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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Socialismus und Erziehung

Und das erscheint bei den Hohenzollern nicht wunderbar, wenn man sich des
bekannten Ausspruchs Friedrichs des Großen erinnert: "Wer die Menschen
für gut hält, der kennt diese Nasse nicht; denn die menschliche Gattung, sich
selbst überlassen, ist brutal; bloß die Erziehung vermag etwas." Kant wieder¬
holte den Gedanken mit den Worten: "Der Mensch kann uur Mensch werden
durch die Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht."

Seit Plato verkündete: Es giebt nichts Göttlicheres als die Erziehung,
hat man in immer neuen Tonarten die Macht der Erziehung gepriesen und
von ihrem Einfluß alles erwartet. Ja man sprach es geradezu aus: Das
Schicksal eines Volkes, seine Blute wie sein Zerfall hängen im tiefsten Grunde
von der Erziehung ab, die der Jugend zu teil wird. Die Verwirklichung seiner
sozialen Ideale hoffte Plato von dem Aufsteigen des heranwachsenden Geschlechts
zu höhern Stufen. Gleich ihm wollte Rousseau eine Erneuerung der Gesell¬
schaft durch die Verbesserung von Erziehung und Unterricht herbeiführen, in
Übereinstimmung mit dem Leilmizschen Satz: 8i 1'on, rtzkornrg.it I'väuo-Mon, l'on
rvkornrtzrait I"z g-fürs Iiunmin. Wie Fichte, die Pestalozzischen Ideen ausgreifend,
die Wiedergeburt der Nation auf Grund eiuer neuen Nationnlerziehuug er¬
wartete, ist bekannt. Ähnlich hatte Luther verlangt, daß die Reformation der
Kirche mit den Kindern beginnen müsse. Ähnlich ist die Hoffnung der Vater-
landsfreunde im Elsaß auf das heranwachsende Geschlecht gerichtet. Und in
gleicher Weise erwartet man in der Gegenwart von der Erziehung der Jugend
einen neue" Aufschwung im allgemeinen und im besondern die wirksamste Hilfe
gegen das Umsichgreifen sozialistischer Theorien.

Das hängt ohne Zweifel mit der pädagogischen Zeitströmung zusammen,
die, wie vor hundert Jahren, mit der sozialen Frage in den Mittelpunkt des
Interesses gerückt ist. Konnte sonst die warme Aufnahme von Schriften wie
Rembrandt als Erzieher, Güßfeldt, Die Erziehung der Jugend und vieler
andern begreiflich erscheinen? Und würden sonst kaiserliche Erlasse und Krvn-
befehle eines Gebietes gedenken, gegen das sich die höchsten Zentralstellen
unsrer Bildung, die Universitäten, ablehnend Verhalten?

Mit dem Vordrängen der sozialen Frage aber wurde zugleich die päda¬
gogische aufs Schild erhoben. Deshalb hieß es in dem Erlaß Kaiser Friedrichs:
"Mit den sozialen Fragen eng verbunden erachte ich die der Erziehung der
heranwachsenden Jugend zugewandte Pflege. Muß einerseits eine höhere Bil¬
dung immer weitern Kreisen zugänglich gemacht werden, so ist doch zu ver¬
meiden, daß durch Halbbildung ernste Gefahren geschaffen, daß Lebensansprüche
geweckt werde", denen die wirtschaftlichen Kräfte der Nation nicht genügen
könne>?, oder daß durch einseitige Erstrebung vermehrten Wissens die erziehliche
Aufgabe unberücksichtigt bleibe. Nur ein auf der gesunden Grundlage von
Gottesfurcht in einfacher Sitte aufwachseudes Geschlecht wird hinreichend
Widerstandskraft besitzen, die Gefahren zu überwinden, welche in einer Zeit


Socialismus und Erziehung

Und das erscheint bei den Hohenzollern nicht wunderbar, wenn man sich des
bekannten Ausspruchs Friedrichs des Großen erinnert: „Wer die Menschen
für gut hält, der kennt diese Nasse nicht; denn die menschliche Gattung, sich
selbst überlassen, ist brutal; bloß die Erziehung vermag etwas." Kant wieder¬
holte den Gedanken mit den Worten: „Der Mensch kann uur Mensch werden
durch die Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht."

Seit Plato verkündete: Es giebt nichts Göttlicheres als die Erziehung,
hat man in immer neuen Tonarten die Macht der Erziehung gepriesen und
von ihrem Einfluß alles erwartet. Ja man sprach es geradezu aus: Das
Schicksal eines Volkes, seine Blute wie sein Zerfall hängen im tiefsten Grunde
von der Erziehung ab, die der Jugend zu teil wird. Die Verwirklichung seiner
sozialen Ideale hoffte Plato von dem Aufsteigen des heranwachsenden Geschlechts
zu höhern Stufen. Gleich ihm wollte Rousseau eine Erneuerung der Gesell¬
schaft durch die Verbesserung von Erziehung und Unterricht herbeiführen, in
Übereinstimmung mit dem Leilmizschen Satz: 8i 1'on, rtzkornrg.it I'väuo-Mon, l'on
rvkornrtzrait I«z g-fürs Iiunmin. Wie Fichte, die Pestalozzischen Ideen ausgreifend,
die Wiedergeburt der Nation auf Grund eiuer neuen Nationnlerziehuug er¬
wartete, ist bekannt. Ähnlich hatte Luther verlangt, daß die Reformation der
Kirche mit den Kindern beginnen müsse. Ähnlich ist die Hoffnung der Vater-
landsfreunde im Elsaß auf das heranwachsende Geschlecht gerichtet. Und in
gleicher Weise erwartet man in der Gegenwart von der Erziehung der Jugend
einen neue» Aufschwung im allgemeinen und im besondern die wirksamste Hilfe
gegen das Umsichgreifen sozialistischer Theorien.

Das hängt ohne Zweifel mit der pädagogischen Zeitströmung zusammen,
die, wie vor hundert Jahren, mit der sozialen Frage in den Mittelpunkt des
Interesses gerückt ist. Konnte sonst die warme Aufnahme von Schriften wie
Rembrandt als Erzieher, Güßfeldt, Die Erziehung der Jugend und vieler
andern begreiflich erscheinen? Und würden sonst kaiserliche Erlasse und Krvn-
befehle eines Gebietes gedenken, gegen das sich die höchsten Zentralstellen
unsrer Bildung, die Universitäten, ablehnend Verhalten?

Mit dem Vordrängen der sozialen Frage aber wurde zugleich die päda¬
gogische aufs Schild erhoben. Deshalb hieß es in dem Erlaß Kaiser Friedrichs:
„Mit den sozialen Fragen eng verbunden erachte ich die der Erziehung der
heranwachsenden Jugend zugewandte Pflege. Muß einerseits eine höhere Bil¬
dung immer weitern Kreisen zugänglich gemacht werden, so ist doch zu ver¬
meiden, daß durch Halbbildung ernste Gefahren geschaffen, daß Lebensansprüche
geweckt werde», denen die wirtschaftlichen Kräfte der Nation nicht genügen
könne>?, oder daß durch einseitige Erstrebung vermehrten Wissens die erziehliche
Aufgabe unberücksichtigt bleibe. Nur ein auf der gesunden Grundlage von
Gottesfurcht in einfacher Sitte aufwachseudes Geschlecht wird hinreichend
Widerstandskraft besitzen, die Gefahren zu überwinden, welche in einer Zeit


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[0498] Socialismus und Erziehung Und das erscheint bei den Hohenzollern nicht wunderbar, wenn man sich des bekannten Ausspruchs Friedrichs des Großen erinnert: „Wer die Menschen für gut hält, der kennt diese Nasse nicht; denn die menschliche Gattung, sich selbst überlassen, ist brutal; bloß die Erziehung vermag etwas." Kant wieder¬ holte den Gedanken mit den Worten: „Der Mensch kann uur Mensch werden durch die Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht." Seit Plato verkündete: Es giebt nichts Göttlicheres als die Erziehung, hat man in immer neuen Tonarten die Macht der Erziehung gepriesen und von ihrem Einfluß alles erwartet. Ja man sprach es geradezu aus: Das Schicksal eines Volkes, seine Blute wie sein Zerfall hängen im tiefsten Grunde von der Erziehung ab, die der Jugend zu teil wird. Die Verwirklichung seiner sozialen Ideale hoffte Plato von dem Aufsteigen des heranwachsenden Geschlechts zu höhern Stufen. Gleich ihm wollte Rousseau eine Erneuerung der Gesell¬ schaft durch die Verbesserung von Erziehung und Unterricht herbeiführen, in Übereinstimmung mit dem Leilmizschen Satz: 8i 1'on, rtzkornrg.it I'väuo-Mon, l'on rvkornrtzrait I«z g-fürs Iiunmin. Wie Fichte, die Pestalozzischen Ideen ausgreifend, die Wiedergeburt der Nation auf Grund eiuer neuen Nationnlerziehuug er¬ wartete, ist bekannt. Ähnlich hatte Luther verlangt, daß die Reformation der Kirche mit den Kindern beginnen müsse. Ähnlich ist die Hoffnung der Vater- landsfreunde im Elsaß auf das heranwachsende Geschlecht gerichtet. Und in gleicher Weise erwartet man in der Gegenwart von der Erziehung der Jugend einen neue» Aufschwung im allgemeinen und im besondern die wirksamste Hilfe gegen das Umsichgreifen sozialistischer Theorien. Das hängt ohne Zweifel mit der pädagogischen Zeitströmung zusammen, die, wie vor hundert Jahren, mit der sozialen Frage in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist. Konnte sonst die warme Aufnahme von Schriften wie Rembrandt als Erzieher, Güßfeldt, Die Erziehung der Jugend und vieler andern begreiflich erscheinen? Und würden sonst kaiserliche Erlasse und Krvn- befehle eines Gebietes gedenken, gegen das sich die höchsten Zentralstellen unsrer Bildung, die Universitäten, ablehnend Verhalten? Mit dem Vordrängen der sozialen Frage aber wurde zugleich die päda¬ gogische aufs Schild erhoben. Deshalb hieß es in dem Erlaß Kaiser Friedrichs: „Mit den sozialen Fragen eng verbunden erachte ich die der Erziehung der heranwachsenden Jugend zugewandte Pflege. Muß einerseits eine höhere Bil¬ dung immer weitern Kreisen zugänglich gemacht werden, so ist doch zu ver¬ meiden, daß durch Halbbildung ernste Gefahren geschaffen, daß Lebensansprüche geweckt werde», denen die wirtschaftlichen Kräfte der Nation nicht genügen könne>?, oder daß durch einseitige Erstrebung vermehrten Wissens die erziehliche Aufgabe unberücksichtigt bleibe. Nur ein auf der gesunden Grundlage von Gottesfurcht in einfacher Sitte aufwachseudes Geschlecht wird hinreichend Widerstandskraft besitzen, die Gefahren zu überwinden, welche in einer Zeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/498>, abgerufen am 29.06.2024.