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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage

daß manche Vimetallisten eine solche von der empfohlenen Währungsänderung
erwarten. Aber natürlich würden dann die Gläubiger, die doch auch Staats¬
bürger und Volksgenossen sind, um eben so viel geschädigt werden, lind diese
Gläubiger sind nicht etwa lauter "Geldjuden." Legen doch auch christliche
Rentner, Witwen, Kirchen und Stiftungen, wohlhabende Handwerker und --
Gutsbesitzer ihr bewegliches Vermögen in Pfandbriefen und Hypotheken an.
Der Staat würde also durch solches Eingreifen in den natürlichen Lauf der
Dinge eine Klasse der Bürger der andern opfern; die Zahl der Opfer und die
Größe des Unglücks würden dieselben bleiben.

Anerbenrechte und Fideikommisse endlich sind durchführbar in Zeiten und
Umständen, wo -- mau sie nicht braucht. So lauge die nachgebornen Kiuder
bequem auf andre Weise versorgt werden können, läßt sich die gesetzliche Be¬
stimmung, daß das Stammgut ungeteilt und unverschuldet bleiben soll, leicht
durchführen. Bleibt aber für die Ausstattung der überzähligen Nachkommen
nichts übrig als ein Angriff aufs Stammvermögen, so werden die Eltern durch
das Verbot dieses Angriffs gezwungen, zur Sicherung des Anerben die übrigen
Kinder einem proletarischen Dasein zu überantworte", während andernfalls
sämtliche Kiuder zwar notdürftig, aber doch anständig versorgt würden.
Konnten sich nun auch die Eltern dazu entschließe", so wird doch der Staat
zögern, die ohnehin gefährliche Vermehrung des Proletariats noch zu be¬
schleunigen.

In sozialer Beziehung, d. h. für das Volkswohl, ist es gleichgiltig, in
welcher der drei Formen die Verminderung deS Anteils der Einzelnen nur vater¬
ländischen Boden bei stetig wachsender Bevölkerung zur Erscheinung kommt:
ob durch das Zusammenschrumpfen der Landgüter zu Zwergwirtschaften, oder
durch drückende Verschuldung der Güter, oder durch Zersetzung der ländlichen
Vevölkernng in eine kleine Gruppe von Großgrundbesitzern nud eine große
Schar proletarischer Pächter nud Tagelöhner. Vom ritterlichen, gräflichen und
fürstlichen Grundbesitz insbesondre aber gilt noch folgendes. Nachdem der
heimische Boden aufgeteilt, und da Kolonialland nicht mehr oder noch nicht
vorhanden ist, fo wird sich die Grundbesitzeraristokratie auf die Dauer schwerlich
halten lassen, wenn man nicht zum englischen System übergeht, d. h. den Titel
an den Besitz bindet, diesen unteilbar und uuverschuldbar macht und die jüngern
Söhne uuter bürgerlichem Namen ihrem Schicksal überläßt. Für standesgemäße
Versorgung der nicht erbeuten Söhne reichen die Offiziers- und höhern Ver¬
waltungsstellen, von denen doch die bürgerlichen Bewerber nicht ganz aus¬
schlossen werden können, nicht hin, wozu noch kommt, daß solche "Versorgung"
bas natürliche Gut ans bekannten Gründen zuweilen mehr beschwert als ent¬
lastet. Während es nun allerdings in politischer Beziehung höchst wünschens¬
wert wäre, wenn die alten Familien im Besitz ihrer Güter bleiben konnten,
wird die Landwirtschaft durch eine größere Zahl von Besitzwechseln nicht


Die soziale Frage

daß manche Vimetallisten eine solche von der empfohlenen Währungsänderung
erwarten. Aber natürlich würden dann die Gläubiger, die doch auch Staats¬
bürger und Volksgenossen sind, um eben so viel geschädigt werden, lind diese
Gläubiger sind nicht etwa lauter „Geldjuden." Legen doch auch christliche
Rentner, Witwen, Kirchen und Stiftungen, wohlhabende Handwerker und --
Gutsbesitzer ihr bewegliches Vermögen in Pfandbriefen und Hypotheken an.
Der Staat würde also durch solches Eingreifen in den natürlichen Lauf der
Dinge eine Klasse der Bürger der andern opfern; die Zahl der Opfer und die
Größe des Unglücks würden dieselben bleiben.

Anerbenrechte und Fideikommisse endlich sind durchführbar in Zeiten und
Umständen, wo — mau sie nicht braucht. So lauge die nachgebornen Kiuder
bequem auf andre Weise versorgt werden können, läßt sich die gesetzliche Be¬
stimmung, daß das Stammgut ungeteilt und unverschuldet bleiben soll, leicht
durchführen. Bleibt aber für die Ausstattung der überzähligen Nachkommen
nichts übrig als ein Angriff aufs Stammvermögen, so werden die Eltern durch
das Verbot dieses Angriffs gezwungen, zur Sicherung des Anerben die übrigen
Kinder einem proletarischen Dasein zu überantworte», während andernfalls
sämtliche Kiuder zwar notdürftig, aber doch anständig versorgt würden.
Konnten sich nun auch die Eltern dazu entschließe», so wird doch der Staat
zögern, die ohnehin gefährliche Vermehrung des Proletariats noch zu be¬
schleunigen.

In sozialer Beziehung, d. h. für das Volkswohl, ist es gleichgiltig, in
welcher der drei Formen die Verminderung deS Anteils der Einzelnen nur vater¬
ländischen Boden bei stetig wachsender Bevölkerung zur Erscheinung kommt:
ob durch das Zusammenschrumpfen der Landgüter zu Zwergwirtschaften, oder
durch drückende Verschuldung der Güter, oder durch Zersetzung der ländlichen
Vevölkernng in eine kleine Gruppe von Großgrundbesitzern nud eine große
Schar proletarischer Pächter nud Tagelöhner. Vom ritterlichen, gräflichen und
fürstlichen Grundbesitz insbesondre aber gilt noch folgendes. Nachdem der
heimische Boden aufgeteilt, und da Kolonialland nicht mehr oder noch nicht
vorhanden ist, fo wird sich die Grundbesitzeraristokratie auf die Dauer schwerlich
halten lassen, wenn man nicht zum englischen System übergeht, d. h. den Titel
an den Besitz bindet, diesen unteilbar und uuverschuldbar macht und die jüngern
Söhne uuter bürgerlichem Namen ihrem Schicksal überläßt. Für standesgemäße
Versorgung der nicht erbeuten Söhne reichen die Offiziers- und höhern Ver¬
waltungsstellen, von denen doch die bürgerlichen Bewerber nicht ganz aus¬
schlossen werden können, nicht hin, wozu noch kommt, daß solche „Versorgung"
bas natürliche Gut ans bekannten Gründen zuweilen mehr beschwert als ent¬
lastet. Während es nun allerdings in politischer Beziehung höchst wünschens¬
wert wäre, wenn die alten Familien im Besitz ihrer Güter bleiben konnten,
wird die Landwirtschaft durch eine größere Zahl von Besitzwechseln nicht


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[0459] Die soziale Frage daß manche Vimetallisten eine solche von der empfohlenen Währungsänderung erwarten. Aber natürlich würden dann die Gläubiger, die doch auch Staats¬ bürger und Volksgenossen sind, um eben so viel geschädigt werden, lind diese Gläubiger sind nicht etwa lauter „Geldjuden." Legen doch auch christliche Rentner, Witwen, Kirchen und Stiftungen, wohlhabende Handwerker und -- Gutsbesitzer ihr bewegliches Vermögen in Pfandbriefen und Hypotheken an. Der Staat würde also durch solches Eingreifen in den natürlichen Lauf der Dinge eine Klasse der Bürger der andern opfern; die Zahl der Opfer und die Größe des Unglücks würden dieselben bleiben. Anerbenrechte und Fideikommisse endlich sind durchführbar in Zeiten und Umständen, wo — mau sie nicht braucht. So lauge die nachgebornen Kiuder bequem auf andre Weise versorgt werden können, läßt sich die gesetzliche Be¬ stimmung, daß das Stammgut ungeteilt und unverschuldet bleiben soll, leicht durchführen. Bleibt aber für die Ausstattung der überzähligen Nachkommen nichts übrig als ein Angriff aufs Stammvermögen, so werden die Eltern durch das Verbot dieses Angriffs gezwungen, zur Sicherung des Anerben die übrigen Kinder einem proletarischen Dasein zu überantworte», während andernfalls sämtliche Kiuder zwar notdürftig, aber doch anständig versorgt würden. Konnten sich nun auch die Eltern dazu entschließe», so wird doch der Staat zögern, die ohnehin gefährliche Vermehrung des Proletariats noch zu be¬ schleunigen. In sozialer Beziehung, d. h. für das Volkswohl, ist es gleichgiltig, in welcher der drei Formen die Verminderung deS Anteils der Einzelnen nur vater¬ ländischen Boden bei stetig wachsender Bevölkerung zur Erscheinung kommt: ob durch das Zusammenschrumpfen der Landgüter zu Zwergwirtschaften, oder durch drückende Verschuldung der Güter, oder durch Zersetzung der ländlichen Vevölkernng in eine kleine Gruppe von Großgrundbesitzern nud eine große Schar proletarischer Pächter nud Tagelöhner. Vom ritterlichen, gräflichen und fürstlichen Grundbesitz insbesondre aber gilt noch folgendes. Nachdem der heimische Boden aufgeteilt, und da Kolonialland nicht mehr oder noch nicht vorhanden ist, fo wird sich die Grundbesitzeraristokratie auf die Dauer schwerlich halten lassen, wenn man nicht zum englischen System übergeht, d. h. den Titel an den Besitz bindet, diesen unteilbar und uuverschuldbar macht und die jüngern Söhne uuter bürgerlichem Namen ihrem Schicksal überläßt. Für standesgemäße Versorgung der nicht erbeuten Söhne reichen die Offiziers- und höhern Ver¬ waltungsstellen, von denen doch die bürgerlichen Bewerber nicht ganz aus¬ schlossen werden können, nicht hin, wozu noch kommt, daß solche „Versorgung" bas natürliche Gut ans bekannten Gründen zuweilen mehr beschwert als ent¬ lastet. Während es nun allerdings in politischer Beziehung höchst wünschens¬ wert wäre, wenn die alten Familien im Besitz ihrer Güter bleiben konnten, wird die Landwirtschaft durch eine größere Zahl von Besitzwechseln nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/459>, abgerufen am 28.09.2024.