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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Aufgabe der Gegenwart

nichts mehr zu sagen. Dagegen erweist sich der Staat als zu schwach, eine
Presse in Zucht zu nehmen, die in der Vergiftung des Volkes täglich großes leistet.

In der Gesetzgebung und der Verwaltung des hinter uns liegenden Zeit¬
abschnittes hat der Staat der Kirche gegenüber offen und versteckt zu erkennen
gegeben: Wir brauchen euch nicht. Und das Volk spricht mit Massettv: Habs
verstanden, Habs verstanden. Wenn sich nun die Meinung ändert und die
Losung ausgegeben wird: Die Kirche soll helfe", so ist damit das geschehene
nicht ungeschehen gemacht. Man hat die Kirche aus dem öffentlichen Leben ver¬
drängt, man hat ihr die Massen entfremdet, man muß sie also erst rehabilitireu,
wenn mau eine erfolgreiche Wirksamkeit von ihr erwarten will. Das ist es,
was zu thun ist, nicht aber die Geistlichen zu umso treuerer Pflichterfüllung
zu ermahnen. Denn das würde ungefähr auf die Methode jenes Pharao
von Ägypten hinauslaufen, der den Kindern Israel das Stroh entzog, das sie
zum Ziegelbrennen brauchten, und sie hernach zu desto treuerer Pflichterfüllung
anhielt. Die Geistlichen haben in diesen ungünstigen Jahren nicht geschlafen.
Man weiß es zu wenig zu würdigen, aber man wird es ihnen vielleicht später
noch danken, was sie in mühsamer und undankbarer Arbeit in dieser Zeit
gerettet und zusammengehalten haben. Jetzt sollen sie sich daran beteiligen,
verlorenes Land wieder zu gewinnen, aber möglich wird das erst dann sein,
wenn das, was bisher ein Hindernis ihrer Wirksamkeit war, beseitigt wird.

Die Anforderung ist nicht zu groß. Zunächst freilich ist es nötig, die
Meinung zu beseitigen, als könne man der Kirche in dein bevorstehenden Feldzuge
gleichsam die Rolle des Schlachtenbummlers zuweisen. Die Arbeit des Roten
Kreuzes hat sich in Form der Freiwilligkeit 1870 nicht besonders bewährt.
Für die Zukunft hat man die freiwillige Krankenpflege ordentlich eingereiht.
Etwas ähnliches wird geschehen müssen, wenn sich die Kirche an der Besserung
sozialer Nöte beteiligen soll. Man wird nicht bloß durch schöne Worte, sondern
durch die gesetzgeberische That die Meinung aussprechen müssen: Wir brauchen
euch und wir wollen euch haben.

Euch, die Kirche! Was ist die Kirche, die hier in Frage kommt? Die
kirchlichen Behörden sind es nicht, mögen sie auch noch so treffliche Hirtenbriefe
erlassen, die Synoden sind es auch uicht, mögen sie auch noch so gründlich
die vorliegende Frage beraten und noch so eifrig Beschlüsse fassen; es ist das
Pfarramt, es sind die dem Pfarramt nahestehenden kirchlich lebendigen Gemeinde¬
glieder, die gewillt sind, etwas zu opfern und etwas zu thun. Denn was im
Volke gearbeitet wird, geschieht "vor Ort." Das Volk kaun uicht von oben
beglückt werden.

Wir stellen hier wieder die Frage: Was ist denn die Aufgabe? Wir
gaben bereits im vorigen Aufsatze die Antwort: Die Aufgabe ist im letzten
Grunde eine pädagogische, und zwar eine volkspädagogische. Zur Wahrung
seiner Autorität durch die äußere Macht, zur ausgleichende!" Gerechtigkeit, zur


Die Aufgabe der Gegenwart

nichts mehr zu sagen. Dagegen erweist sich der Staat als zu schwach, eine
Presse in Zucht zu nehmen, die in der Vergiftung des Volkes täglich großes leistet.

In der Gesetzgebung und der Verwaltung des hinter uns liegenden Zeit¬
abschnittes hat der Staat der Kirche gegenüber offen und versteckt zu erkennen
gegeben: Wir brauchen euch nicht. Und das Volk spricht mit Massettv: Habs
verstanden, Habs verstanden. Wenn sich nun die Meinung ändert und die
Losung ausgegeben wird: Die Kirche soll helfe», so ist damit das geschehene
nicht ungeschehen gemacht. Man hat die Kirche aus dem öffentlichen Leben ver¬
drängt, man hat ihr die Massen entfremdet, man muß sie also erst rehabilitireu,
wenn mau eine erfolgreiche Wirksamkeit von ihr erwarten will. Das ist es,
was zu thun ist, nicht aber die Geistlichen zu umso treuerer Pflichterfüllung
zu ermahnen. Denn das würde ungefähr auf die Methode jenes Pharao
von Ägypten hinauslaufen, der den Kindern Israel das Stroh entzog, das sie
zum Ziegelbrennen brauchten, und sie hernach zu desto treuerer Pflichterfüllung
anhielt. Die Geistlichen haben in diesen ungünstigen Jahren nicht geschlafen.
Man weiß es zu wenig zu würdigen, aber man wird es ihnen vielleicht später
noch danken, was sie in mühsamer und undankbarer Arbeit in dieser Zeit
gerettet und zusammengehalten haben. Jetzt sollen sie sich daran beteiligen,
verlorenes Land wieder zu gewinnen, aber möglich wird das erst dann sein,
wenn das, was bisher ein Hindernis ihrer Wirksamkeit war, beseitigt wird.

Die Anforderung ist nicht zu groß. Zunächst freilich ist es nötig, die
Meinung zu beseitigen, als könne man der Kirche in dein bevorstehenden Feldzuge
gleichsam die Rolle des Schlachtenbummlers zuweisen. Die Arbeit des Roten
Kreuzes hat sich in Form der Freiwilligkeit 1870 nicht besonders bewährt.
Für die Zukunft hat man die freiwillige Krankenpflege ordentlich eingereiht.
Etwas ähnliches wird geschehen müssen, wenn sich die Kirche an der Besserung
sozialer Nöte beteiligen soll. Man wird nicht bloß durch schöne Worte, sondern
durch die gesetzgeberische That die Meinung aussprechen müssen: Wir brauchen
euch und wir wollen euch haben.

Euch, die Kirche! Was ist die Kirche, die hier in Frage kommt? Die
kirchlichen Behörden sind es nicht, mögen sie auch noch so treffliche Hirtenbriefe
erlassen, die Synoden sind es auch uicht, mögen sie auch noch so gründlich
die vorliegende Frage beraten und noch so eifrig Beschlüsse fassen; es ist das
Pfarramt, es sind die dem Pfarramt nahestehenden kirchlich lebendigen Gemeinde¬
glieder, die gewillt sind, etwas zu opfern und etwas zu thun. Denn was im
Volke gearbeitet wird, geschieht „vor Ort." Das Volk kaun uicht von oben
beglückt werden.

Wir stellen hier wieder die Frage: Was ist denn die Aufgabe? Wir
gaben bereits im vorigen Aufsatze die Antwort: Die Aufgabe ist im letzten
Grunde eine pädagogische, und zwar eine volkspädagogische. Zur Wahrung
seiner Autorität durch die äußere Macht, zur ausgleichende!« Gerechtigkeit, zur


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[0496] Die Aufgabe der Gegenwart nichts mehr zu sagen. Dagegen erweist sich der Staat als zu schwach, eine Presse in Zucht zu nehmen, die in der Vergiftung des Volkes täglich großes leistet. In der Gesetzgebung und der Verwaltung des hinter uns liegenden Zeit¬ abschnittes hat der Staat der Kirche gegenüber offen und versteckt zu erkennen gegeben: Wir brauchen euch nicht. Und das Volk spricht mit Massettv: Habs verstanden, Habs verstanden. Wenn sich nun die Meinung ändert und die Losung ausgegeben wird: Die Kirche soll helfe», so ist damit das geschehene nicht ungeschehen gemacht. Man hat die Kirche aus dem öffentlichen Leben ver¬ drängt, man hat ihr die Massen entfremdet, man muß sie also erst rehabilitireu, wenn mau eine erfolgreiche Wirksamkeit von ihr erwarten will. Das ist es, was zu thun ist, nicht aber die Geistlichen zu umso treuerer Pflichterfüllung zu ermahnen. Denn das würde ungefähr auf die Methode jenes Pharao von Ägypten hinauslaufen, der den Kindern Israel das Stroh entzog, das sie zum Ziegelbrennen brauchten, und sie hernach zu desto treuerer Pflichterfüllung anhielt. Die Geistlichen haben in diesen ungünstigen Jahren nicht geschlafen. Man weiß es zu wenig zu würdigen, aber man wird es ihnen vielleicht später noch danken, was sie in mühsamer und undankbarer Arbeit in dieser Zeit gerettet und zusammengehalten haben. Jetzt sollen sie sich daran beteiligen, verlorenes Land wieder zu gewinnen, aber möglich wird das erst dann sein, wenn das, was bisher ein Hindernis ihrer Wirksamkeit war, beseitigt wird. Die Anforderung ist nicht zu groß. Zunächst freilich ist es nötig, die Meinung zu beseitigen, als könne man der Kirche in dein bevorstehenden Feldzuge gleichsam die Rolle des Schlachtenbummlers zuweisen. Die Arbeit des Roten Kreuzes hat sich in Form der Freiwilligkeit 1870 nicht besonders bewährt. Für die Zukunft hat man die freiwillige Krankenpflege ordentlich eingereiht. Etwas ähnliches wird geschehen müssen, wenn sich die Kirche an der Besserung sozialer Nöte beteiligen soll. Man wird nicht bloß durch schöne Worte, sondern durch die gesetzgeberische That die Meinung aussprechen müssen: Wir brauchen euch und wir wollen euch haben. Euch, die Kirche! Was ist die Kirche, die hier in Frage kommt? Die kirchlichen Behörden sind es nicht, mögen sie auch noch so treffliche Hirtenbriefe erlassen, die Synoden sind es auch uicht, mögen sie auch noch so gründlich die vorliegende Frage beraten und noch so eifrig Beschlüsse fassen; es ist das Pfarramt, es sind die dem Pfarramt nahestehenden kirchlich lebendigen Gemeinde¬ glieder, die gewillt sind, etwas zu opfern und etwas zu thun. Denn was im Volke gearbeitet wird, geschieht „vor Ort." Das Volk kaun uicht von oben beglückt werden. Wir stellen hier wieder die Frage: Was ist denn die Aufgabe? Wir gaben bereits im vorigen Aufsatze die Antwort: Die Aufgabe ist im letzten Grunde eine pädagogische, und zwar eine volkspädagogische. Zur Wahrung seiner Autorität durch die äußere Macht, zur ausgleichende!« Gerechtigkeit, zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/496>, abgerufen am 28.09.2024.