Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die leitenden Grnndziige in der Politik des Nvvtilcx Irlaxüuu"

die, die an der Spitze der Staaten stehen, entweder die heilige Gewalt der
Kirche nicht achten oder ihren Zwecken dienstbar machen wollen; daher der
Zwiespalt." Natürlich kommt der Zwiespalt nie daher, daß die "heilige
Gewalt der Kirche" den Staat ihren Zwecken dienstbar machen will. Kaiser
Wilhelm l. muß sich wohl geirrt und ohne allen Grund dem Papste Pio Nouv
ans dessen Schreiben geantwortet haben: "Dem in Ihrem Schreiben ausge¬
sprochenen Verlangen, die Verfassung und die Gesetze Preußens nach den
Satzungen der römisch-katholischen Kirche abzuändern, wird teilt preußischer
Monarch entsprechen können, weil die Unabhängigkeit der Monarchie eine
Minderung erleiden würde, wenn die freie Bewegung ihrer Gesetzgebung einer
außerhalb derselben stehenden Macht untergeordnet werden sollte." Eine solche
Absicht, die weltliche Macht zu vergewaltigen, hat ja der päpstlichen Hierarchie
stets fern gelegen; sie hat vielmehr immer mit mütterlicher Fürsorge dem staat¬
lichen Regiment gegenüber gestanden, und darum kann es gar nicht zweifelhaft
sein, welcher von beiden Mächten, der Kirche oder dein Staat, der christliche
Bürger im Widerstreite zu gehorchen hat. Da steht ja so schön der erwähnte
Ausspruch des Petrus zur Verfügung; weil man nicht zween Herren dienen
kann, so "ist es Sünde, die Gesetze Gottes zu übertreten, um irgend einer
irdischen Obrigkeit zu gehorchen, oder die Rechte der Kirche zu opfern, um
nicht zu scheine" ein weltliches Gesetz zu mißachten. Man muß Gott mehr
gehorchen als den Menschen." Und nun wird mit jesuitischer Durchtriebenheit
das Verweigern des Gehorsams gegenüber dem staatlichen Gesetz damit gerecht¬
fertigt, daß diefes selbst seiner Souveränität entkleidet und seine Geltung von
der Beurteilung eiuer nichtstaatlichen Macht abhängig gemacht wird, eine
Prozedur, die kein gesundes Staatswesen in sich dulden kann, die aber von
der vaterlandslosen Klerisei und in ihrem Namen von dem Papst als etwas
ganz Selbstverständliches hingestellt wird. "Was wir da berlihreii, heißt es
in der Euehkliia, das ist euch bekannt, und öfters haben wir davon gesprochen.
Ein Gesetz ist doch offenbar nichts andres als die Anordnung, die die recht¬
mäßige Gewalt den Grundsätzen der Vernunft entsprechend zum allgemeinen
Besten erlassen hat." Diese Erklärung, die in ihrer dehnbaren Unbestimmtheit
den juristischen Verstand auf deu Kopf stellt, dem ungeschulten oder vielmehr
gut geschulten katholischen Begriffsvermögen des gemeinen Mannes ganz an¬
nehmbar erscheint, giebt nun Seiner Heiligkeit volle Freiheit über den Begriff
der rechtmäßigen Gewalt, über das, was der Vernunft entspricht, und über das
allgemeine Beste bestens zu flunkern. Rechtmäßig nämlich, so belehrt uns der
Lehrmeister der Welt, ist die Gewalt, die von Gott stammt; es versteht sich
nun von selbst, daß darnach der Papst als Stellvertreter Christi und Gottes
über aller audern Gewalt steht, die eigentlich erst dnrch ihn zur rechtmäßigen,
von Gott stammenden wird. Der Vernunft entsprechend aber ist nichts, "wo
gegen die Wahrheit und das göttliche Gesetz verstoßen wird." Was göttliches


Die leitenden Grnndziige in der Politik des Nvvtilcx Irlaxüuu»

die, die an der Spitze der Staaten stehen, entweder die heilige Gewalt der
Kirche nicht achten oder ihren Zwecken dienstbar machen wollen; daher der
Zwiespalt." Natürlich kommt der Zwiespalt nie daher, daß die „heilige
Gewalt der Kirche" den Staat ihren Zwecken dienstbar machen will. Kaiser
Wilhelm l. muß sich wohl geirrt und ohne allen Grund dem Papste Pio Nouv
ans dessen Schreiben geantwortet haben: „Dem in Ihrem Schreiben ausge¬
sprochenen Verlangen, die Verfassung und die Gesetze Preußens nach den
Satzungen der römisch-katholischen Kirche abzuändern, wird teilt preußischer
Monarch entsprechen können, weil die Unabhängigkeit der Monarchie eine
Minderung erleiden würde, wenn die freie Bewegung ihrer Gesetzgebung einer
außerhalb derselben stehenden Macht untergeordnet werden sollte." Eine solche
Absicht, die weltliche Macht zu vergewaltigen, hat ja der päpstlichen Hierarchie
stets fern gelegen; sie hat vielmehr immer mit mütterlicher Fürsorge dem staat¬
lichen Regiment gegenüber gestanden, und darum kann es gar nicht zweifelhaft
sein, welcher von beiden Mächten, der Kirche oder dein Staat, der christliche
Bürger im Widerstreite zu gehorchen hat. Da steht ja so schön der erwähnte
Ausspruch des Petrus zur Verfügung; weil man nicht zween Herren dienen
kann, so „ist es Sünde, die Gesetze Gottes zu übertreten, um irgend einer
irdischen Obrigkeit zu gehorchen, oder die Rechte der Kirche zu opfern, um
nicht zu scheine» ein weltliches Gesetz zu mißachten. Man muß Gott mehr
gehorchen als den Menschen." Und nun wird mit jesuitischer Durchtriebenheit
das Verweigern des Gehorsams gegenüber dem staatlichen Gesetz damit gerecht¬
fertigt, daß diefes selbst seiner Souveränität entkleidet und seine Geltung von
der Beurteilung eiuer nichtstaatlichen Macht abhängig gemacht wird, eine
Prozedur, die kein gesundes Staatswesen in sich dulden kann, die aber von
der vaterlandslosen Klerisei und in ihrem Namen von dem Papst als etwas
ganz Selbstverständliches hingestellt wird. „Was wir da berlihreii, heißt es
in der Euehkliia, das ist euch bekannt, und öfters haben wir davon gesprochen.
Ein Gesetz ist doch offenbar nichts andres als die Anordnung, die die recht¬
mäßige Gewalt den Grundsätzen der Vernunft entsprechend zum allgemeinen
Besten erlassen hat." Diese Erklärung, die in ihrer dehnbaren Unbestimmtheit
den juristischen Verstand auf deu Kopf stellt, dem ungeschulten oder vielmehr
gut geschulten katholischen Begriffsvermögen des gemeinen Mannes ganz an¬
nehmbar erscheint, giebt nun Seiner Heiligkeit volle Freiheit über den Begriff
der rechtmäßigen Gewalt, über das, was der Vernunft entspricht, und über das
allgemeine Beste bestens zu flunkern. Rechtmäßig nämlich, so belehrt uns der
Lehrmeister der Welt, ist die Gewalt, die von Gott stammt; es versteht sich
nun von selbst, daß darnach der Papst als Stellvertreter Christi und Gottes
über aller audern Gewalt steht, die eigentlich erst dnrch ihn zur rechtmäßigen,
von Gott stammenden wird. Der Vernunft entsprechend aber ist nichts, „wo
gegen die Wahrheit und das göttliche Gesetz verstoßen wird." Was göttliches


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0060" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207355"/>
          <fw type="header" place="top"> Die leitenden Grnndziige in der Politik des Nvvtilcx Irlaxüuu»</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_161" prev="#ID_160" next="#ID_162"> die, die an der Spitze der Staaten stehen, entweder die heilige Gewalt der<lb/>
Kirche nicht achten oder ihren Zwecken dienstbar machen wollen; daher der<lb/>
Zwiespalt." Natürlich kommt der Zwiespalt nie daher, daß die &#x201E;heilige<lb/>
Gewalt der Kirche" den Staat ihren Zwecken dienstbar machen will. Kaiser<lb/>
Wilhelm l. muß sich wohl geirrt und ohne allen Grund dem Papste Pio Nouv<lb/>
ans dessen Schreiben geantwortet haben: &#x201E;Dem in Ihrem Schreiben ausge¬<lb/>
sprochenen Verlangen, die Verfassung und die Gesetze Preußens nach den<lb/>
Satzungen der römisch-katholischen Kirche abzuändern, wird teilt preußischer<lb/>
Monarch entsprechen können, weil die Unabhängigkeit der Monarchie eine<lb/>
Minderung erleiden würde, wenn die freie Bewegung ihrer Gesetzgebung einer<lb/>
außerhalb derselben stehenden Macht untergeordnet werden sollte." Eine solche<lb/>
Absicht, die weltliche Macht zu vergewaltigen, hat ja der päpstlichen Hierarchie<lb/>
stets fern gelegen; sie hat vielmehr immer mit mütterlicher Fürsorge dem staat¬<lb/>
lichen Regiment gegenüber gestanden, und darum kann es gar nicht zweifelhaft<lb/>
sein, welcher von beiden Mächten, der Kirche oder dein Staat, der christliche<lb/>
Bürger im Widerstreite zu gehorchen hat. Da steht ja so schön der erwähnte<lb/>
Ausspruch des Petrus zur Verfügung; weil man nicht zween Herren dienen<lb/>
kann, so &#x201E;ist es Sünde, die Gesetze Gottes zu übertreten, um irgend einer<lb/>
irdischen Obrigkeit zu gehorchen, oder die Rechte der Kirche zu opfern, um<lb/>
nicht zu scheine» ein weltliches Gesetz zu mißachten. Man muß Gott mehr<lb/>
gehorchen als den Menschen." Und nun wird mit jesuitischer Durchtriebenheit<lb/>
das Verweigern des Gehorsams gegenüber dem staatlichen Gesetz damit gerecht¬<lb/>
fertigt, daß diefes selbst seiner Souveränität entkleidet und seine Geltung von<lb/>
der Beurteilung eiuer nichtstaatlichen Macht abhängig gemacht wird, eine<lb/>
Prozedur, die kein gesundes Staatswesen in sich dulden kann, die aber von<lb/>
der vaterlandslosen Klerisei und in ihrem Namen von dem Papst als etwas<lb/>
ganz Selbstverständliches hingestellt wird. &#x201E;Was wir da berlihreii, heißt es<lb/>
in der Euehkliia, das ist euch bekannt, und öfters haben wir davon gesprochen.<lb/>
Ein Gesetz ist doch offenbar nichts andres als die Anordnung, die die recht¬<lb/>
mäßige Gewalt den Grundsätzen der Vernunft entsprechend zum allgemeinen<lb/>
Besten erlassen hat." Diese Erklärung, die in ihrer dehnbaren Unbestimmtheit<lb/>
den juristischen Verstand auf deu Kopf stellt, dem ungeschulten oder vielmehr<lb/>
gut geschulten katholischen Begriffsvermögen des gemeinen Mannes ganz an¬<lb/>
nehmbar erscheint, giebt nun Seiner Heiligkeit volle Freiheit über den Begriff<lb/>
der rechtmäßigen Gewalt, über das, was der Vernunft entspricht, und über das<lb/>
allgemeine Beste bestens zu flunkern. Rechtmäßig nämlich, so belehrt uns der<lb/>
Lehrmeister der Welt, ist die Gewalt, die von Gott stammt; es versteht sich<lb/>
nun von selbst, daß darnach der Papst als Stellvertreter Christi und Gottes<lb/>
über aller audern Gewalt steht, die eigentlich erst dnrch ihn zur rechtmäßigen,<lb/>
von Gott stammenden wird. Der Vernunft entsprechend aber ist nichts, &#x201E;wo<lb/>
gegen die Wahrheit und das göttliche Gesetz verstoßen wird." Was göttliches</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0060] Die leitenden Grnndziige in der Politik des Nvvtilcx Irlaxüuu» die, die an der Spitze der Staaten stehen, entweder die heilige Gewalt der Kirche nicht achten oder ihren Zwecken dienstbar machen wollen; daher der Zwiespalt." Natürlich kommt der Zwiespalt nie daher, daß die „heilige Gewalt der Kirche" den Staat ihren Zwecken dienstbar machen will. Kaiser Wilhelm l. muß sich wohl geirrt und ohne allen Grund dem Papste Pio Nouv ans dessen Schreiben geantwortet haben: „Dem in Ihrem Schreiben ausge¬ sprochenen Verlangen, die Verfassung und die Gesetze Preußens nach den Satzungen der römisch-katholischen Kirche abzuändern, wird teilt preußischer Monarch entsprechen können, weil die Unabhängigkeit der Monarchie eine Minderung erleiden würde, wenn die freie Bewegung ihrer Gesetzgebung einer außerhalb derselben stehenden Macht untergeordnet werden sollte." Eine solche Absicht, die weltliche Macht zu vergewaltigen, hat ja der päpstlichen Hierarchie stets fern gelegen; sie hat vielmehr immer mit mütterlicher Fürsorge dem staat¬ lichen Regiment gegenüber gestanden, und darum kann es gar nicht zweifelhaft sein, welcher von beiden Mächten, der Kirche oder dein Staat, der christliche Bürger im Widerstreite zu gehorchen hat. Da steht ja so schön der erwähnte Ausspruch des Petrus zur Verfügung; weil man nicht zween Herren dienen kann, so „ist es Sünde, die Gesetze Gottes zu übertreten, um irgend einer irdischen Obrigkeit zu gehorchen, oder die Rechte der Kirche zu opfern, um nicht zu scheine» ein weltliches Gesetz zu mißachten. Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen." Und nun wird mit jesuitischer Durchtriebenheit das Verweigern des Gehorsams gegenüber dem staatlichen Gesetz damit gerecht¬ fertigt, daß diefes selbst seiner Souveränität entkleidet und seine Geltung von der Beurteilung eiuer nichtstaatlichen Macht abhängig gemacht wird, eine Prozedur, die kein gesundes Staatswesen in sich dulden kann, die aber von der vaterlandslosen Klerisei und in ihrem Namen von dem Papst als etwas ganz Selbstverständliches hingestellt wird. „Was wir da berlihreii, heißt es in der Euehkliia, das ist euch bekannt, und öfters haben wir davon gesprochen. Ein Gesetz ist doch offenbar nichts andres als die Anordnung, die die recht¬ mäßige Gewalt den Grundsätzen der Vernunft entsprechend zum allgemeinen Besten erlassen hat." Diese Erklärung, die in ihrer dehnbaren Unbestimmtheit den juristischen Verstand auf deu Kopf stellt, dem ungeschulten oder vielmehr gut geschulten katholischen Begriffsvermögen des gemeinen Mannes ganz an¬ nehmbar erscheint, giebt nun Seiner Heiligkeit volle Freiheit über den Begriff der rechtmäßigen Gewalt, über das, was der Vernunft entspricht, und über das allgemeine Beste bestens zu flunkern. Rechtmäßig nämlich, so belehrt uns der Lehrmeister der Welt, ist die Gewalt, die von Gott stammt; es versteht sich nun von selbst, daß darnach der Papst als Stellvertreter Christi und Gottes über aller audern Gewalt steht, die eigentlich erst dnrch ihn zur rechtmäßigen, von Gott stammenden wird. Der Vernunft entsprechend aber ist nichts, „wo gegen die Wahrheit und das göttliche Gesetz verstoßen wird." Was göttliches

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/60
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/60>, abgerufen am 03.07.2024.