Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Schopenhauer und Richard Wagner

Auf einer höhern Stufe lernte die Musik auch, was in ihnen lag, und in der
Folge, das Gefühl allein, losgelöst, gleichsam nur noch als eine Geberde der
Seele auszudrücken; die Kraft aber, die als Muskel- und Lebenskraft sich
gleichfalls stets in der Körpergeberde äußert, bildet das Mittelglied dazu, das
Spiel der Kräfte in der Natur, wie es dein Auge und dem. Ohr sich zu er¬
kennen gab, in Tönen nachzubilden und diese Gebilde nun auch wie ein Ge¬
berdenspiel gleichsam des Weltgeistes, des Demiurgos, zu verstehen, womit das
Außer- und Übermenschliche mit in den Bereich des menschlich verständlichen
Ausdruckes gezogen ward. So erweckt Musik den Schein, daß die Dinge, denen
sie ihre Sprache leiht, die Naturkräfte und die von ihnen bewegten Gegen-
stände sich nicht nur empfinde", was sie nach Schopenhauer müssen (wiewohl
er es nur schüchtern andeutet), sondern sich auch so empfinden, wie wir uns
und vor allein wie wir sie empfinden, was denn unversehens mit dem, wie sie
sind, gleichgesetzt wird. Denn eine andre Sprache als die menschlicher Ge¬
fühle, wie sie auch diese zu potenziren vermöge, kann sie mit ihren immer doch
wieder menschlichen Mittel,?, zu denen das Genie natürlich auch gehört, deu
Dingen doch nicht leihen: die Musik ist ein durchgeführter Anthropomorphis¬
mus, eine tönende Vermenschlichung alles Seienden, des Lebenden wie des
Andern, uns ewig Fernen und' Fremden -- ein holder Wahn, erhebend
und beseligend; unschädlich, so lange er Musik bleibt, auch nützlich und
veredelnd, indem Musik, verstanden, auch den gewöhnlichen Sterblichen
befähigt, jn nötigt, den Geistesflug des Genies mitzusliegeu, wie es
Riemann nüchtern-richtig erkannt hat. Das geschieht, indem man die thema¬
tische Entwicklung und architektonische Gestaltung als Hörer mitarbeitend ver¬
folgt; natürlich kann es nicht geschehen, wenn das Werk selbst in jenen Be¬
ziehungen so verwickelt und undurchsichtig oder verschwommen ist, daß nur ein
Musiker, und gar dieser vielleicht nur zu Hause, lesend, folgen kann. Diesen
Sinn und Segen der Musik, der das Genie zum. Erlebnis des Hörers macht,
wahrzunehmen, war Schopenhauer, wie aus seinem Kapitel über die Musik
hervorgeht, zu sehr Dilettant. Wohl aber wurde er jenen kosmogonischen
Sinn der Musik gewahr und ihre Gleichsetzung des Makrokosmos der Natur
und dem Mikrokosmos des Menschen, die ihr beseligender "Wahn" ist. Wahn?
'M, wollt ihr, meine Herren Lonirtckrss musioi, denn ganz allein eine Selig¬
keit besitzen, an der nichts, sicher nichts Wahn ist? Muß der Musiker, wenn
Musik einen höhern Wert haben soll, als den eines flachsinnigen Vergnügens,
durchaus als solcher ein Erkennender sein, der in Tönen bis zu den "Müttern"
hinabsteigt, bis übers Sternenzelt hinausfliegt, immer der Welt Gesetze in der
eignen Brust "empfindend," also "intuitio" findend -- erteilt ihr den Preis
acht, wie es Jupiter-Goethe that, "seinem Schvßkinde, der Phantasie"? Ist
ehr Flug darum nur Trug, dein wir erlägen? Bereitet sie uns nicht wenigstens
um Bilde, was wir in der Wirklichkeit nicht haben: eine Welt, in der wir nicht


Schopenhauer und Richard Wagner

Auf einer höhern Stufe lernte die Musik auch, was in ihnen lag, und in der
Folge, das Gefühl allein, losgelöst, gleichsam nur noch als eine Geberde der
Seele auszudrücken; die Kraft aber, die als Muskel- und Lebenskraft sich
gleichfalls stets in der Körpergeberde äußert, bildet das Mittelglied dazu, das
Spiel der Kräfte in der Natur, wie es dein Auge und dem. Ohr sich zu er¬
kennen gab, in Tönen nachzubilden und diese Gebilde nun auch wie ein Ge¬
berdenspiel gleichsam des Weltgeistes, des Demiurgos, zu verstehen, womit das
Außer- und Übermenschliche mit in den Bereich des menschlich verständlichen
Ausdruckes gezogen ward. So erweckt Musik den Schein, daß die Dinge, denen
sie ihre Sprache leiht, die Naturkräfte und die von ihnen bewegten Gegen-
stände sich nicht nur empfinde», was sie nach Schopenhauer müssen (wiewohl
er es nur schüchtern andeutet), sondern sich auch so empfinden, wie wir uns
und vor allein wie wir sie empfinden, was denn unversehens mit dem, wie sie
sind, gleichgesetzt wird. Denn eine andre Sprache als die menschlicher Ge¬
fühle, wie sie auch diese zu potenziren vermöge, kann sie mit ihren immer doch
wieder menschlichen Mittel,?, zu denen das Genie natürlich auch gehört, deu
Dingen doch nicht leihen: die Musik ist ein durchgeführter Anthropomorphis¬
mus, eine tönende Vermenschlichung alles Seienden, des Lebenden wie des
Andern, uns ewig Fernen und' Fremden — ein holder Wahn, erhebend
und beseligend; unschädlich, so lange er Musik bleibt, auch nützlich und
veredelnd, indem Musik, verstanden, auch den gewöhnlichen Sterblichen
befähigt, jn nötigt, den Geistesflug des Genies mitzusliegeu, wie es
Riemann nüchtern-richtig erkannt hat. Das geschieht, indem man die thema¬
tische Entwicklung und architektonische Gestaltung als Hörer mitarbeitend ver¬
folgt; natürlich kann es nicht geschehen, wenn das Werk selbst in jenen Be¬
ziehungen so verwickelt und undurchsichtig oder verschwommen ist, daß nur ein
Musiker, und gar dieser vielleicht nur zu Hause, lesend, folgen kann. Diesen
Sinn und Segen der Musik, der das Genie zum. Erlebnis des Hörers macht,
wahrzunehmen, war Schopenhauer, wie aus seinem Kapitel über die Musik
hervorgeht, zu sehr Dilettant. Wohl aber wurde er jenen kosmogonischen
Sinn der Musik gewahr und ihre Gleichsetzung des Makrokosmos der Natur
und dem Mikrokosmos des Menschen, die ihr beseligender „Wahn" ist. Wahn?
'M, wollt ihr, meine Herren Lonirtckrss musioi, denn ganz allein eine Selig¬
keit besitzen, an der nichts, sicher nichts Wahn ist? Muß der Musiker, wenn
Musik einen höhern Wert haben soll, als den eines flachsinnigen Vergnügens,
durchaus als solcher ein Erkennender sein, der in Tönen bis zu den „Müttern"
hinabsteigt, bis übers Sternenzelt hinausfliegt, immer der Welt Gesetze in der
eignen Brust „empfindend," also „intuitio" findend — erteilt ihr den Preis
acht, wie es Jupiter-Goethe that, „seinem Schvßkinde, der Phantasie"? Ist
ehr Flug darum nur Trug, dein wir erlägen? Bereitet sie uns nicht wenigstens
um Bilde, was wir in der Wirklichkeit nicht haben: eine Welt, in der wir nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207806"/>
          <fw type="header" place="top"> Schopenhauer und Richard Wagner</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1428" prev="#ID_1427" next="#ID_1429"> Auf einer höhern Stufe lernte die Musik auch, was in ihnen lag, und in der<lb/>
Folge, das Gefühl allein, losgelöst, gleichsam nur noch als eine Geberde der<lb/>
Seele auszudrücken; die Kraft aber, die als Muskel- und Lebenskraft sich<lb/>
gleichfalls stets in der Körpergeberde äußert, bildet das Mittelglied dazu, das<lb/>
Spiel der Kräfte in der Natur, wie es dein Auge und dem. Ohr sich zu er¬<lb/>
kennen gab, in Tönen nachzubilden und diese Gebilde nun auch wie ein Ge¬<lb/>
berdenspiel gleichsam des Weltgeistes, des Demiurgos, zu verstehen, womit das<lb/>
Außer- und Übermenschliche mit in den Bereich des menschlich verständlichen<lb/>
Ausdruckes gezogen ward. So erweckt Musik den Schein, daß die Dinge, denen<lb/>
sie ihre Sprache leiht, die Naturkräfte und die von ihnen bewegten Gegen-<lb/>
stände sich nicht nur empfinde», was sie nach Schopenhauer müssen (wiewohl<lb/>
er es nur schüchtern andeutet), sondern sich auch so empfinden, wie wir uns<lb/>
und vor allein wie wir sie empfinden, was denn unversehens mit dem, wie sie<lb/>
sind, gleichgesetzt wird. Denn eine andre Sprache als die menschlicher Ge¬<lb/>
fühle, wie sie auch diese zu potenziren vermöge, kann sie mit ihren immer doch<lb/>
wieder menschlichen Mittel,?, zu denen das Genie natürlich auch gehört, deu<lb/>
Dingen doch nicht leihen: die Musik ist ein durchgeführter Anthropomorphis¬<lb/>
mus, eine tönende Vermenschlichung alles Seienden, des Lebenden wie des<lb/>
Andern, uns ewig Fernen und' Fremden &#x2014; ein holder Wahn, erhebend<lb/>
und beseligend; unschädlich, so lange er Musik bleibt, auch nützlich und<lb/>
veredelnd, indem Musik, verstanden, auch den gewöhnlichen Sterblichen<lb/>
befähigt, jn nötigt, den Geistesflug des Genies mitzusliegeu, wie es<lb/>
Riemann nüchtern-richtig erkannt hat. Das geschieht, indem man die thema¬<lb/>
tische Entwicklung und architektonische Gestaltung als Hörer mitarbeitend ver¬<lb/>
folgt; natürlich kann es nicht geschehen, wenn das Werk selbst in jenen Be¬<lb/>
ziehungen so verwickelt und undurchsichtig oder verschwommen ist, daß nur ein<lb/>
Musiker, und gar dieser vielleicht nur zu Hause, lesend, folgen kann. Diesen<lb/>
Sinn und Segen der Musik, der das Genie zum. Erlebnis des Hörers macht,<lb/>
wahrzunehmen, war Schopenhauer, wie aus seinem Kapitel über die Musik<lb/>
hervorgeht, zu sehr Dilettant. Wohl aber wurde er jenen kosmogonischen<lb/>
Sinn der Musik gewahr und ihre Gleichsetzung des Makrokosmos der Natur<lb/>
und dem Mikrokosmos des Menschen, die ihr beseligender &#x201E;Wahn" ist. Wahn?<lb/>
'M, wollt ihr, meine Herren Lonirtckrss musioi, denn ganz allein eine Selig¬<lb/>
keit besitzen, an der nichts, sicher nichts Wahn ist? Muß der Musiker, wenn<lb/>
Musik einen höhern Wert haben soll, als den eines flachsinnigen Vergnügens,<lb/>
durchaus als solcher ein Erkennender sein, der in Tönen bis zu den &#x201E;Müttern"<lb/>
hinabsteigt, bis übers Sternenzelt hinausfliegt, immer der Welt Gesetze in der<lb/>
eignen Brust &#x201E;empfindend," also &#x201E;intuitio" findend &#x2014; erteilt ihr den Preis<lb/>
acht, wie es Jupiter-Goethe that, &#x201E;seinem Schvßkinde, der Phantasie"? Ist<lb/>
ehr Flug darum nur Trug, dein wir erlägen? Bereitet sie uns nicht wenigstens<lb/>
um Bilde, was wir in der Wirklichkeit nicht haben: eine Welt, in der wir nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] Schopenhauer und Richard Wagner Auf einer höhern Stufe lernte die Musik auch, was in ihnen lag, und in der Folge, das Gefühl allein, losgelöst, gleichsam nur noch als eine Geberde der Seele auszudrücken; die Kraft aber, die als Muskel- und Lebenskraft sich gleichfalls stets in der Körpergeberde äußert, bildet das Mittelglied dazu, das Spiel der Kräfte in der Natur, wie es dein Auge und dem. Ohr sich zu er¬ kennen gab, in Tönen nachzubilden und diese Gebilde nun auch wie ein Ge¬ berdenspiel gleichsam des Weltgeistes, des Demiurgos, zu verstehen, womit das Außer- und Übermenschliche mit in den Bereich des menschlich verständlichen Ausdruckes gezogen ward. So erweckt Musik den Schein, daß die Dinge, denen sie ihre Sprache leiht, die Naturkräfte und die von ihnen bewegten Gegen- stände sich nicht nur empfinde», was sie nach Schopenhauer müssen (wiewohl er es nur schüchtern andeutet), sondern sich auch so empfinden, wie wir uns und vor allein wie wir sie empfinden, was denn unversehens mit dem, wie sie sind, gleichgesetzt wird. Denn eine andre Sprache als die menschlicher Ge¬ fühle, wie sie auch diese zu potenziren vermöge, kann sie mit ihren immer doch wieder menschlichen Mittel,?, zu denen das Genie natürlich auch gehört, deu Dingen doch nicht leihen: die Musik ist ein durchgeführter Anthropomorphis¬ mus, eine tönende Vermenschlichung alles Seienden, des Lebenden wie des Andern, uns ewig Fernen und' Fremden — ein holder Wahn, erhebend und beseligend; unschädlich, so lange er Musik bleibt, auch nützlich und veredelnd, indem Musik, verstanden, auch den gewöhnlichen Sterblichen befähigt, jn nötigt, den Geistesflug des Genies mitzusliegeu, wie es Riemann nüchtern-richtig erkannt hat. Das geschieht, indem man die thema¬ tische Entwicklung und architektonische Gestaltung als Hörer mitarbeitend ver¬ folgt; natürlich kann es nicht geschehen, wenn das Werk selbst in jenen Be¬ ziehungen so verwickelt und undurchsichtig oder verschwommen ist, daß nur ein Musiker, und gar dieser vielleicht nur zu Hause, lesend, folgen kann. Diesen Sinn und Segen der Musik, der das Genie zum. Erlebnis des Hörers macht, wahrzunehmen, war Schopenhauer, wie aus seinem Kapitel über die Musik hervorgeht, zu sehr Dilettant. Wohl aber wurde er jenen kosmogonischen Sinn der Musik gewahr und ihre Gleichsetzung des Makrokosmos der Natur und dem Mikrokosmos des Menschen, die ihr beseligender „Wahn" ist. Wahn? 'M, wollt ihr, meine Herren Lonirtckrss musioi, denn ganz allein eine Selig¬ keit besitzen, an der nichts, sicher nichts Wahn ist? Muß der Musiker, wenn Musik einen höhern Wert haben soll, als den eines flachsinnigen Vergnügens, durchaus als solcher ein Erkennender sein, der in Tönen bis zu den „Müttern" hinabsteigt, bis übers Sternenzelt hinausfliegt, immer der Welt Gesetze in der eignen Brust „empfindend," also „intuitio" findend — erteilt ihr den Preis acht, wie es Jupiter-Goethe that, „seinem Schvßkinde, der Phantasie"? Ist ehr Flug darum nur Trug, dein wir erlägen? Bereitet sie uns nicht wenigstens um Bilde, was wir in der Wirklichkeit nicht haben: eine Welt, in der wir nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/511>, abgerufen am 01.07.2024.