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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die dorische Sprache in Österreich

treten, und aus denen der Staat seine Beamte!,, das Heer seine Offiziere und
Unteroffiziere, Handel und Gewerbe ihre Vertreter holen müssen, schließlich
werden soll? Wie können sie bei dem heute so schweren und rücksichtslosen
Wettbewerb den Kampf ums Dasein aufnehmen und bestehen? Vor allem aber
entsteht die Frage: In welcher Weise ist gegen diese handgreifliche und sich
immer drohender gestaltende Gefahr Abhilfe zu schaffen?

Zur richtigen Erkenntnis und Beurteilung der Sachlage ist es nötig, den
wirklichen Stand der Dinge sins ir-i "wüio darzuthun.

Alle die Herren, die heute im österreichischen Parlament in deutscher (!)
Sprache so schmerzlich über "Germanisirung" klagen und so tapfer für ihre
"bedrückten" Nationalitäten eintreten, sind seiner Zeit aus Anstalten mit deutscher
Unterrichts- oder Bortragssprache hervorgegangen. Ist es nun nicht merk¬
würdig, daß sie trotzdem nicht germanisirt worden sind? Es scheint also, daß
die deutsche Unterrichtssprache denn doch keinen so verderblichen Einfluß ans
die nationalen Gefühle ausgeübt habe. Als nach dem Jahre 1848 das natio¬
nale Evangelium über Osterreich kam, ging das Bestrebe" der nationalen Wort¬
führer vor allem dahin, die Schule in die Hand zu bekommen. Wie kann ein
Unterricht erfolgreich sein, hieß es und heißt es auch heute noch, wenn er nicht
in der Muttersprache des Kindes erteilt wird? Also nationale Schulen, selbst¬
verständlich auch mit Unterricht im Deutschen! Natürlich kam es bei Besetzung
der Lehrstellen mehr auf korrekte nationale Gesinnung als auf didaktische Be¬
fähigung an. Doch dies nnr nebenbei. An die nationalen Volksschulen reihten
sich im Laufe der Zeit die nationalen Mittelschulen, und an diese, wenn auch
zur Zeit noch nicht in allen nichtdeutschen Krvnlündern, die nationalen .Hoch¬
schulen, in erstern mit einer beschränkten Zahl teils obligatorischer, teils fakul¬
tativer wöchentlicher Unterrichtsstunden im Deutschen, an letztern mit Lehr¬
stühlen für deutsche Sprache und Litteratur. "Die Jugend soll und muß ja
auch Deutsch lernen -- sagte man --, aber die nationale Sprache bleibt die
Hauptsache." Die Versassungspartei, d. h. die damals am Nuder befindliche
deutsche, machte hierbei noch einen Hauptgeniestreich. Im dritten Alinea des
bielberufenen Paragraphen 19 des StaatSgrundgesetzes von Dezember 1867
heißt es ausdrücklich: "In Ländern, in denen verschiedne Nationalitäten wohnen,
müssen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß jede
dieser Nationalitäten die Mittel findet, den Unterricht in der eignen Sprache
ohne Verpflichtung zur Erlernung einer andern Landessprache zu erhalten."
Welchen Erfolg dieser absonderliche Zusatz, durch den die Prager Kasinopartei
den Tschechen einen Riegel vorschieben wollte, wenn diese im Namen der
nationalen Gleichberechtigung die Einführung des tschechischen Unterrichts in
deutschen Schulen verlangen sollten, ins Praktische übertragen, haben mußte,
läßt sich denken. "Wollt ihr keinen tschechischen Unterricht an euern Schulen
^ riefen die Tschechen im ersten Zorn --, dann brauchen wir auch keinen


Die dorische Sprache in Österreich

treten, und aus denen der Staat seine Beamte!,, das Heer seine Offiziere und
Unteroffiziere, Handel und Gewerbe ihre Vertreter holen müssen, schließlich
werden soll? Wie können sie bei dem heute so schweren und rücksichtslosen
Wettbewerb den Kampf ums Dasein aufnehmen und bestehen? Vor allem aber
entsteht die Frage: In welcher Weise ist gegen diese handgreifliche und sich
immer drohender gestaltende Gefahr Abhilfe zu schaffen?

Zur richtigen Erkenntnis und Beurteilung der Sachlage ist es nötig, den
wirklichen Stand der Dinge sins ir-i »wüio darzuthun.

Alle die Herren, die heute im österreichischen Parlament in deutscher (!)
Sprache so schmerzlich über „Germanisirung" klagen und so tapfer für ihre
„bedrückten" Nationalitäten eintreten, sind seiner Zeit aus Anstalten mit deutscher
Unterrichts- oder Bortragssprache hervorgegangen. Ist es nun nicht merk¬
würdig, daß sie trotzdem nicht germanisirt worden sind? Es scheint also, daß
die deutsche Unterrichtssprache denn doch keinen so verderblichen Einfluß ans
die nationalen Gefühle ausgeübt habe. Als nach dem Jahre 1848 das natio¬
nale Evangelium über Osterreich kam, ging das Bestrebe» der nationalen Wort¬
führer vor allem dahin, die Schule in die Hand zu bekommen. Wie kann ein
Unterricht erfolgreich sein, hieß es und heißt es auch heute noch, wenn er nicht
in der Muttersprache des Kindes erteilt wird? Also nationale Schulen, selbst¬
verständlich auch mit Unterricht im Deutschen! Natürlich kam es bei Besetzung
der Lehrstellen mehr auf korrekte nationale Gesinnung als auf didaktische Be¬
fähigung an. Doch dies nnr nebenbei. An die nationalen Volksschulen reihten
sich im Laufe der Zeit die nationalen Mittelschulen, und an diese, wenn auch
zur Zeit noch nicht in allen nichtdeutschen Krvnlündern, die nationalen .Hoch¬
schulen, in erstern mit einer beschränkten Zahl teils obligatorischer, teils fakul¬
tativer wöchentlicher Unterrichtsstunden im Deutschen, an letztern mit Lehr¬
stühlen für deutsche Sprache und Litteratur. „Die Jugend soll und muß ja
auch Deutsch lernen — sagte man —, aber die nationale Sprache bleibt die
Hauptsache." Die Versassungspartei, d. h. die damals am Nuder befindliche
deutsche, machte hierbei noch einen Hauptgeniestreich. Im dritten Alinea des
bielberufenen Paragraphen 19 des StaatSgrundgesetzes von Dezember 1867
heißt es ausdrücklich: „In Ländern, in denen verschiedne Nationalitäten wohnen,
müssen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß jede
dieser Nationalitäten die Mittel findet, den Unterricht in der eignen Sprache
ohne Verpflichtung zur Erlernung einer andern Landessprache zu erhalten."
Welchen Erfolg dieser absonderliche Zusatz, durch den die Prager Kasinopartei
den Tschechen einen Riegel vorschieben wollte, wenn diese im Namen der
nationalen Gleichberechtigung die Einführung des tschechischen Unterrichts in
deutschen Schulen verlangen sollten, ins Praktische übertragen, haben mußte,
läßt sich denken. „Wollt ihr keinen tschechischen Unterricht an euern Schulen
^ riefen die Tschechen im ersten Zorn —, dann brauchen wir auch keinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/539>, abgerufen am 23.06.2024.