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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die leitenden Grundzüge in der Politik des I'nntilex ?et^ximn°i

nicht gefällt, sein Anathema gerufen. Die WeihuachtSeneyklika von 1889 aber
hat für uns wohl ein umso größeres Interesse, weil, wie gesagt, Lev XIII.
am 2. Februar vor seinen Prälaten ausdrücklich betont hat, daß er in ihr die
"Grundzüge des bürgerlichen Lebens" aufgestellt habe. Und da der König
des neuen Reichstags, wie päpstliche Blätter den Abgeordneten Windthorst
nennen, auch jüngst wieder bei der Beratung des Etats der Berg-, Hütten-
nnd Salinenverwaltnng im preußischen Abgeordnetenhaus^ die Thätigkeit der
.Kirche und der Schule, natürlich der katholischen, als einziges Heilmittel für
alle Schäden unsrer Zeit empfohlen hat, so wollen wir uns doch einmal die
letzte Enctstlika des Papstes in Beziehung auf die Grundzüge ansehen, von
denen seine Politik geleitet wird. Denn diese Grundzüge spielen, wie man
sehen wird, bei Leo Xlil., wie bei jedem Papst, anch für die Auffassung und
die Vorschriften, denen das bürgerliche Leben Vonseiten der Kirche unterworfen
wird, die Hauptrolle. Die Überschrift der EneyMa selbst lautet: 1)<z xrii-eelouis
"iviurn <zllri8tianornm os'lieiiX über die hauptsächlichsten bürgerlichen Pflichten
des Christen.

In den Vordergrund seiner ausführlichen Betrachtung stellt der Friedens¬
papst, der von unserm neuen Reichskanzler "eine vollständige Aussöhnung mit
dem Zentrum" erwartet, den Satz, daß "jeder, der den christlichen Glauben,
wie es seine Pflicht ist, angenommen hat, hierdurch ohne weiteres auch Kind
und Unterthan der Kirche geworden ist und somit Mitglied der herrlichsten
und heiligsten Gesellschaft, die es giebt, die als Stellvertreter des unsichtbaren
Hauptes Jesu Christi der römische Papst leiten und regieren soll." Was einst
Pio Nouv gegenüber Kaiser Wilhelm als eine Folge der Taufe beanspruchte,
die Zugehörigkeit zum Papst, das wird also hier als eine Folge pflichtmäßiger
Annahme des christlichen Glaubens, natürlich des katholischen, hingestellt.
Sehen wir nnn davon ab, daß bei der von der Kirche befohlenen Kindertaufe
von einem "Annehmen des christlichen Glaubens, wie es Pflicht ist," ver¬
ständigerweise nicht die Rede sein kann; aber die päpstlichen Worte erkennen
keine andre Möglichkeit, Christ zu heilt, an, als in der Kirche und stellen i"
aller Schroffheit diese als eine solche greifbare Gesellschaft hin, die über alle
andern menschlichen Gcsellschaftsgebilde weit hinausragt, auch über alle staat¬
liche". Freilich ist diese Anschauung nichts neues, sondern die altbekannte
römische, die der Jesuit Bellarmin so ausdrückte, daß er sagte, die (katholische)
Kirche sei "ein Staat (so real) wie der Staat Venedig." Es wird damit nur
der Anspruch erhoben, daß die römische Monarchie über alle rudern Monarchie"
sei. Um ist das nicht; aber wir Evangelischen, sowie alle, die an der Staats¬
oberhoheit halten, wollen doch darauf achten, daß dem katholischen Volke diese
Anschauung immer wieder von neuem eingeimpft wird. Damit wird ihm aber
das Gift eingeimpft, das das Blut in den Adern unsers Volkskörpers mit dem
bösen fremden Stoffe vermischt und verdirbt. Nach dieser Anschauung ist ^'


Die leitenden Grundzüge in der Politik des I'nntilex ?et^ximn°i

nicht gefällt, sein Anathema gerufen. Die WeihuachtSeneyklika von 1889 aber
hat für uns wohl ein umso größeres Interesse, weil, wie gesagt, Lev XIII.
am 2. Februar vor seinen Prälaten ausdrücklich betont hat, daß er in ihr die
„Grundzüge des bürgerlichen Lebens" aufgestellt habe. Und da der König
des neuen Reichstags, wie päpstliche Blätter den Abgeordneten Windthorst
nennen, auch jüngst wieder bei der Beratung des Etats der Berg-, Hütten-
nnd Salinenverwaltnng im preußischen Abgeordnetenhaus^ die Thätigkeit der
.Kirche und der Schule, natürlich der katholischen, als einziges Heilmittel für
alle Schäden unsrer Zeit empfohlen hat, so wollen wir uns doch einmal die
letzte Enctstlika des Papstes in Beziehung auf die Grundzüge ansehen, von
denen seine Politik geleitet wird. Denn diese Grundzüge spielen, wie man
sehen wird, bei Leo Xlil., wie bei jedem Papst, anch für die Auffassung und
die Vorschriften, denen das bürgerliche Leben Vonseiten der Kirche unterworfen
wird, die Hauptrolle. Die Überschrift der EneyMa selbst lautet: 1)<z xrii-eelouis
«iviurn <zllri8tianornm os'lieiiX über die hauptsächlichsten bürgerlichen Pflichten
des Christen.

In den Vordergrund seiner ausführlichen Betrachtung stellt der Friedens¬
papst, der von unserm neuen Reichskanzler „eine vollständige Aussöhnung mit
dem Zentrum" erwartet, den Satz, daß „jeder, der den christlichen Glauben,
wie es seine Pflicht ist, angenommen hat, hierdurch ohne weiteres auch Kind
und Unterthan der Kirche geworden ist und somit Mitglied der herrlichsten
und heiligsten Gesellschaft, die es giebt, die als Stellvertreter des unsichtbaren
Hauptes Jesu Christi der römische Papst leiten und regieren soll." Was einst
Pio Nouv gegenüber Kaiser Wilhelm als eine Folge der Taufe beanspruchte,
die Zugehörigkeit zum Papst, das wird also hier als eine Folge pflichtmäßiger
Annahme des christlichen Glaubens, natürlich des katholischen, hingestellt.
Sehen wir nnn davon ab, daß bei der von der Kirche befohlenen Kindertaufe
von einem „Annehmen des christlichen Glaubens, wie es Pflicht ist," ver¬
ständigerweise nicht die Rede sein kann; aber die päpstlichen Worte erkennen
keine andre Möglichkeit, Christ zu heilt, an, als in der Kirche und stellen i»
aller Schroffheit diese als eine solche greifbare Gesellschaft hin, die über alle
andern menschlichen Gcsellschaftsgebilde weit hinausragt, auch über alle staat¬
liche». Freilich ist diese Anschauung nichts neues, sondern die altbekannte
römische, die der Jesuit Bellarmin so ausdrückte, daß er sagte, die (katholische)
Kirche sei „ein Staat (so real) wie der Staat Venedig." Es wird damit nur
der Anspruch erhoben, daß die römische Monarchie über alle rudern Monarchie»
sei. Um ist das nicht; aber wir Evangelischen, sowie alle, die an der Staats¬
oberhoheit halten, wollen doch darauf achten, daß dem katholischen Volke diese
Anschauung immer wieder von neuem eingeimpft wird. Damit wird ihm aber
das Gift eingeimpft, das das Blut in den Adern unsers Volkskörpers mit dem
bösen fremden Stoffe vermischt und verdirbt. Nach dieser Anschauung ist ^'


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[0058] Die leitenden Grundzüge in der Politik des I'nntilex ?et^ximn°i nicht gefällt, sein Anathema gerufen. Die WeihuachtSeneyklika von 1889 aber hat für uns wohl ein umso größeres Interesse, weil, wie gesagt, Lev XIII. am 2. Februar vor seinen Prälaten ausdrücklich betont hat, daß er in ihr die „Grundzüge des bürgerlichen Lebens" aufgestellt habe. Und da der König des neuen Reichstags, wie päpstliche Blätter den Abgeordneten Windthorst nennen, auch jüngst wieder bei der Beratung des Etats der Berg-, Hütten- nnd Salinenverwaltnng im preußischen Abgeordnetenhaus^ die Thätigkeit der .Kirche und der Schule, natürlich der katholischen, als einziges Heilmittel für alle Schäden unsrer Zeit empfohlen hat, so wollen wir uns doch einmal die letzte Enctstlika des Papstes in Beziehung auf die Grundzüge ansehen, von denen seine Politik geleitet wird. Denn diese Grundzüge spielen, wie man sehen wird, bei Leo Xlil., wie bei jedem Papst, anch für die Auffassung und die Vorschriften, denen das bürgerliche Leben Vonseiten der Kirche unterworfen wird, die Hauptrolle. Die Überschrift der EneyMa selbst lautet: 1)<z xrii-eelouis «iviurn <zllri8tianornm os'lieiiX über die hauptsächlichsten bürgerlichen Pflichten des Christen. In den Vordergrund seiner ausführlichen Betrachtung stellt der Friedens¬ papst, der von unserm neuen Reichskanzler „eine vollständige Aussöhnung mit dem Zentrum" erwartet, den Satz, daß „jeder, der den christlichen Glauben, wie es seine Pflicht ist, angenommen hat, hierdurch ohne weiteres auch Kind und Unterthan der Kirche geworden ist und somit Mitglied der herrlichsten und heiligsten Gesellschaft, die es giebt, die als Stellvertreter des unsichtbaren Hauptes Jesu Christi der römische Papst leiten und regieren soll." Was einst Pio Nouv gegenüber Kaiser Wilhelm als eine Folge der Taufe beanspruchte, die Zugehörigkeit zum Papst, das wird also hier als eine Folge pflichtmäßiger Annahme des christlichen Glaubens, natürlich des katholischen, hingestellt. Sehen wir nnn davon ab, daß bei der von der Kirche befohlenen Kindertaufe von einem „Annehmen des christlichen Glaubens, wie es Pflicht ist," ver¬ ständigerweise nicht die Rede sein kann; aber die päpstlichen Worte erkennen keine andre Möglichkeit, Christ zu heilt, an, als in der Kirche und stellen i» aller Schroffheit diese als eine solche greifbare Gesellschaft hin, die über alle andern menschlichen Gcsellschaftsgebilde weit hinausragt, auch über alle staat¬ liche». Freilich ist diese Anschauung nichts neues, sondern die altbekannte römische, die der Jesuit Bellarmin so ausdrückte, daß er sagte, die (katholische) Kirche sei „ein Staat (so real) wie der Staat Venedig." Es wird damit nur der Anspruch erhoben, daß die römische Monarchie über alle rudern Monarchie» sei. Um ist das nicht; aber wir Evangelischen, sowie alle, die an der Staats¬ oberhoheit halten, wollen doch darauf achten, daß dem katholischen Volke diese Anschauung immer wieder von neuem eingeimpft wird. Damit wird ihm aber das Gift eingeimpft, das das Blut in den Adern unsers Volkskörpers mit dem bösen fremden Stoffe vermischt und verdirbt. Nach dieser Anschauung ist ^'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/58>, abgerufen am 29.06.2024.