» Weise vertempert. Man ging spazieren — im Sommer in den
Prießnitzgrund oder in den Plauischen Grund lehnte auch halbe und
ganze Stunden an der Hausthür, jagte sich auf der Tablate oder im Schul-
hofe herum — einem nach hinten spitz zulaufenden Höfchen von etwa fünfzig
Schritt Länge und zwanzig Schritt Breite! Als ich nach Jahren einmal wieder
hineintrat, überkam mich eine förmliche Angst vor dieser Enge, ich konnte mir
kaum, noch vorstellen, daß auf diesem Raume einst in den Freiviertelstnnden
Schneebataillen veranstaltet worden waren und dabei die Großen auch uoch
Platz gefunden hatten, ,rept?r«-ri^xl7>s ihre Horazoden zu lernen! Es gab aber
auch solche, die deu lieben langen Nachmittag zu Hanse hockten, „büffelten" oder
in der Kammer heimlich über einem Leihbiblivtheksschmöker saßen. Eines
schönen Nachmittags vergnügten sich zwei damit, daß sie sich ans der Tablate
mit einem Wasserkrug und einer Spritze verfolgten. Es ging ziemlich laut
dabei her, fortwährend wurden die Kammerthüren zugeworfen, und so erschien
endlich der Kollaborator. Er sieht die triefende Tablate, klopft an die Thür,
die zuletzt zugeworfen worden ist, und fordert Einlaß. Niemand öffnet. Er
geht in sein Zimmer zurück und holt den Hauptschlüssel. Wie er ausschließen
will, wird von innen fest zugehalten. „Nimm dich in Acht, du kriegst die volle
Ladung ins Gesicht!" ruft es drinnen. „Machen Sie sofort ans, ich bins!"
erwidert der Kollaborator. „Du kannst den Kollätsch famos nachmachen!
Aber nimm dich in Acht, ich rate dirs!" Endlich reißt der Kollaborator die
Thür mit Gewalt auf und — bekommt richtig die volle Spritzenladuug ins
Gesicht. Es war ihm, hinlänglich vorher angekündigt worden er konnte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/102>, abgerufen am 28.09.2024.