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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Brennöl klebend, daß es einem graute, es anzugreifen. Eine solche Funzel
sollte acht Arbeitsplätze beleuchten! Täglich im Winter kam der Vambel mit
der Ölkanne, um die Behälter frisch zu füllen und die Dochte und die Cylinder
zu putze". Dennoch war täglich mitten in der Arbeitsstunde nu irgend einer
Lampe etwas nicht in Ordnung, sie rauchte oder sie tropfte, sie hatte zu viel
oder zu wenig Öl, und so wurde der Bündel aus seiner Abendruhe aufge¬
scheucht, um Abhilfe zu schaffen. Dann kam er mürrisch nugeschlurft und
begleitete, zu unser aller Bergnügen, seine Besseruugsversuche mit lauten
Monologen, worin er stets dein Verdacht Ausdruck gab, daß wir "Saujungen,"
die wir ja "gar keene Rallion" hätten, uns an der Lauche vergriffen haben
mochten. Einmal, wo in den Lampen fo viel Öl war, daß die Behälter es
kaum fassen konnten, und es oben am Dochte herausquoll, stellte er fluchend
die Thatsache fest, daß "alle Döchter ersoffen" wären. Daß die Lampen, weil
sie dem guten Alten so viel Ärger und dieser Ärger uns so viel Vergnügen
machte, Anlaß zu allerhand Schabernack gaben, will ich nicht leugnen. Ich
weiß, daß uns eine Zeit lang lebhaft der Gedanke beschäftigte, eines schönen
Tages in alle Lampen zwischen das Öl Tinte zu gießen, entsinne mich aber
nicht, ob es wirklich ausgeführt worden ist.

Die Arbeitsstunden waren eine gute Einrichtung. Sie verschafften nus
mehr als genügende Zeit, ruhig und ungestört unsre Schularbeiten anzufertigen,
wobei es den Kleinern zu statten kam, daß sie sich bei den Größern Rats
erholen konnten, da Jungen aus allen Klassen durch einander saßen. Auch
sonst half man sich gegenseitig aus. Ich hatte in Quarta noch kein lateinisches
Wörterbuch, mein Nachbar am Tische, der in derselben Klasse saß, hatte den
"großen Georges," um den ich ihn lange beneidet habe. Er war aber ein
ungefälliger Junge. Obwohl das dicke Buch immer zwischen uns lag, wenn
wir am lateinischen "Specimen" drechselten, dürfte ich es doch nicht anrühren,
ohne ihn jedesmal vorher drum gefragt zu bilden, und manchmal hätte er mirs
lieber ganz verweigert. Da war die Sache nun sehr einfach. Er war sich
meist nicht klar darüber, ob der ^emmg-divus cum iiilinitivo oder ein Nebensatz,
im oder ut non, ejnill oder auoä zu stehen hätte, und versuchte es dann, mich
auszuhorchen. Natürlich mußte er dn jede syntaktische Auskunft lexikalisch bar
bezahlen.

Die Zeit zwischen der Früharbeitsstnnde und den Schulstunden war
für ihren Zweck etwas knapp bemessen. Besonders schlimm aber waren die
Kleinen dran. Sie mußten die Großen beim Herzuholen des Frühstücks be¬
dienen, jeder Kammerultimus mußte seinem Kammerprimus die Stiefel wichsen,
und dabei sollte er doch auch die eignen putzen, sollte die Kammer kehren, sollte
sich wasche" und ankleiden und wollte doch auch essen und trinken. Schauderhaft
war es im Winter, wen" in den unheizbaren Kammern eine Kälte war, daß
einem die Wichsbürste aus den Fingern sprang, und in den Waschbecken die


Brennöl klebend, daß es einem graute, es anzugreifen. Eine solche Funzel
sollte acht Arbeitsplätze beleuchten! Täglich im Winter kam der Vambel mit
der Ölkanne, um die Behälter frisch zu füllen und die Dochte und die Cylinder
zu putze». Dennoch war täglich mitten in der Arbeitsstunde nu irgend einer
Lampe etwas nicht in Ordnung, sie rauchte oder sie tropfte, sie hatte zu viel
oder zu wenig Öl, und so wurde der Bündel aus seiner Abendruhe aufge¬
scheucht, um Abhilfe zu schaffen. Dann kam er mürrisch nugeschlurft und
begleitete, zu unser aller Bergnügen, seine Besseruugsversuche mit lauten
Monologen, worin er stets dein Verdacht Ausdruck gab, daß wir „Saujungen,"
die wir ja „gar keene Rallion" hätten, uns an der Lauche vergriffen haben
mochten. Einmal, wo in den Lampen fo viel Öl war, daß die Behälter es
kaum fassen konnten, und es oben am Dochte herausquoll, stellte er fluchend
die Thatsache fest, daß „alle Döchter ersoffen" wären. Daß die Lampen, weil
sie dem guten Alten so viel Ärger und dieser Ärger uns so viel Vergnügen
machte, Anlaß zu allerhand Schabernack gaben, will ich nicht leugnen. Ich
weiß, daß uns eine Zeit lang lebhaft der Gedanke beschäftigte, eines schönen
Tages in alle Lampen zwischen das Öl Tinte zu gießen, entsinne mich aber
nicht, ob es wirklich ausgeführt worden ist.

Die Arbeitsstunden waren eine gute Einrichtung. Sie verschafften nus
mehr als genügende Zeit, ruhig und ungestört unsre Schularbeiten anzufertigen,
wobei es den Kleinern zu statten kam, daß sie sich bei den Größern Rats
erholen konnten, da Jungen aus allen Klassen durch einander saßen. Auch
sonst half man sich gegenseitig aus. Ich hatte in Quarta noch kein lateinisches
Wörterbuch, mein Nachbar am Tische, der in derselben Klasse saß, hatte den
„großen Georges," um den ich ihn lange beneidet habe. Er war aber ein
ungefälliger Junge. Obwohl das dicke Buch immer zwischen uns lag, wenn
wir am lateinischen „Specimen" drechselten, dürfte ich es doch nicht anrühren,
ohne ihn jedesmal vorher drum gefragt zu bilden, und manchmal hätte er mirs
lieber ganz verweigert. Da war die Sache nun sehr einfach. Er war sich
meist nicht klar darüber, ob der ^emmg-divus cum iiilinitivo oder ein Nebensatz,
im oder ut non, ejnill oder auoä zu stehen hätte, und versuchte es dann, mich
auszuhorchen. Natürlich mußte er dn jede syntaktische Auskunft lexikalisch bar
bezahlen.

Die Zeit zwischen der Früharbeitsstnnde und den Schulstunden war
für ihren Zweck etwas knapp bemessen. Besonders schlimm aber waren die
Kleinen dran. Sie mußten die Großen beim Herzuholen des Frühstücks be¬
dienen, jeder Kammerultimus mußte seinem Kammerprimus die Stiefel wichsen,
und dabei sollte er doch auch die eignen putzen, sollte die Kammer kehren, sollte
sich wasche» und ankleiden und wollte doch auch essen und trinken. Schauderhaft
war es im Winter, wen» in den unheizbaren Kammern eine Kälte war, daß
einem die Wichsbürste aus den Fingern sprang, und in den Waschbecken die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/100>, abgerufen am 28.09.2024.