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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Das deutsch-englische Abkommen

seine Beute gesichert war oder sein Vorteil es erheischte. Es schloß den Frieden
von Nhswhk 1697, ohne sich um die Wiedergewinnung Straßburgs irgendwie
zu kümmern, und als seit 1714 Hannover mit England unter demselben
Herrscherhause vereinigt war, da hat die welfisch-englische Politik mehr als ein
Jahrhundert hindurch auf die deutschen Verhältnisse fast immer eiuen uu-
gttnstigen Einfluß geübt. Das deutsche Hannover war ein Werkzeug Englands
geworden, und umgekehrt wurde die deutsche Politik desselben oft genug von
welfischen Gesichtspunkten bestimmt. Friedrich Wilhelm I. hoffte vergeblich,
an England eine Stütze für die Durchführung seiner gerechten Ansprüche auf
Jülich-Berg zu finden, Österreich mußte 1731 die Anerkennung seiner prag¬
matischen Sanktion mit der Auflösung der ostindisch-belgischen Handelsgesellschaft
in Ostende erkaufe", die der englische Handelsneid verlangte, und, obwohl dann
England-Hannover während des österreichischen Erbfolgekrieges mit den Waffen
für Maria Theresias Recht eintrat, nicht dies Eingreifen hat damals den Be¬
stand der Habsburgischen Monarchie gerettet, sondern die entschlossene Erhebung
Ungarns und die kluge Zurückhaltung Friedrichs des Großen. Als dieser dann
im Vegiuu des siebenjährigen Krieges sein Vüuduis mit England schloß, da
versagte England doch vertragswidrig die Sendung eiuer Flotte in die Ostsee,
die die russischen Augriffe auf Pommern unmöglich gemacht und die Festsetzung
der Russe" in Ostpreußen wenigstens erschwert hätte; es stellte endlich
nach W. Pitts Rücktritt 1761 die Zahlung der Hilfsgelder el" und brachte
dadurch Friedrich II. dem Untergange nahe, jn es trieb unter der Hand dessen
Feinde zu verstärkten Anstrengungen, um den König zum Friede" zu zwingen,
für sich selbst aber trug es aus dem Kriege Kanada davon und die Begründung
seines indischen Kolonialreiches ans einem Boden, der bisher die glänzendsten
Aussichten für Frankreich eröffnet hatte. Die Folge war eine tiefe Entfremdung
zwischen Preußen und England; es war zum Teil ein Akt der Vergeltung,
wenn Friedrich der Große als der erste europäische Fürst schon um 10. Sep¬
tember 1785 einen Frenndschafts- und Handelsvertrag mit derjenigen nord-
amerikanischen Republik abschloß, die soeben erst ihre Unabhängigkeit dem eng¬
lischen Mutterlande abgerungen hatte. Erst Friedrich Wilhelm II. suchte 1788
wieder eine Anlehnung an England gegenüber der österreichisch-russischen Er¬
oberungspolitik in Osteuropa, doch eine" wirksamen Beistand empfing er von
dorther keineswegs.

Und welches Gepräge rücksichtsloser Selbstsucht tragt die englische Politik
in den ersten Koalitivnskriegen gegen Frankreich! Der aussichtsreiche Zug
von Belgien gegen Paris im Jahre 1793 wurde dadurch verhindert, daß Eng¬
land auf der Eroberung von Dünkirchen für sich selber bestand; im nächsten
Jahre drängte es dann sein Sonderinteresse an der Behauptung Belgiens so
in den Vordergrund, daß Preußen, damals wieder durch Hilfsgelder England
verpflichtet, am Oberrhein den Krieg nur verteidigungsweise führen konnte,


Grenzboten 11 169V 78
Das deutsch-englische Abkommen

seine Beute gesichert war oder sein Vorteil es erheischte. Es schloß den Frieden
von Nhswhk 1697, ohne sich um die Wiedergewinnung Straßburgs irgendwie
zu kümmern, und als seit 1714 Hannover mit England unter demselben
Herrscherhause vereinigt war, da hat die welfisch-englische Politik mehr als ein
Jahrhundert hindurch auf die deutschen Verhältnisse fast immer eiuen uu-
gttnstigen Einfluß geübt. Das deutsche Hannover war ein Werkzeug Englands
geworden, und umgekehrt wurde die deutsche Politik desselben oft genug von
welfischen Gesichtspunkten bestimmt. Friedrich Wilhelm I. hoffte vergeblich,
an England eine Stütze für die Durchführung seiner gerechten Ansprüche auf
Jülich-Berg zu finden, Österreich mußte 1731 die Anerkennung seiner prag¬
matischen Sanktion mit der Auflösung der ostindisch-belgischen Handelsgesellschaft
in Ostende erkaufe», die der englische Handelsneid verlangte, und, obwohl dann
England-Hannover während des österreichischen Erbfolgekrieges mit den Waffen
für Maria Theresias Recht eintrat, nicht dies Eingreifen hat damals den Be¬
stand der Habsburgischen Monarchie gerettet, sondern die entschlossene Erhebung
Ungarns und die kluge Zurückhaltung Friedrichs des Großen. Als dieser dann
im Vegiuu des siebenjährigen Krieges sein Vüuduis mit England schloß, da
versagte England doch vertragswidrig die Sendung eiuer Flotte in die Ostsee,
die die russischen Augriffe auf Pommern unmöglich gemacht und die Festsetzung
der Russe» in Ostpreußen wenigstens erschwert hätte; es stellte endlich
nach W. Pitts Rücktritt 1761 die Zahlung der Hilfsgelder el» und brachte
dadurch Friedrich II. dem Untergange nahe, jn es trieb unter der Hand dessen
Feinde zu verstärkten Anstrengungen, um den König zum Friede» zu zwingen,
für sich selbst aber trug es aus dem Kriege Kanada davon und die Begründung
seines indischen Kolonialreiches ans einem Boden, der bisher die glänzendsten
Aussichten für Frankreich eröffnet hatte. Die Folge war eine tiefe Entfremdung
zwischen Preußen und England; es war zum Teil ein Akt der Vergeltung,
wenn Friedrich der Große als der erste europäische Fürst schon um 10. Sep¬
tember 1785 einen Frenndschafts- und Handelsvertrag mit derjenigen nord-
amerikanischen Republik abschloß, die soeben erst ihre Unabhängigkeit dem eng¬
lischen Mutterlande abgerungen hatte. Erst Friedrich Wilhelm II. suchte 1788
wieder eine Anlehnung an England gegenüber der österreichisch-russischen Er¬
oberungspolitik in Osteuropa, doch eine» wirksamen Beistand empfing er von
dorther keineswegs.

Und welches Gepräge rücksichtsloser Selbstsucht tragt die englische Politik
in den ersten Koalitivnskriegen gegen Frankreich! Der aussichtsreiche Zug
von Belgien gegen Paris im Jahre 1793 wurde dadurch verhindert, daß Eng¬
land auf der Eroberung von Dünkirchen für sich selber bestand; im nächsten
Jahre drängte es dann sein Sonderinteresse an der Behauptung Belgiens so
in den Vordergrund, daß Preußen, damals wieder durch Hilfsgelder England
verpflichtet, am Oberrhein den Krieg nur verteidigungsweise führen konnte,


Grenzboten 11 169V 78
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[0625] Das deutsch-englische Abkommen seine Beute gesichert war oder sein Vorteil es erheischte. Es schloß den Frieden von Nhswhk 1697, ohne sich um die Wiedergewinnung Straßburgs irgendwie zu kümmern, und als seit 1714 Hannover mit England unter demselben Herrscherhause vereinigt war, da hat die welfisch-englische Politik mehr als ein Jahrhundert hindurch auf die deutschen Verhältnisse fast immer eiuen uu- gttnstigen Einfluß geübt. Das deutsche Hannover war ein Werkzeug Englands geworden, und umgekehrt wurde die deutsche Politik desselben oft genug von welfischen Gesichtspunkten bestimmt. Friedrich Wilhelm I. hoffte vergeblich, an England eine Stütze für die Durchführung seiner gerechten Ansprüche auf Jülich-Berg zu finden, Österreich mußte 1731 die Anerkennung seiner prag¬ matischen Sanktion mit der Auflösung der ostindisch-belgischen Handelsgesellschaft in Ostende erkaufe», die der englische Handelsneid verlangte, und, obwohl dann England-Hannover während des österreichischen Erbfolgekrieges mit den Waffen für Maria Theresias Recht eintrat, nicht dies Eingreifen hat damals den Be¬ stand der Habsburgischen Monarchie gerettet, sondern die entschlossene Erhebung Ungarns und die kluge Zurückhaltung Friedrichs des Großen. Als dieser dann im Vegiuu des siebenjährigen Krieges sein Vüuduis mit England schloß, da versagte England doch vertragswidrig die Sendung eiuer Flotte in die Ostsee, die die russischen Augriffe auf Pommern unmöglich gemacht und die Festsetzung der Russe» in Ostpreußen wenigstens erschwert hätte; es stellte endlich nach W. Pitts Rücktritt 1761 die Zahlung der Hilfsgelder el» und brachte dadurch Friedrich II. dem Untergange nahe, jn es trieb unter der Hand dessen Feinde zu verstärkten Anstrengungen, um den König zum Friede» zu zwingen, für sich selbst aber trug es aus dem Kriege Kanada davon und die Begründung seines indischen Kolonialreiches ans einem Boden, der bisher die glänzendsten Aussichten für Frankreich eröffnet hatte. Die Folge war eine tiefe Entfremdung zwischen Preußen und England; es war zum Teil ein Akt der Vergeltung, wenn Friedrich der Große als der erste europäische Fürst schon um 10. Sep¬ tember 1785 einen Frenndschafts- und Handelsvertrag mit derjenigen nord- amerikanischen Republik abschloß, die soeben erst ihre Unabhängigkeit dem eng¬ lischen Mutterlande abgerungen hatte. Erst Friedrich Wilhelm II. suchte 1788 wieder eine Anlehnung an England gegenüber der österreichisch-russischen Er¬ oberungspolitik in Osteuropa, doch eine» wirksamen Beistand empfing er von dorther keineswegs. Und welches Gepräge rücksichtsloser Selbstsucht tragt die englische Politik in den ersten Koalitivnskriegen gegen Frankreich! Der aussichtsreiche Zug von Belgien gegen Paris im Jahre 1793 wurde dadurch verhindert, daß Eng¬ land auf der Eroberung von Dünkirchen für sich selber bestand; im nächsten Jahre drängte es dann sein Sonderinteresse an der Behauptung Belgiens so in den Vordergrund, daß Preußen, damals wieder durch Hilfsgelder England verpflichtet, am Oberrhein den Krieg nur verteidigungsweise führen konnte, Grenzboten 11 169V 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/625>, abgerufen am 29.06.2024.