Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das deutsch-englische Abkommen

und wie teuer mußte schließlich Preußen diese kärgliche Unterstützung bezahlen!
Es gab im welfisch-englischen Interesse das treue Ostfriesland und damit seine
feste Stellung an der Nordsee auf fünfzig Jahre preis, und es mußte daun
noch erleben, daß sich England am 3. Januar 1815 mit Osterreich und Frank¬
reich verbündete, um den russisch-preußischen Plänen in Sachsen und Polen
entgegenzutreten. Und das Ergebnis? Hier der "deutsche Bund," die kläg¬
lichste Verfassung, die jemals einem großen siegreichen Volke auferlegt worden
ist, und die Zerteilung Preußens in zwei getrennte Gebietsmassen, zwischen
die sich das vergrößerte, eifersüchtige Hannover schob, ein Pfahl im Fleische
des preußischen Staates, dort die Sicherung der alles überragenden See- und
Kolonialherrschaft Englands!

Auch die allmähliche Erhebung Deutschlands unter Preußens Führung
hat stets mit dem Übelwollen Englands zu kämpfen gehabt. Der mühseligen
Begründung des Zollvereins warf Englands Handelsueid, wo es möglich war,
Hemmnisse in den Weg, es stellte sich 1848/49 und weiterhin in der schleswig¬
holsteinischen Frage dem deutschen Interesse mit offener Feindseligkeit gegen¬
über, ja Lord Palmerston wagte die schwarzrotgoldne Kriegsslagge, als sie sich
auf der Nordsee zeigte, als eine "Seeräuberflagge" zu bezeichnen. Im Krim¬
kriege wollte die englische Politik nach dem Beispiele früherer Borgänge
Preußen in den Krieg gegen Rußland hineintreiben, dessen Hauptlast damit
sofort auf die Schultern Preußens gefallen wäre, und es soll dem König
Friedrich Wilhelm IV. unvergessen bleiben, daß er, hierin von Vismarck, seinem
Bundestagsgesandter in Frankfurt, bestärkt, dem entschieden widerstrebt hat.
Wie die englische Presse 1863 und 1864 während des dänischen Krieges gegen
Deutschland tobte, wie das englische Unterhaus die Kunde von der angeblichen
Niederlage des österreichisch-preußischen Geschwaders bei Helgoland am 9. Mai
1864 mit lauten Cheers begrüßte, wie die parteiische Neutralität Englands
im Jahre 1870 die Franzosen begünstigt hat, das alles ist noch in frischer
Erinnerung.

Wenn wir diese lauge Reihe von Thatsachen vorführen, so wollen wir
damit keineswegs ein Sündenregister der britischen Politik aufstellen. Aber
zweierlei geht daraus unwiderleglich hervor. England hat in seinem Verhältnis
zu Deutschland niemals eine andre Richtschnur verfolgt, als die des eignen,
mit nüchternster Überlegung festgehaltenen scheinbaren oder wirklichen Vorteils,
der durchaus uicht immer mit dem Deutschlands zusammenfiel, und feine
Hilfe hat auch da, wo und soweit sie geleistet wurde, weder Niederlage noch
Sieg in einem festländischen Kriege jemals entschieden, während die Siege
seiner festländischen Bundesgenossenschaft England fast immer die größten Vor¬
teile, den Löwenanteil an der Beute, in den Schoß geworfen haben. An
diesem Verhältnis hat keine englische Regierung jemals etwas geändert, denn
dieses Verhältnis ist in der insularen Lage Englands und in dem Charakter


Das deutsch-englische Abkommen

und wie teuer mußte schließlich Preußen diese kärgliche Unterstützung bezahlen!
Es gab im welfisch-englischen Interesse das treue Ostfriesland und damit seine
feste Stellung an der Nordsee auf fünfzig Jahre preis, und es mußte daun
noch erleben, daß sich England am 3. Januar 1815 mit Osterreich und Frank¬
reich verbündete, um den russisch-preußischen Plänen in Sachsen und Polen
entgegenzutreten. Und das Ergebnis? Hier der „deutsche Bund," die kläg¬
lichste Verfassung, die jemals einem großen siegreichen Volke auferlegt worden
ist, und die Zerteilung Preußens in zwei getrennte Gebietsmassen, zwischen
die sich das vergrößerte, eifersüchtige Hannover schob, ein Pfahl im Fleische
des preußischen Staates, dort die Sicherung der alles überragenden See- und
Kolonialherrschaft Englands!

Auch die allmähliche Erhebung Deutschlands unter Preußens Führung
hat stets mit dem Übelwollen Englands zu kämpfen gehabt. Der mühseligen
Begründung des Zollvereins warf Englands Handelsueid, wo es möglich war,
Hemmnisse in den Weg, es stellte sich 1848/49 und weiterhin in der schleswig¬
holsteinischen Frage dem deutschen Interesse mit offener Feindseligkeit gegen¬
über, ja Lord Palmerston wagte die schwarzrotgoldne Kriegsslagge, als sie sich
auf der Nordsee zeigte, als eine „Seeräuberflagge" zu bezeichnen. Im Krim¬
kriege wollte die englische Politik nach dem Beispiele früherer Borgänge
Preußen in den Krieg gegen Rußland hineintreiben, dessen Hauptlast damit
sofort auf die Schultern Preußens gefallen wäre, und es soll dem König
Friedrich Wilhelm IV. unvergessen bleiben, daß er, hierin von Vismarck, seinem
Bundestagsgesandter in Frankfurt, bestärkt, dem entschieden widerstrebt hat.
Wie die englische Presse 1863 und 1864 während des dänischen Krieges gegen
Deutschland tobte, wie das englische Unterhaus die Kunde von der angeblichen
Niederlage des österreichisch-preußischen Geschwaders bei Helgoland am 9. Mai
1864 mit lauten Cheers begrüßte, wie die parteiische Neutralität Englands
im Jahre 1870 die Franzosen begünstigt hat, das alles ist noch in frischer
Erinnerung.

Wenn wir diese lauge Reihe von Thatsachen vorführen, so wollen wir
damit keineswegs ein Sündenregister der britischen Politik aufstellen. Aber
zweierlei geht daraus unwiderleglich hervor. England hat in seinem Verhältnis
zu Deutschland niemals eine andre Richtschnur verfolgt, als die des eignen,
mit nüchternster Überlegung festgehaltenen scheinbaren oder wirklichen Vorteils,
der durchaus uicht immer mit dem Deutschlands zusammenfiel, und feine
Hilfe hat auch da, wo und soweit sie geleistet wurde, weder Niederlage noch
Sieg in einem festländischen Kriege jemals entschieden, während die Siege
seiner festländischen Bundesgenossenschaft England fast immer die größten Vor¬
teile, den Löwenanteil an der Beute, in den Schoß geworfen haben. An
diesem Verhältnis hat keine englische Regierung jemals etwas geändert, denn
dieses Verhältnis ist in der insularen Lage Englands und in dem Charakter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0627" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207922"/>
            <fw type="header" place="top"> Das deutsch-englische Abkommen</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1737" prev="#ID_1736"> und wie teuer mußte schließlich Preußen diese kärgliche Unterstützung bezahlen!<lb/>
Es gab im welfisch-englischen Interesse das treue Ostfriesland und damit seine<lb/>
feste Stellung an der Nordsee auf fünfzig Jahre preis, und es mußte daun<lb/>
noch erleben, daß sich England am 3. Januar 1815 mit Osterreich und Frank¬<lb/>
reich verbündete, um den russisch-preußischen Plänen in Sachsen und Polen<lb/>
entgegenzutreten. Und das Ergebnis? Hier der &#x201E;deutsche Bund," die kläg¬<lb/>
lichste Verfassung, die jemals einem großen siegreichen Volke auferlegt worden<lb/>
ist, und die Zerteilung Preußens in zwei getrennte Gebietsmassen, zwischen<lb/>
die sich das vergrößerte, eifersüchtige Hannover schob, ein Pfahl im Fleische<lb/>
des preußischen Staates, dort die Sicherung der alles überragenden See- und<lb/>
Kolonialherrschaft Englands!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1738"> Auch die allmähliche Erhebung Deutschlands unter Preußens Führung<lb/>
hat stets mit dem Übelwollen Englands zu kämpfen gehabt. Der mühseligen<lb/>
Begründung des Zollvereins warf Englands Handelsueid, wo es möglich war,<lb/>
Hemmnisse in den Weg, es stellte sich 1848/49 und weiterhin in der schleswig¬<lb/>
holsteinischen Frage dem deutschen Interesse mit offener Feindseligkeit gegen¬<lb/>
über, ja Lord Palmerston wagte die schwarzrotgoldne Kriegsslagge, als sie sich<lb/>
auf der Nordsee zeigte, als eine &#x201E;Seeräuberflagge" zu bezeichnen. Im Krim¬<lb/>
kriege wollte die englische Politik nach dem Beispiele früherer Borgänge<lb/>
Preußen in den Krieg gegen Rußland hineintreiben, dessen Hauptlast damit<lb/>
sofort auf die Schultern Preußens gefallen wäre, und es soll dem König<lb/>
Friedrich Wilhelm IV. unvergessen bleiben, daß er, hierin von Vismarck, seinem<lb/>
Bundestagsgesandter in Frankfurt, bestärkt, dem entschieden widerstrebt hat.<lb/>
Wie die englische Presse 1863 und 1864 während des dänischen Krieges gegen<lb/>
Deutschland tobte, wie das englische Unterhaus die Kunde von der angeblichen<lb/>
Niederlage des österreichisch-preußischen Geschwaders bei Helgoland am 9. Mai<lb/>
1864 mit lauten Cheers begrüßte, wie die parteiische Neutralität Englands<lb/>
im Jahre 1870 die Franzosen begünstigt hat, das alles ist noch in frischer<lb/>
Erinnerung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1739" next="#ID_1740"> Wenn wir diese lauge Reihe von Thatsachen vorführen, so wollen wir<lb/>
damit keineswegs ein Sündenregister der britischen Politik aufstellen. Aber<lb/>
zweierlei geht daraus unwiderleglich hervor. England hat in seinem Verhältnis<lb/>
zu Deutschland niemals eine andre Richtschnur verfolgt, als die des eignen,<lb/>
mit nüchternster Überlegung festgehaltenen scheinbaren oder wirklichen Vorteils,<lb/>
der durchaus uicht immer mit dem Deutschlands zusammenfiel, und feine<lb/>
Hilfe hat auch da, wo und soweit sie geleistet wurde, weder Niederlage noch<lb/>
Sieg in einem festländischen Kriege jemals entschieden, während die Siege<lb/>
seiner festländischen Bundesgenossenschaft England fast immer die größten Vor¬<lb/>
teile, den Löwenanteil an der Beute, in den Schoß geworfen haben. An<lb/>
diesem Verhältnis hat keine englische Regierung jemals etwas geändert, denn<lb/>
dieses Verhältnis ist in der insularen Lage Englands und in dem Charakter</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0627] Das deutsch-englische Abkommen und wie teuer mußte schließlich Preußen diese kärgliche Unterstützung bezahlen! Es gab im welfisch-englischen Interesse das treue Ostfriesland und damit seine feste Stellung an der Nordsee auf fünfzig Jahre preis, und es mußte daun noch erleben, daß sich England am 3. Januar 1815 mit Osterreich und Frank¬ reich verbündete, um den russisch-preußischen Plänen in Sachsen und Polen entgegenzutreten. Und das Ergebnis? Hier der „deutsche Bund," die kläg¬ lichste Verfassung, die jemals einem großen siegreichen Volke auferlegt worden ist, und die Zerteilung Preußens in zwei getrennte Gebietsmassen, zwischen die sich das vergrößerte, eifersüchtige Hannover schob, ein Pfahl im Fleische des preußischen Staates, dort die Sicherung der alles überragenden See- und Kolonialherrschaft Englands! Auch die allmähliche Erhebung Deutschlands unter Preußens Führung hat stets mit dem Übelwollen Englands zu kämpfen gehabt. Der mühseligen Begründung des Zollvereins warf Englands Handelsueid, wo es möglich war, Hemmnisse in den Weg, es stellte sich 1848/49 und weiterhin in der schleswig¬ holsteinischen Frage dem deutschen Interesse mit offener Feindseligkeit gegen¬ über, ja Lord Palmerston wagte die schwarzrotgoldne Kriegsslagge, als sie sich auf der Nordsee zeigte, als eine „Seeräuberflagge" zu bezeichnen. Im Krim¬ kriege wollte die englische Politik nach dem Beispiele früherer Borgänge Preußen in den Krieg gegen Rußland hineintreiben, dessen Hauptlast damit sofort auf die Schultern Preußens gefallen wäre, und es soll dem König Friedrich Wilhelm IV. unvergessen bleiben, daß er, hierin von Vismarck, seinem Bundestagsgesandter in Frankfurt, bestärkt, dem entschieden widerstrebt hat. Wie die englische Presse 1863 und 1864 während des dänischen Krieges gegen Deutschland tobte, wie das englische Unterhaus die Kunde von der angeblichen Niederlage des österreichisch-preußischen Geschwaders bei Helgoland am 9. Mai 1864 mit lauten Cheers begrüßte, wie die parteiische Neutralität Englands im Jahre 1870 die Franzosen begünstigt hat, das alles ist noch in frischer Erinnerung. Wenn wir diese lauge Reihe von Thatsachen vorführen, so wollen wir damit keineswegs ein Sündenregister der britischen Politik aufstellen. Aber zweierlei geht daraus unwiderleglich hervor. England hat in seinem Verhältnis zu Deutschland niemals eine andre Richtschnur verfolgt, als die des eignen, mit nüchternster Überlegung festgehaltenen scheinbaren oder wirklichen Vorteils, der durchaus uicht immer mit dem Deutschlands zusammenfiel, und feine Hilfe hat auch da, wo und soweit sie geleistet wurde, weder Niederlage noch Sieg in einem festländischen Kriege jemals entschieden, während die Siege seiner festländischen Bundesgenossenschaft England fast immer die größten Vor¬ teile, den Löwenanteil an der Beute, in den Schoß geworfen haben. An diesem Verhältnis hat keine englische Regierung jemals etwas geändert, denn dieses Verhältnis ist in der insularen Lage Englands und in dem Charakter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/627
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/627>, abgerufen am 21.06.2024.