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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

bekannt. Die "Schlesische Zeitung" sprach in Ur. 373 die Ansicht ans, daß
bei längerm Anhalten der hohen Kohlenpreise und weiterer Steigerung der
dadurch hervorgerufenen Ansprüche des Arbeiterkindes der Ruin unsrer Erport-
iudustrie unausbleiblich sei. Im Verlauf ihrer Ausführungen bemerkte sie
uoch: "Die Hoffnung, daß die oberste" Verwaltungsbehörden mittels der fis¬
kalische" Gruben energisch diesem Treiben entgegenarbeiten würden, hat sich
als illusorisch erwiesen." Dazu hat sich eben der falsche Kapitalbegrisf zu tief
eingefressen, als daß es irgend eine Behörde vor ihrem Gewissen verantworten
könnte, bei einem Staatsbetrieb einen sich darbietenden augenblicklichen Geschäfts-
vvrteil von der Hand zu weisen; daß die Rentabilität der Kapitalanlage nicht
selten die Vernichtung des Vermögens bedeutet, das muß erst uoch gelernt
werden. Wir fügen noch bei, daß in Frankreich der Grundbesitz 17, die In-
dustrie 8, das mobile Kapital Prozent Steuern zahlt.

Nicht einmal die richtige Einsicht in die Vermögenslage des Landes ist
zu gewinnen, so lauge sich die Behörde" von dein falsche" Kapitalbegriff be¬
herrsche" lassen. Wenn nicht selten die vorhandenen Wertpapiere mit zum
Vermögen gerechnet werden, so beruht das auf der wahrhaft kindlichen An¬
schauung, als ob diese Papiere neben dem Volksvermögen für sich uoch etwas
wert wäre". Das ist gerade so, als wollte man ein Banergnt, das 29000
Thaler wert ist, auf 35000 Thaler abschätzen, weil 15000 Thaler Schulden
darauf lasten. Der Wert der Wertpapiere steckt im Werte der Häuser, Äcker,
Eisenbahnen u. s. w. drin; neben diesen Realien sind sie nichts als Makulatur.
Nur die ausländischem Wertpapiere, d. h. also die Anweisungen auf im Aus¬
lande liegende Landgüter, Bergwerke, Eisenbalmeu u. s. w. sind bei Berechnung
des Nationalvermögens zu deu heimischen Gütern hinzuzuzählen; dafür aber
müssen die deutschen Wertpapiere abgezogen werden, die sich in ausländischen
Händen befinden. Ans demselben Irrtum entspringt es, daß immer noch das
Wachstum der Sparkasseneinlagen sür gleichbedeutend gehalten wird mit dem
Wachstum des Vermögens der Fabrikarbeiter, Kleiuhandwerker, Tagelöhner
und Dienstboten. Abgesehen davon, daß auch viele wohlhabende Leute einen
Teil ihres Geldes vorübergehend in die Sparkasse legen, wäre das Sparkassen¬
kapital mir dann als Maßstab für das Vermögen der untersten Klassen zu
gebrauchen, wenn man gleichzeitig wüßte, wie es mit ihrem übrigen Vermögen
steht. Wenn zwei Millionen Arbeiter und Dienstboten zweihundert Millionen
Sparlasseukapital besitzen, so macht das hundert Mark auf deu Kopf und fünf¬
hundert Mark auf die Familie, und wenn das ihr ganzes Vermögen ist, so
sind sie eben nur Proletarier; Hausrat und Kleider einer anständigen Hand-
werkerfamilie sind allein schon viel mehr wert. Vor fünfzig Jahren waren
nnn vielleicht die Bäter der meisten dieser Sparkassenkapitalisten ländliche oder
kleinstädtische Ackerstellenbesitzer, deren Anwesen in Geld auf zwei- bis sechs¬
tausend Mark abgeschätzt, in Wirklichkeit aber als sichere Grundlage der


Die soziale Frage

bekannt. Die „Schlesische Zeitung" sprach in Ur. 373 die Ansicht ans, daß
bei längerm Anhalten der hohen Kohlenpreise und weiterer Steigerung der
dadurch hervorgerufenen Ansprüche des Arbeiterkindes der Ruin unsrer Erport-
iudustrie unausbleiblich sei. Im Verlauf ihrer Ausführungen bemerkte sie
uoch: „Die Hoffnung, daß die oberste« Verwaltungsbehörden mittels der fis¬
kalische» Gruben energisch diesem Treiben entgegenarbeiten würden, hat sich
als illusorisch erwiesen." Dazu hat sich eben der falsche Kapitalbegrisf zu tief
eingefressen, als daß es irgend eine Behörde vor ihrem Gewissen verantworten
könnte, bei einem Staatsbetrieb einen sich darbietenden augenblicklichen Geschäfts-
vvrteil von der Hand zu weisen; daß die Rentabilität der Kapitalanlage nicht
selten die Vernichtung des Vermögens bedeutet, das muß erst uoch gelernt
werden. Wir fügen noch bei, daß in Frankreich der Grundbesitz 17, die In-
dustrie 8, das mobile Kapital Prozent Steuern zahlt.

Nicht einmal die richtige Einsicht in die Vermögenslage des Landes ist
zu gewinnen, so lauge sich die Behörde» von dein falsche» Kapitalbegriff be¬
herrsche» lassen. Wenn nicht selten die vorhandenen Wertpapiere mit zum
Vermögen gerechnet werden, so beruht das auf der wahrhaft kindlichen An¬
schauung, als ob diese Papiere neben dem Volksvermögen für sich uoch etwas
wert wäre». Das ist gerade so, als wollte man ein Banergnt, das 29000
Thaler wert ist, auf 35000 Thaler abschätzen, weil 15000 Thaler Schulden
darauf lasten. Der Wert der Wertpapiere steckt im Werte der Häuser, Äcker,
Eisenbahnen u. s. w. drin; neben diesen Realien sind sie nichts als Makulatur.
Nur die ausländischem Wertpapiere, d. h. also die Anweisungen auf im Aus¬
lande liegende Landgüter, Bergwerke, Eisenbalmeu u. s. w. sind bei Berechnung
des Nationalvermögens zu deu heimischen Gütern hinzuzuzählen; dafür aber
müssen die deutschen Wertpapiere abgezogen werden, die sich in ausländischen
Händen befinden. Ans demselben Irrtum entspringt es, daß immer noch das
Wachstum der Sparkasseneinlagen sür gleichbedeutend gehalten wird mit dem
Wachstum des Vermögens der Fabrikarbeiter, Kleiuhandwerker, Tagelöhner
und Dienstboten. Abgesehen davon, daß auch viele wohlhabende Leute einen
Teil ihres Geldes vorübergehend in die Sparkasse legen, wäre das Sparkassen¬
kapital mir dann als Maßstab für das Vermögen der untersten Klassen zu
gebrauchen, wenn man gleichzeitig wüßte, wie es mit ihrem übrigen Vermögen
steht. Wenn zwei Millionen Arbeiter und Dienstboten zweihundert Millionen
Sparlasseukapital besitzen, so macht das hundert Mark auf deu Kopf und fünf¬
hundert Mark auf die Familie, und wenn das ihr ganzes Vermögen ist, so
sind sie eben nur Proletarier; Hausrat und Kleider einer anständigen Hand-
werkerfamilie sind allein schon viel mehr wert. Vor fünfzig Jahren waren
nnn vielleicht die Bäter der meisten dieser Sparkassenkapitalisten ländliche oder
kleinstädtische Ackerstellenbesitzer, deren Anwesen in Geld auf zwei- bis sechs¬
tausend Mark abgeschätzt, in Wirklichkeit aber als sichere Grundlage der


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[0603] Die soziale Frage bekannt. Die „Schlesische Zeitung" sprach in Ur. 373 die Ansicht ans, daß bei längerm Anhalten der hohen Kohlenpreise und weiterer Steigerung der dadurch hervorgerufenen Ansprüche des Arbeiterkindes der Ruin unsrer Erport- iudustrie unausbleiblich sei. Im Verlauf ihrer Ausführungen bemerkte sie uoch: „Die Hoffnung, daß die oberste« Verwaltungsbehörden mittels der fis¬ kalische» Gruben energisch diesem Treiben entgegenarbeiten würden, hat sich als illusorisch erwiesen." Dazu hat sich eben der falsche Kapitalbegrisf zu tief eingefressen, als daß es irgend eine Behörde vor ihrem Gewissen verantworten könnte, bei einem Staatsbetrieb einen sich darbietenden augenblicklichen Geschäfts- vvrteil von der Hand zu weisen; daß die Rentabilität der Kapitalanlage nicht selten die Vernichtung des Vermögens bedeutet, das muß erst uoch gelernt werden. Wir fügen noch bei, daß in Frankreich der Grundbesitz 17, die In- dustrie 8, das mobile Kapital Prozent Steuern zahlt. Nicht einmal die richtige Einsicht in die Vermögenslage des Landes ist zu gewinnen, so lauge sich die Behörde» von dein falsche» Kapitalbegriff be¬ herrsche» lassen. Wenn nicht selten die vorhandenen Wertpapiere mit zum Vermögen gerechnet werden, so beruht das auf der wahrhaft kindlichen An¬ schauung, als ob diese Papiere neben dem Volksvermögen für sich uoch etwas wert wäre». Das ist gerade so, als wollte man ein Banergnt, das 29000 Thaler wert ist, auf 35000 Thaler abschätzen, weil 15000 Thaler Schulden darauf lasten. Der Wert der Wertpapiere steckt im Werte der Häuser, Äcker, Eisenbahnen u. s. w. drin; neben diesen Realien sind sie nichts als Makulatur. Nur die ausländischem Wertpapiere, d. h. also die Anweisungen auf im Aus¬ lande liegende Landgüter, Bergwerke, Eisenbalmeu u. s. w. sind bei Berechnung des Nationalvermögens zu deu heimischen Gütern hinzuzuzählen; dafür aber müssen die deutschen Wertpapiere abgezogen werden, die sich in ausländischen Händen befinden. Ans demselben Irrtum entspringt es, daß immer noch das Wachstum der Sparkasseneinlagen sür gleichbedeutend gehalten wird mit dem Wachstum des Vermögens der Fabrikarbeiter, Kleiuhandwerker, Tagelöhner und Dienstboten. Abgesehen davon, daß auch viele wohlhabende Leute einen Teil ihres Geldes vorübergehend in die Sparkasse legen, wäre das Sparkassen¬ kapital mir dann als Maßstab für das Vermögen der untersten Klassen zu gebrauchen, wenn man gleichzeitig wüßte, wie es mit ihrem übrigen Vermögen steht. Wenn zwei Millionen Arbeiter und Dienstboten zweihundert Millionen Sparlasseukapital besitzen, so macht das hundert Mark auf deu Kopf und fünf¬ hundert Mark auf die Familie, und wenn das ihr ganzes Vermögen ist, so sind sie eben nur Proletarier; Hausrat und Kleider einer anständigen Hand- werkerfamilie sind allein schon viel mehr wert. Vor fünfzig Jahren waren nnn vielleicht die Bäter der meisten dieser Sparkassenkapitalisten ländliche oder kleinstädtische Ackerstellenbesitzer, deren Anwesen in Geld auf zwei- bis sechs¬ tausend Mark abgeschätzt, in Wirklichkeit aber als sichere Grundlage der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/603>, abgerufen am 29.06.2024.