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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Aufgabe der Gegenwart

rechtigkcit, des nlttestamentlichen Gesetzes, und die Kirche verwaltete das Evan¬
gelium. Der christliche Staat war die Voraussetzung der evangelischen Kirche,
die darum auf eine selbständige Organisation verzichten konnte. Es wäre
besser gewesen, sie hätte nicht verzichtet. Denn nun fehlt diese Voraussetzung.
Im paritätischen Staate giebt es streng genommen keine Landeskirche, sondern
nur eine Kirche im Lande. Man kann also ernstlich fragen, ob die Kirche
die Aufgabe habe, sich an staatlichen Arbeiten zu beteiligen, und ob die Nei¬
gung vorhanden sei, mit dem Staate Hand in Hand zu gehen. Wollte die
Kirche gleiches mit gleichem vergelten, so könnte sie, von einer gewissen Bitter¬
keit bewegt, antworten: Du hast es ja so haben wollen, wie es gekommen ist,
nun sieh zu, wo du bleibst. Sie könnte wohl mit ihrer Hilfe zurückhalten in
der Erwartung, später desto dringlicher gebeten zu werdeu.

Die Kirche hat es schmerzlich empfunden, daß sie behandelt worden ist
wie ein Knecht, mit dem mau uicht viel Umstünde macht, weil man weiß, daß
er nicht kündigen werde. Es soll nicht verkannt werden, daß der Staat der
evangelischen Kirche Wohlthaten erwiesen hat, nnr hat der Herr Fiskus dabei
die alte, unliebenswürdige Gewohnheit nicht ablegen können, mit einer Hand
zu geben und mit der andern das Gegebene zurückzunehmen. Er hat zum
Beispiel durch die allerhöchste Verordnung vom 5. September 1877 die Ver¬
waltung der eignen Angelegenheiten der Kirche den kirchlichen Behörden über¬
wiesen, aber die dazu nötigen Mittel uur in kärglicher Weise bereitgestellt.
Er hat der Kirche eine Art von eigner Verwaltung gestattet, kommt aber hernach
als fiskalischer Patron und nimmt sie wieder zurück, indem er zwar als
staatliche Behörde nicht mehr sein Regiment übt, sondern nunmehr als
Patronatsbehörde, und zwar in einer Weise, daß die kirchliche Verwaltung völlig
lahmgelegt wird. Wenn jetzt die städtischen Patronate und die Privatpatrone
in gleicher Weise vorgingen, so bliebe von einer Selbstverwaltung der Kirche
nicht mehr viel übrig. Eben jetzt, wo es heißt, wir brauchen die Kirche, und
nachdem der Landtag zwar nicht viel, aber doch etwas für die Superintendenten
gethan zu haben glaubt, verwandelt eine Ministerialverfügung vom 8. Januar
dieses Jahres die den Superintendenten zugedachte Wohlthat in ihr Gegenteil
und erregt in allen davon betroffenen Kreisen einen wohlbegründeten Unmut.
Als die Schulaufsicht auf den Staat überging, wurde von den Superintendenten
geltend gemacht, daß sie doch wohl bei ihren Dienstreisen um auch nach dem
Satze der Staatsbeamten liquidiren könnten. Nein, hieß es, in Bezug auf die
Liquidation ist alles beim alten geblieben. Schön, es blieb also der veraltete
Satz in Wirksamkeit. Immerhin blieb noch ein Weniges übrig, sodaß die
Superintendenten für ihre Arbeitslast wenigstens in dieser Form ein geringes
Einkommen hatten. Nachdem nun der Landtag eine runde Summe für die
Superintendenten bewilligt hat, doch wohl in der Meinung, daß die Super-
intendenten diese Zuwendung mehr haben sollten als zuvor, und daß die Gabe


Die Aufgabe der Gegenwart

rechtigkcit, des nlttestamentlichen Gesetzes, und die Kirche verwaltete das Evan¬
gelium. Der christliche Staat war die Voraussetzung der evangelischen Kirche,
die darum auf eine selbständige Organisation verzichten konnte. Es wäre
besser gewesen, sie hätte nicht verzichtet. Denn nun fehlt diese Voraussetzung.
Im paritätischen Staate giebt es streng genommen keine Landeskirche, sondern
nur eine Kirche im Lande. Man kann also ernstlich fragen, ob die Kirche
die Aufgabe habe, sich an staatlichen Arbeiten zu beteiligen, und ob die Nei¬
gung vorhanden sei, mit dem Staate Hand in Hand zu gehen. Wollte die
Kirche gleiches mit gleichem vergelten, so könnte sie, von einer gewissen Bitter¬
keit bewegt, antworten: Du hast es ja so haben wollen, wie es gekommen ist,
nun sieh zu, wo du bleibst. Sie könnte wohl mit ihrer Hilfe zurückhalten in
der Erwartung, später desto dringlicher gebeten zu werdeu.

Die Kirche hat es schmerzlich empfunden, daß sie behandelt worden ist
wie ein Knecht, mit dem mau uicht viel Umstünde macht, weil man weiß, daß
er nicht kündigen werde. Es soll nicht verkannt werden, daß der Staat der
evangelischen Kirche Wohlthaten erwiesen hat, nnr hat der Herr Fiskus dabei
die alte, unliebenswürdige Gewohnheit nicht ablegen können, mit einer Hand
zu geben und mit der andern das Gegebene zurückzunehmen. Er hat zum
Beispiel durch die allerhöchste Verordnung vom 5. September 1877 die Ver¬
waltung der eignen Angelegenheiten der Kirche den kirchlichen Behörden über¬
wiesen, aber die dazu nötigen Mittel uur in kärglicher Weise bereitgestellt.
Er hat der Kirche eine Art von eigner Verwaltung gestattet, kommt aber hernach
als fiskalischer Patron und nimmt sie wieder zurück, indem er zwar als
staatliche Behörde nicht mehr sein Regiment übt, sondern nunmehr als
Patronatsbehörde, und zwar in einer Weise, daß die kirchliche Verwaltung völlig
lahmgelegt wird. Wenn jetzt die städtischen Patronate und die Privatpatrone
in gleicher Weise vorgingen, so bliebe von einer Selbstverwaltung der Kirche
nicht mehr viel übrig. Eben jetzt, wo es heißt, wir brauchen die Kirche, und
nachdem der Landtag zwar nicht viel, aber doch etwas für die Superintendenten
gethan zu haben glaubt, verwandelt eine Ministerialverfügung vom 8. Januar
dieses Jahres die den Superintendenten zugedachte Wohlthat in ihr Gegenteil
und erregt in allen davon betroffenen Kreisen einen wohlbegründeten Unmut.
Als die Schulaufsicht auf den Staat überging, wurde von den Superintendenten
geltend gemacht, daß sie doch wohl bei ihren Dienstreisen um auch nach dem
Satze der Staatsbeamten liquidiren könnten. Nein, hieß es, in Bezug auf die
Liquidation ist alles beim alten geblieben. Schön, es blieb also der veraltete
Satz in Wirksamkeit. Immerhin blieb noch ein Weniges übrig, sodaß die
Superintendenten für ihre Arbeitslast wenigstens in dieser Form ein geringes
Einkommen hatten. Nachdem nun der Landtag eine runde Summe für die
Superintendenten bewilligt hat, doch wohl in der Meinung, daß die Super-
intendenten diese Zuwendung mehr haben sollten als zuvor, und daß die Gabe


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[0493] Die Aufgabe der Gegenwart rechtigkcit, des nlttestamentlichen Gesetzes, und die Kirche verwaltete das Evan¬ gelium. Der christliche Staat war die Voraussetzung der evangelischen Kirche, die darum auf eine selbständige Organisation verzichten konnte. Es wäre besser gewesen, sie hätte nicht verzichtet. Denn nun fehlt diese Voraussetzung. Im paritätischen Staate giebt es streng genommen keine Landeskirche, sondern nur eine Kirche im Lande. Man kann also ernstlich fragen, ob die Kirche die Aufgabe habe, sich an staatlichen Arbeiten zu beteiligen, und ob die Nei¬ gung vorhanden sei, mit dem Staate Hand in Hand zu gehen. Wollte die Kirche gleiches mit gleichem vergelten, so könnte sie, von einer gewissen Bitter¬ keit bewegt, antworten: Du hast es ja so haben wollen, wie es gekommen ist, nun sieh zu, wo du bleibst. Sie könnte wohl mit ihrer Hilfe zurückhalten in der Erwartung, später desto dringlicher gebeten zu werdeu. Die Kirche hat es schmerzlich empfunden, daß sie behandelt worden ist wie ein Knecht, mit dem mau uicht viel Umstünde macht, weil man weiß, daß er nicht kündigen werde. Es soll nicht verkannt werden, daß der Staat der evangelischen Kirche Wohlthaten erwiesen hat, nnr hat der Herr Fiskus dabei die alte, unliebenswürdige Gewohnheit nicht ablegen können, mit einer Hand zu geben und mit der andern das Gegebene zurückzunehmen. Er hat zum Beispiel durch die allerhöchste Verordnung vom 5. September 1877 die Ver¬ waltung der eignen Angelegenheiten der Kirche den kirchlichen Behörden über¬ wiesen, aber die dazu nötigen Mittel uur in kärglicher Weise bereitgestellt. Er hat der Kirche eine Art von eigner Verwaltung gestattet, kommt aber hernach als fiskalischer Patron und nimmt sie wieder zurück, indem er zwar als staatliche Behörde nicht mehr sein Regiment übt, sondern nunmehr als Patronatsbehörde, und zwar in einer Weise, daß die kirchliche Verwaltung völlig lahmgelegt wird. Wenn jetzt die städtischen Patronate und die Privatpatrone in gleicher Weise vorgingen, so bliebe von einer Selbstverwaltung der Kirche nicht mehr viel übrig. Eben jetzt, wo es heißt, wir brauchen die Kirche, und nachdem der Landtag zwar nicht viel, aber doch etwas für die Superintendenten gethan zu haben glaubt, verwandelt eine Ministerialverfügung vom 8. Januar dieses Jahres die den Superintendenten zugedachte Wohlthat in ihr Gegenteil und erregt in allen davon betroffenen Kreisen einen wohlbegründeten Unmut. Als die Schulaufsicht auf den Staat überging, wurde von den Superintendenten geltend gemacht, daß sie doch wohl bei ihren Dienstreisen um auch nach dem Satze der Staatsbeamten liquidiren könnten. Nein, hieß es, in Bezug auf die Liquidation ist alles beim alten geblieben. Schön, es blieb also der veraltete Satz in Wirksamkeit. Immerhin blieb noch ein Weniges übrig, sodaß die Superintendenten für ihre Arbeitslast wenigstens in dieser Form ein geringes Einkommen hatten. Nachdem nun der Landtag eine runde Summe für die Superintendenten bewilligt hat, doch wohl in der Meinung, daß die Super- intendenten diese Zuwendung mehr haben sollten als zuvor, und daß die Gabe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/493>, abgerufen am 03.07.2024.