Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.vom Wiener Volkstheater Darstellung des Mephisto aufzustellen wagen? Gerade dieser war eine der Wenn uns etwas mit den schweren Gebrechen, an denen das neue Theater vom Wiener Volkstheater Darstellung des Mephisto aufzustellen wagen? Gerade dieser war eine der Wenn uns etwas mit den schweren Gebrechen, an denen das neue Theater <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207817"/> <fw type="header" place="top"> vom Wiener Volkstheater</fw><lb/> <p xml:id="ID_1449" prev="#ID_1448"> Darstellung des Mephisto aufzustellen wagen? Gerade dieser war eine der<lb/> merkwürdigsten Leistungen der Vurgtheaterzeit Mitterwurzers. Von den übrigen<lb/> nennen wir Nareiß, den heute wohl kein andrer deutscher Schauspieler zu so<lb/> erschütternder Wirkung bringt, Franz Moor, Jago, Caliban, Michel Peru<lb/> in „Donna Diana," Gianettino Doria, Shylock, Benedikt in „Viel Lärm um<lb/> Nichts," Mvliöre im „Urbild des Tartüffe," Marinelli. Später, während<lb/> der Jahre, wo er im hiesigen Stadttheater und im Riugtheater spielte, so wie<lb/> auf seinen jahrelangen Gastspielreisen, die ihn, wie es einmal Mode ist, bis<lb/> nach Amerika führten, hat er seinen Nollenkreis nach verschiednen Seiten hin<lb/> stark erweitert, und so kam er uns denn auch jetzt als eine neue Erscheinung<lb/> zurück. Ihm und dem Volkstheater ist es auch zu danken, daß das Wiener<lb/> Publikum mit Ibsens „Stützen der Gesellschaft," sowie mit Heibergs „König<lb/> Midas" bekannt wurde: dort spielte er den Konsul Bernick, hier den Wahrheits¬<lb/> fanatiker Johannes Ramseth. Außerdem trat er in ein paar unbedeutenden<lb/> Lustspielen und in einem schlechten Schauspiel auf. Einen alternden Major,<lb/> der auf die Freite geht, einen russischen Obersten, halb Diplomat, halb Kosak,<lb/> liebenswürdig, unwiderstehlich, schlau, verwegen und voll Haß gegen Napoleon,<lb/> womit er hie und da den leichten Lustspielton vulkanisch durchbricht, endlich<lb/> einen verlotterten Menschen, der vor Jahren Glück und Ehre verloren hat und<lb/> nun, krank und zerstört, einen Schurkenstreich vereitelt, indem er eine fremde<lb/> Schuld auf sich nimmt: diese Figuren führte der Gast in meisterhafter Dar¬<lb/> stellung vor, auch seine Gegner mußten gestehen, daß er nichts vom Virtuosen<lb/> an sich habe, ruhiger und maßvoller geworden sei. Angenehm fiel es auch<lb/> auf, daß ihm keine große Reklame vorausging, daß er sich für sein Gastspiel<lb/> Rollen gewühlt hatte, die fast durchaus ohne große Effekte sind, ja daß er es<lb/> selbst über sich gewann, an die zweite Stelle zu treten: in „König Midas,"<lb/> wo die Sandrock ihn, wie vorauszusehen war, stark in den Schatten stellte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1450"> Wenn uns etwas mit den schweren Gebrechen, an denen das neue Theater<lb/> krankt, versöhnen kaun, so ist es vor allem der Kontrakt, den es mit Mitter-<lb/> wurzer geschlossen hat: er wird im nächsten Jahr auf vier Monate an diese<lb/> Bühne gebunden sein und denn auch hoffentlich seine Kräfte wieder an jene<lb/> großen Aufgaben wenden, an denen er sich einst am Burgtheater jugeudmutig<lb/> und mit Glück versucht hat.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0522]
vom Wiener Volkstheater
Darstellung des Mephisto aufzustellen wagen? Gerade dieser war eine der
merkwürdigsten Leistungen der Vurgtheaterzeit Mitterwurzers. Von den übrigen
nennen wir Nareiß, den heute wohl kein andrer deutscher Schauspieler zu so
erschütternder Wirkung bringt, Franz Moor, Jago, Caliban, Michel Peru
in „Donna Diana," Gianettino Doria, Shylock, Benedikt in „Viel Lärm um
Nichts," Mvliöre im „Urbild des Tartüffe," Marinelli. Später, während
der Jahre, wo er im hiesigen Stadttheater und im Riugtheater spielte, so wie
auf seinen jahrelangen Gastspielreisen, die ihn, wie es einmal Mode ist, bis
nach Amerika führten, hat er seinen Nollenkreis nach verschiednen Seiten hin
stark erweitert, und so kam er uns denn auch jetzt als eine neue Erscheinung
zurück. Ihm und dem Volkstheater ist es auch zu danken, daß das Wiener
Publikum mit Ibsens „Stützen der Gesellschaft," sowie mit Heibergs „König
Midas" bekannt wurde: dort spielte er den Konsul Bernick, hier den Wahrheits¬
fanatiker Johannes Ramseth. Außerdem trat er in ein paar unbedeutenden
Lustspielen und in einem schlechten Schauspiel auf. Einen alternden Major,
der auf die Freite geht, einen russischen Obersten, halb Diplomat, halb Kosak,
liebenswürdig, unwiderstehlich, schlau, verwegen und voll Haß gegen Napoleon,
womit er hie und da den leichten Lustspielton vulkanisch durchbricht, endlich
einen verlotterten Menschen, der vor Jahren Glück und Ehre verloren hat und
nun, krank und zerstört, einen Schurkenstreich vereitelt, indem er eine fremde
Schuld auf sich nimmt: diese Figuren führte der Gast in meisterhafter Dar¬
stellung vor, auch seine Gegner mußten gestehen, daß er nichts vom Virtuosen
an sich habe, ruhiger und maßvoller geworden sei. Angenehm fiel es auch
auf, daß ihm keine große Reklame vorausging, daß er sich für sein Gastspiel
Rollen gewühlt hatte, die fast durchaus ohne große Effekte sind, ja daß er es
selbst über sich gewann, an die zweite Stelle zu treten: in „König Midas,"
wo die Sandrock ihn, wie vorauszusehen war, stark in den Schatten stellte.
Wenn uns etwas mit den schweren Gebrechen, an denen das neue Theater
krankt, versöhnen kaun, so ist es vor allem der Kontrakt, den es mit Mitter-
wurzer geschlossen hat: er wird im nächsten Jahr auf vier Monate an diese
Bühne gebunden sein und denn auch hoffentlich seine Kräfte wieder an jene
großen Aufgaben wenden, an denen er sich einst am Burgtheater jugeudmutig
und mit Glück versucht hat.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |