Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Schopenhauer und Richard Wagner

indem er eine Bayreuther Religion und durchaus nichts Geringeres durch die
Kunst zu stiften gedachte: eine Religion, deren Überführung in die Wirklichkeit
er uicht weniger ernstlich wünschte, also für möglich und heilsam hielt, wie
der Buddhist, der es in der That mit seiner Lehre fertig gebracht hatte, das
Leben zu gestalten. Natürlich bedürfte Wagner dazu vor allem einer Musik mit
metaphysischen Kräften -- das hatte der edle Schopenhauer in seiner naiven
Schwärmerei für den schnöden Melodiker Rossini freilich übersehen, daß nur
die jener melodischen absolut entgegengesetzte Wagnerische Musik solche Kräfte
besitzen, nur sie des Weltenrätsels Lösung verkünden, Himmel und Erde zu
umsahen, zu erklären, zu erobern Aussicht haben konnte, daß sie eine gänzlich
anders als die Musik bisher wirkende Kraft fein müsse, um die Zuhörer in
den nötigen metaphysischen Zustand zu versetzen. Ob ihre Wirkungen dabei
musikalisch blieben, ob diese Musik an sich noch Kunst heißen konnte, davon
gleich mehr. Mit der 8vrsniw8 aber war es gründlich vorbei, und da immerhin
in einem Kunstwerke, es sei denn wie Shakespeares Othello eins für bekenntnis¬
feste Ochsensleischfresser, sich nicht alles etwa um ein verlorenes Taschentuch
in puren Kummer und Jammer auflösen konnte, so trat an dessen Stelle, zwar
auch zuletzt um etwas wie einen gestohlenen Trauring eine selig verhimmelnde
Vernichtungsapotheose, die mit des Fakirs Verzückung bis in den Tod eine
verzweifelte Ähnlichkeit hat. Und konsequent erschienen auf der Bühne außer
dieser Apotheose auch die Vorstufen dazu, die abnormen Körperzustände, die
Hypnose, das vorschriftsmäßig starr im Mondschein glänzende Auge des im
Schlaf wachenden, sehenden, der Somnambulismus, der Lach- und der Schrei-
krampf -- Dinge, an deren metaphysischen Wert ja auch Wagner in letzter
Konsequenz fest geglaubt hatte (er glaubte sogar an den Psychographen und
bediente sich desselben), und neben dem Weltenwch als höherer Potenz des
Weltschmerzes erschien die Satansbosheit und kleinliche Gemeinheit Akte lang,
Abende lang, zwar theoretisch als verwerflich, verächtlich dargestellt, aber doch
lange, lange zum Genusse dargeboten, mit sichtlicher Liebe vorgeführt und auch
über Götter und Göttlichstes zuletzt siegend -- dies wie bei Ibsen --, und im
unsichtbaren Orchester rauschte mystisch dazu die Nerveuberauschuug, die Hhpuose
für den in ihr "hellsehend" gemachten Zuschauer!

Schopenhauer freilich hatte guten Grund gehabt, die Musik an die Spitze
aller Künste und (vermutlich eben deshalb) die Künste über Vernunft und
Wissenschaft zu stellen, in denen Goethe und der Satan selbst "des Menschen
allerhöchste Kraft" erkennt. Wodurch nähert uns denn die Musik, außer dem,
daß sie alles Menschliche an Gefühlen zarter, eindringlicher, sprechender aus¬
drückt als die Sprache, auch das Außer- und Übermenschliche? Sie hat zuerst
Geberden (des Marsches, dann des Tanzes, des Reigens u. s. f.) nachgebildet
und dabei gelernt, unsre Gefühle auszudrücken, denn in der Geberde liegt immer
ein Gefühl; Mienen und Blicke gehören als zartere, verfeinerte Geberden dazu.


Schopenhauer und Richard Wagner

indem er eine Bayreuther Religion und durchaus nichts Geringeres durch die
Kunst zu stiften gedachte: eine Religion, deren Überführung in die Wirklichkeit
er uicht weniger ernstlich wünschte, also für möglich und heilsam hielt, wie
der Buddhist, der es in der That mit seiner Lehre fertig gebracht hatte, das
Leben zu gestalten. Natürlich bedürfte Wagner dazu vor allem einer Musik mit
metaphysischen Kräften — das hatte der edle Schopenhauer in seiner naiven
Schwärmerei für den schnöden Melodiker Rossini freilich übersehen, daß nur
die jener melodischen absolut entgegengesetzte Wagnerische Musik solche Kräfte
besitzen, nur sie des Weltenrätsels Lösung verkünden, Himmel und Erde zu
umsahen, zu erklären, zu erobern Aussicht haben konnte, daß sie eine gänzlich
anders als die Musik bisher wirkende Kraft fein müsse, um die Zuhörer in
den nötigen metaphysischen Zustand zu versetzen. Ob ihre Wirkungen dabei
musikalisch blieben, ob diese Musik an sich noch Kunst heißen konnte, davon
gleich mehr. Mit der 8vrsniw8 aber war es gründlich vorbei, und da immerhin
in einem Kunstwerke, es sei denn wie Shakespeares Othello eins für bekenntnis¬
feste Ochsensleischfresser, sich nicht alles etwa um ein verlorenes Taschentuch
in puren Kummer und Jammer auflösen konnte, so trat an dessen Stelle, zwar
auch zuletzt um etwas wie einen gestohlenen Trauring eine selig verhimmelnde
Vernichtungsapotheose, die mit des Fakirs Verzückung bis in den Tod eine
verzweifelte Ähnlichkeit hat. Und konsequent erschienen auf der Bühne außer
dieser Apotheose auch die Vorstufen dazu, die abnormen Körperzustände, die
Hypnose, das vorschriftsmäßig starr im Mondschein glänzende Auge des im
Schlaf wachenden, sehenden, der Somnambulismus, der Lach- und der Schrei-
krampf — Dinge, an deren metaphysischen Wert ja auch Wagner in letzter
Konsequenz fest geglaubt hatte (er glaubte sogar an den Psychographen und
bediente sich desselben), und neben dem Weltenwch als höherer Potenz des
Weltschmerzes erschien die Satansbosheit und kleinliche Gemeinheit Akte lang,
Abende lang, zwar theoretisch als verwerflich, verächtlich dargestellt, aber doch
lange, lange zum Genusse dargeboten, mit sichtlicher Liebe vorgeführt und auch
über Götter und Göttlichstes zuletzt siegend — dies wie bei Ibsen —, und im
unsichtbaren Orchester rauschte mystisch dazu die Nerveuberauschuug, die Hhpuose
für den in ihr „hellsehend" gemachten Zuschauer!

Schopenhauer freilich hatte guten Grund gehabt, die Musik an die Spitze
aller Künste und (vermutlich eben deshalb) die Künste über Vernunft und
Wissenschaft zu stellen, in denen Goethe und der Satan selbst „des Menschen
allerhöchste Kraft" erkennt. Wodurch nähert uns denn die Musik, außer dem,
daß sie alles Menschliche an Gefühlen zarter, eindringlicher, sprechender aus¬
drückt als die Sprache, auch das Außer- und Übermenschliche? Sie hat zuerst
Geberden (des Marsches, dann des Tanzes, des Reigens u. s. f.) nachgebildet
und dabei gelernt, unsre Gefühle auszudrücken, denn in der Geberde liegt immer
ein Gefühl; Mienen und Blicke gehören als zartere, verfeinerte Geberden dazu.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207805"/>
          <fw type="header" place="top"> Schopenhauer und Richard Wagner</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1426" prev="#ID_1425"> indem er eine Bayreuther Religion und durchaus nichts Geringeres durch die<lb/>
Kunst zu stiften gedachte: eine Religion, deren Überführung in die Wirklichkeit<lb/>
er uicht weniger ernstlich wünschte, also für möglich und heilsam hielt, wie<lb/>
der Buddhist, der es in der That mit seiner Lehre fertig gebracht hatte, das<lb/>
Leben zu gestalten. Natürlich bedürfte Wagner dazu vor allem einer Musik mit<lb/>
metaphysischen Kräften &#x2014; das hatte der edle Schopenhauer in seiner naiven<lb/>
Schwärmerei für den schnöden Melodiker Rossini freilich übersehen, daß nur<lb/>
die jener melodischen absolut entgegengesetzte Wagnerische Musik solche Kräfte<lb/>
besitzen, nur sie des Weltenrätsels Lösung verkünden, Himmel und Erde zu<lb/>
umsahen, zu erklären, zu erobern Aussicht haben konnte, daß sie eine gänzlich<lb/>
anders als die Musik bisher wirkende Kraft fein müsse, um die Zuhörer in<lb/>
den nötigen metaphysischen Zustand zu versetzen. Ob ihre Wirkungen dabei<lb/>
musikalisch blieben, ob diese Musik an sich noch Kunst heißen konnte, davon<lb/>
gleich mehr. Mit der 8vrsniw8 aber war es gründlich vorbei, und da immerhin<lb/>
in einem Kunstwerke, es sei denn wie Shakespeares Othello eins für bekenntnis¬<lb/>
feste Ochsensleischfresser, sich nicht alles etwa um ein verlorenes Taschentuch<lb/>
in puren Kummer und Jammer auflösen konnte, so trat an dessen Stelle, zwar<lb/>
auch zuletzt um etwas wie einen gestohlenen Trauring eine selig verhimmelnde<lb/>
Vernichtungsapotheose, die mit des Fakirs Verzückung bis in den Tod eine<lb/>
verzweifelte Ähnlichkeit hat. Und konsequent erschienen auf der Bühne außer<lb/>
dieser Apotheose auch die Vorstufen dazu, die abnormen Körperzustände, die<lb/>
Hypnose, das vorschriftsmäßig starr im Mondschein glänzende Auge des im<lb/>
Schlaf wachenden, sehenden, der Somnambulismus, der Lach- und der Schrei-<lb/>
krampf &#x2014; Dinge, an deren metaphysischen Wert ja auch Wagner in letzter<lb/>
Konsequenz fest geglaubt hatte (er glaubte sogar an den Psychographen und<lb/>
bediente sich desselben), und neben dem Weltenwch als höherer Potenz des<lb/>
Weltschmerzes erschien die Satansbosheit und kleinliche Gemeinheit Akte lang,<lb/>
Abende lang, zwar theoretisch als verwerflich, verächtlich dargestellt, aber doch<lb/>
lange, lange zum Genusse dargeboten, mit sichtlicher Liebe vorgeführt und auch<lb/>
über Götter und Göttlichstes zuletzt siegend &#x2014; dies wie bei Ibsen &#x2014;, und im<lb/>
unsichtbaren Orchester rauschte mystisch dazu die Nerveuberauschuug, die Hhpuose<lb/>
für den in ihr &#x201E;hellsehend" gemachten Zuschauer!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1427" next="#ID_1428"> Schopenhauer freilich hatte guten Grund gehabt, die Musik an die Spitze<lb/>
aller Künste und (vermutlich eben deshalb) die Künste über Vernunft und<lb/>
Wissenschaft zu stellen, in denen Goethe und der Satan selbst &#x201E;des Menschen<lb/>
allerhöchste Kraft" erkennt. Wodurch nähert uns denn die Musik, außer dem,<lb/>
daß sie alles Menschliche an Gefühlen zarter, eindringlicher, sprechender aus¬<lb/>
drückt als die Sprache, auch das Außer- und Übermenschliche? Sie hat zuerst<lb/>
Geberden (des Marsches, dann des Tanzes, des Reigens u. s. f.) nachgebildet<lb/>
und dabei gelernt, unsre Gefühle auszudrücken, denn in der Geberde liegt immer<lb/>
ein Gefühl; Mienen und Blicke gehören als zartere, verfeinerte Geberden dazu.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] Schopenhauer und Richard Wagner indem er eine Bayreuther Religion und durchaus nichts Geringeres durch die Kunst zu stiften gedachte: eine Religion, deren Überführung in die Wirklichkeit er uicht weniger ernstlich wünschte, also für möglich und heilsam hielt, wie der Buddhist, der es in der That mit seiner Lehre fertig gebracht hatte, das Leben zu gestalten. Natürlich bedürfte Wagner dazu vor allem einer Musik mit metaphysischen Kräften — das hatte der edle Schopenhauer in seiner naiven Schwärmerei für den schnöden Melodiker Rossini freilich übersehen, daß nur die jener melodischen absolut entgegengesetzte Wagnerische Musik solche Kräfte besitzen, nur sie des Weltenrätsels Lösung verkünden, Himmel und Erde zu umsahen, zu erklären, zu erobern Aussicht haben konnte, daß sie eine gänzlich anders als die Musik bisher wirkende Kraft fein müsse, um die Zuhörer in den nötigen metaphysischen Zustand zu versetzen. Ob ihre Wirkungen dabei musikalisch blieben, ob diese Musik an sich noch Kunst heißen konnte, davon gleich mehr. Mit der 8vrsniw8 aber war es gründlich vorbei, und da immerhin in einem Kunstwerke, es sei denn wie Shakespeares Othello eins für bekenntnis¬ feste Ochsensleischfresser, sich nicht alles etwa um ein verlorenes Taschentuch in puren Kummer und Jammer auflösen konnte, so trat an dessen Stelle, zwar auch zuletzt um etwas wie einen gestohlenen Trauring eine selig verhimmelnde Vernichtungsapotheose, die mit des Fakirs Verzückung bis in den Tod eine verzweifelte Ähnlichkeit hat. Und konsequent erschienen auf der Bühne außer dieser Apotheose auch die Vorstufen dazu, die abnormen Körperzustände, die Hypnose, das vorschriftsmäßig starr im Mondschein glänzende Auge des im Schlaf wachenden, sehenden, der Somnambulismus, der Lach- und der Schrei- krampf — Dinge, an deren metaphysischen Wert ja auch Wagner in letzter Konsequenz fest geglaubt hatte (er glaubte sogar an den Psychographen und bediente sich desselben), und neben dem Weltenwch als höherer Potenz des Weltschmerzes erschien die Satansbosheit und kleinliche Gemeinheit Akte lang, Abende lang, zwar theoretisch als verwerflich, verächtlich dargestellt, aber doch lange, lange zum Genusse dargeboten, mit sichtlicher Liebe vorgeführt und auch über Götter und Göttlichstes zuletzt siegend — dies wie bei Ibsen —, und im unsichtbaren Orchester rauschte mystisch dazu die Nerveuberauschuug, die Hhpuose für den in ihr „hellsehend" gemachten Zuschauer! Schopenhauer freilich hatte guten Grund gehabt, die Musik an die Spitze aller Künste und (vermutlich eben deshalb) die Künste über Vernunft und Wissenschaft zu stellen, in denen Goethe und der Satan selbst „des Menschen allerhöchste Kraft" erkennt. Wodurch nähert uns denn die Musik, außer dem, daß sie alles Menschliche an Gefühlen zarter, eindringlicher, sprechender aus¬ drückt als die Sprache, auch das Außer- und Übermenschliche? Sie hat zuerst Geberden (des Marsches, dann des Tanzes, des Reigens u. s. f.) nachgebildet und dabei gelernt, unsre Gefühle auszudrücken, denn in der Geberde liegt immer ein Gefühl; Mienen und Blicke gehören als zartere, verfeinerte Geberden dazu.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/510>, abgerufen am 27.12.2024.