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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

Meistbietende ist entweder der Dominialherr, der sich abrunden will, oder ein
reicher Bauer, der den armen Leuten das bißchen Acker nicht gönnt. Den
zwanzig bis dreißig armen Familien wird die Grundlage ihrer Wirtschaft
entzogen, und die heimatlosen Proletarier sind fertig. Solche Verwendung
des Kirchengnts widerspricht schnurstracks seiner ursprünglichen Bestimmung.
Denn nach altchristlicher Anschauung ist es das Mtrinrmrium xmiperum, und nach
germanisch-nnttclalterlicher die materielle Grundlage für jene vielseitige Thätig¬
keit im Dienste des Staates, des Volkes und der Kultur, die beim Fehlen
eines Beamtenstandes und aller sonstigen Staatseinrichtungen der Geistlichkeit
oblag. Dafür haben die heutigen Behörden ganz das Verständnis verloren.
In der kapitalistischen Auffassung unsrer Zeit befangen, fragen sie bei den
Kirchengütern und bei sonstigen Vermögensstücken des Staates, der Provinzen
und Gemeinden nicht darnach, bei welcher Verwendungsart der größte Nutzen
fürs Gemeinwohl, fürs Volksvermögen herauskommt, sondern wie der höchste
Ertrag für den augenblicklichen Nutznießer zu erzielen sei. "Rentabilität" ist
die Losung. Wenn man eine größere Summe aus der Tasche der Kirchen-
ackerpächtcr in die Kirchtasfe, oder aus der des Dvmünenpächters in die
Staatskasse übergeführt hat, so bildet mau sich ein, das Nationalvermögen
vergrößert zu haben!

Zum Meistbietenden paßt der Mindcstfordernde. In der Koufliktszeit
war ich mit einem Glasermeister befreundet, der seiner konservativen Gesinnung
wegen bei der Regierung sehr gut angeschrieben stand. Zu meinem Erstaunen
erfuhr ich gelegentlich einmal, daß er niemals bei Regierungsbauten beschäftigt
werde. Auf meine Frage, wie das komme, erwiderte er: "Das ist doch sehr
einfach. Alle Arbeiten bei Regierungsbauten werden an den Mindestfordernden
vergeben. Es findet sich um stets entweder ein Dummkopf, der bei der Sache
zusetzt, oder ein Schurke, der entschlossen ist, seine Lieferanten oder den Bau¬
herrn oder Beide zu betrügen. Und da ich weder ein Dummkopf noch ein
Hallunke bin, so sehen Sie wohl ein, daß ich nicht nutbieten kann." Seitdem
ist es ja besser geworden; die Behörden pflegen Gebote, die sich unter den
Voranschlag verirren, nicht mehr zu berücksichtigen. Aber wie viel Vermögen
ist vor dein Eintritt der Besserung durch die "Submissionen" ans ehrlichen
in unehrliche Hände übergeführt worden! Im besten Falle förderte diese Praxis
immer noch die Vernichtung der Kleinen dnrch die Großen. Denn höchstens
sehr reiche Unternehmer kamen mit heiler Haut davon, weil sie sich die Ma¬
terialien außerordentlich billig beschaffen und mit einem ganz geringen Ge¬
winn vorlieb nehmen konnten.

Daß von den gegenwärtigen hohen Kvhlenpreisen nicht die Grubenbesitzer
den Borten ziehen, sondern die wenigen Großhändler, die den Kvhlenhandel
monopolisirt haben, die den Preis zu machen stark genug sind, und denen die
Förderung aller Gruben ans Jahre hinaus vertragsmäßig gehört, ist allgemein


Die soziale Frage

Meistbietende ist entweder der Dominialherr, der sich abrunden will, oder ein
reicher Bauer, der den armen Leuten das bißchen Acker nicht gönnt. Den
zwanzig bis dreißig armen Familien wird die Grundlage ihrer Wirtschaft
entzogen, und die heimatlosen Proletarier sind fertig. Solche Verwendung
des Kirchengnts widerspricht schnurstracks seiner ursprünglichen Bestimmung.
Denn nach altchristlicher Anschauung ist es das Mtrinrmrium xmiperum, und nach
germanisch-nnttclalterlicher die materielle Grundlage für jene vielseitige Thätig¬
keit im Dienste des Staates, des Volkes und der Kultur, die beim Fehlen
eines Beamtenstandes und aller sonstigen Staatseinrichtungen der Geistlichkeit
oblag. Dafür haben die heutigen Behörden ganz das Verständnis verloren.
In der kapitalistischen Auffassung unsrer Zeit befangen, fragen sie bei den
Kirchengütern und bei sonstigen Vermögensstücken des Staates, der Provinzen
und Gemeinden nicht darnach, bei welcher Verwendungsart der größte Nutzen
fürs Gemeinwohl, fürs Volksvermögen herauskommt, sondern wie der höchste
Ertrag für den augenblicklichen Nutznießer zu erzielen sei. „Rentabilität" ist
die Losung. Wenn man eine größere Summe aus der Tasche der Kirchen-
ackerpächtcr in die Kirchtasfe, oder aus der des Dvmünenpächters in die
Staatskasse übergeführt hat, so bildet mau sich ein, das Nationalvermögen
vergrößert zu haben!

Zum Meistbietenden paßt der Mindcstfordernde. In der Koufliktszeit
war ich mit einem Glasermeister befreundet, der seiner konservativen Gesinnung
wegen bei der Regierung sehr gut angeschrieben stand. Zu meinem Erstaunen
erfuhr ich gelegentlich einmal, daß er niemals bei Regierungsbauten beschäftigt
werde. Auf meine Frage, wie das komme, erwiderte er: „Das ist doch sehr
einfach. Alle Arbeiten bei Regierungsbauten werden an den Mindestfordernden
vergeben. Es findet sich um stets entweder ein Dummkopf, der bei der Sache
zusetzt, oder ein Schurke, der entschlossen ist, seine Lieferanten oder den Bau¬
herrn oder Beide zu betrügen. Und da ich weder ein Dummkopf noch ein
Hallunke bin, so sehen Sie wohl ein, daß ich nicht nutbieten kann." Seitdem
ist es ja besser geworden; die Behörden pflegen Gebote, die sich unter den
Voranschlag verirren, nicht mehr zu berücksichtigen. Aber wie viel Vermögen
ist vor dein Eintritt der Besserung durch die „Submissionen" ans ehrlichen
in unehrliche Hände übergeführt worden! Im besten Falle förderte diese Praxis
immer noch die Vernichtung der Kleinen dnrch die Großen. Denn höchstens
sehr reiche Unternehmer kamen mit heiler Haut davon, weil sie sich die Ma¬
terialien außerordentlich billig beschaffen und mit einem ganz geringen Ge¬
winn vorlieb nehmen konnten.

Daß von den gegenwärtigen hohen Kvhlenpreisen nicht die Grubenbesitzer
den Borten ziehen, sondern die wenigen Großhändler, die den Kvhlenhandel
monopolisirt haben, die den Preis zu machen stark genug sind, und denen die
Förderung aller Gruben ans Jahre hinaus vertragsmäßig gehört, ist allgemein


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[0602] Die soziale Frage Meistbietende ist entweder der Dominialherr, der sich abrunden will, oder ein reicher Bauer, der den armen Leuten das bißchen Acker nicht gönnt. Den zwanzig bis dreißig armen Familien wird die Grundlage ihrer Wirtschaft entzogen, und die heimatlosen Proletarier sind fertig. Solche Verwendung des Kirchengnts widerspricht schnurstracks seiner ursprünglichen Bestimmung. Denn nach altchristlicher Anschauung ist es das Mtrinrmrium xmiperum, und nach germanisch-nnttclalterlicher die materielle Grundlage für jene vielseitige Thätig¬ keit im Dienste des Staates, des Volkes und der Kultur, die beim Fehlen eines Beamtenstandes und aller sonstigen Staatseinrichtungen der Geistlichkeit oblag. Dafür haben die heutigen Behörden ganz das Verständnis verloren. In der kapitalistischen Auffassung unsrer Zeit befangen, fragen sie bei den Kirchengütern und bei sonstigen Vermögensstücken des Staates, der Provinzen und Gemeinden nicht darnach, bei welcher Verwendungsart der größte Nutzen fürs Gemeinwohl, fürs Volksvermögen herauskommt, sondern wie der höchste Ertrag für den augenblicklichen Nutznießer zu erzielen sei. „Rentabilität" ist die Losung. Wenn man eine größere Summe aus der Tasche der Kirchen- ackerpächtcr in die Kirchtasfe, oder aus der des Dvmünenpächters in die Staatskasse übergeführt hat, so bildet mau sich ein, das Nationalvermögen vergrößert zu haben! Zum Meistbietenden paßt der Mindcstfordernde. In der Koufliktszeit war ich mit einem Glasermeister befreundet, der seiner konservativen Gesinnung wegen bei der Regierung sehr gut angeschrieben stand. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich gelegentlich einmal, daß er niemals bei Regierungsbauten beschäftigt werde. Auf meine Frage, wie das komme, erwiderte er: „Das ist doch sehr einfach. Alle Arbeiten bei Regierungsbauten werden an den Mindestfordernden vergeben. Es findet sich um stets entweder ein Dummkopf, der bei der Sache zusetzt, oder ein Schurke, der entschlossen ist, seine Lieferanten oder den Bau¬ herrn oder Beide zu betrügen. Und da ich weder ein Dummkopf noch ein Hallunke bin, so sehen Sie wohl ein, daß ich nicht nutbieten kann." Seitdem ist es ja besser geworden; die Behörden pflegen Gebote, die sich unter den Voranschlag verirren, nicht mehr zu berücksichtigen. Aber wie viel Vermögen ist vor dein Eintritt der Besserung durch die „Submissionen" ans ehrlichen in unehrliche Hände übergeführt worden! Im besten Falle förderte diese Praxis immer noch die Vernichtung der Kleinen dnrch die Großen. Denn höchstens sehr reiche Unternehmer kamen mit heiler Haut davon, weil sie sich die Ma¬ terialien außerordentlich billig beschaffen und mit einem ganz geringen Ge¬ winn vorlieb nehmen konnten. Daß von den gegenwärtigen hohen Kvhlenpreisen nicht die Grubenbesitzer den Borten ziehen, sondern die wenigen Großhändler, die den Kvhlenhandel monopolisirt haben, die den Preis zu machen stark genug sind, und denen die Förderung aller Gruben ans Jahre hinaus vertragsmäßig gehört, ist allgemein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/602>, abgerufen am 01.07.2024.