Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.Die soziale Frage beede, Rassenpferde u, s. w. sind teils für den materiellen, teils für den 3. solche Dinge, die teils an sich überflüssig, wo nicht schädlich sind Man wende nicht ein, in der Vermehrung und Verfeinerung der Be¬ Die soziale Frage beede, Rassenpferde u, s. w. sind teils für den materiellen, teils für den 3. solche Dinge, die teils an sich überflüssig, wo nicht schädlich sind Man wende nicht ein, in der Vermehrung und Verfeinerung der Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207746"/> <fw type="header" place="top"> Die soziale Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1235" prev="#ID_1234"> beede, Rassenpferde u, s. w. sind teils für den materiellen, teils für den<lb/> ideellen Bestand eines Volkes notwendig; das letztere deswegen, weil das geistige<lb/> Leben aus Vorstellungen erwächst, und weil sowohl die Erzeugung wie die<lb/> Beschattung und Benutzung jener Dinge eine Fülle von Vorstellungen hervor¬<lb/> ruft, bei deren Wegfall das Volk geistig verarmen würde. Aber es ist nicht<lb/> notwendig, daß jeder Einzelne diese Dinge besitze. Es genügt, wenn sich ihrer<lb/> eine hinreichende Anzahl im Besitze des Staates, der Reichen und in öffent¬<lb/> lichen Anstalten (Museen. Kirchen u. s. w.) befindet; die Menge nimmt durch<lb/> die Arbeit bei ihrer Erzeugung, sowie durch Beschauung oder Entleihung an dem<lb/> Nutzen teil, den sie stiften. Daß bei uns in Deutschland die sehr reichen Leute<lb/> das NodlvLLö «Mig-ö in dieser Beziehung heute weniger vor Augen haben als<lb/> ehedem und als jetzt noch in England und selbst in Nordamerika, ist eine alte<lb/> Klage. In einigen deutschen Magnatenschlösscrn befinden sich Bibliotheken und<lb/> Kunstsammlungen, deren beschränkte Benutzung dein Publikum gestattet ist;<lb/> aber sie stammen sämtlich ans älterer Zeit. Und was soll man dazu sagen,<lb/> wenn vielfache Millionäre Bücher mit Leihbibliothekseinband in ihrer nicht<lb/> übermäßig großen Bücherei dulden?</p><lb/> <p xml:id="ID_1236"> 3. solche Dinge, die teils an sich überflüssig, wo nicht schädlich sind<lb/> (z. B. Schnürmieder), und solche, die zwar an sich noch zur zweiten Klasse<lb/> gehöre», die aber, wie oben schon hervorgehoben wurde, durch ihre zu große<lb/> Menge lästig und mitunter schädlich werden. Abgesehen von dem besondern<lb/> Schaden, den einzelne Arten von Luxusartikel« der dritten Klasse anrichten,<lb/> schaden sie allesamt ganz allgemein, indem sie den Geschmack für das Schöne,<lb/> Gediegene, Echte, wahrhaft Wertvolle abstumpfen, die untern und mittlern<lb/> Klassen zu unnützen Ausgaben verleiten und die Anhäufung eines elend be¬<lb/> zahlten Arbeiterprvletariats befördern. Wir sind durch sie auf eine schiefe<lb/> Ebene der schlimmsten Art geraten. Die Überfülle an Luxusartikeln, an Tand<lb/> und Kinkerlitzchen hat deren große Billigkeit zur Folge, und diese Billigkeit<lb/> drückt die Arbeitslöhne, ohne daß die Unternehmer besonders gute Geschäfte<lb/> damit machten. Die Berichte der Handelskammern Pflegen bei solchen Industrie¬<lb/> zweigen anzumerken, nur dnrch Umsatz großer Massen könne das Geschäft<lb/> rentabel erhalten werden. Um aber diesen mehr und mehr anschwellenden<lb/> Massen den Absatz zu sichern, ist einerseits die Gewöhnung auch der untersten<lb/> Volksklassen an den Gebrauch dieses Plunders, anderseits ein rastloser Mode¬<lb/> wechsel unerläßlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1237" next="#ID_1238"> Man wende nicht ein, in der Vermehrung und Verfeinerung der Be¬<lb/> dürfnisse bestehe ja eben der Kulturfortschritt. So allgemein ausgesprochen,<lb/> ist das uicht weniger falsch, wie wenn andre die göttliche Bedürfnislosigkeit<lb/> als das zu erstrebende Ziel bezeichnen. Auch hier behauptet das Wort von<lb/> der goldnen Mitte sein Recht. Der nackte Wilde ist noch kein Mensch, und<lb/> der Gigerl ist keiner mehr. Den Alten verdanken wir diese Erkenntnis. Ihnen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0451]
Die soziale Frage
beede, Rassenpferde u, s. w. sind teils für den materiellen, teils für den
ideellen Bestand eines Volkes notwendig; das letztere deswegen, weil das geistige
Leben aus Vorstellungen erwächst, und weil sowohl die Erzeugung wie die
Beschattung und Benutzung jener Dinge eine Fülle von Vorstellungen hervor¬
ruft, bei deren Wegfall das Volk geistig verarmen würde. Aber es ist nicht
notwendig, daß jeder Einzelne diese Dinge besitze. Es genügt, wenn sich ihrer
eine hinreichende Anzahl im Besitze des Staates, der Reichen und in öffent¬
lichen Anstalten (Museen. Kirchen u. s. w.) befindet; die Menge nimmt durch
die Arbeit bei ihrer Erzeugung, sowie durch Beschauung oder Entleihung an dem
Nutzen teil, den sie stiften. Daß bei uns in Deutschland die sehr reichen Leute
das NodlvLLö «Mig-ö in dieser Beziehung heute weniger vor Augen haben als
ehedem und als jetzt noch in England und selbst in Nordamerika, ist eine alte
Klage. In einigen deutschen Magnatenschlösscrn befinden sich Bibliotheken und
Kunstsammlungen, deren beschränkte Benutzung dein Publikum gestattet ist;
aber sie stammen sämtlich ans älterer Zeit. Und was soll man dazu sagen,
wenn vielfache Millionäre Bücher mit Leihbibliothekseinband in ihrer nicht
übermäßig großen Bücherei dulden?
3. solche Dinge, die teils an sich überflüssig, wo nicht schädlich sind
(z. B. Schnürmieder), und solche, die zwar an sich noch zur zweiten Klasse
gehöre», die aber, wie oben schon hervorgehoben wurde, durch ihre zu große
Menge lästig und mitunter schädlich werden. Abgesehen von dem besondern
Schaden, den einzelne Arten von Luxusartikel« der dritten Klasse anrichten,
schaden sie allesamt ganz allgemein, indem sie den Geschmack für das Schöne,
Gediegene, Echte, wahrhaft Wertvolle abstumpfen, die untern und mittlern
Klassen zu unnützen Ausgaben verleiten und die Anhäufung eines elend be¬
zahlten Arbeiterprvletariats befördern. Wir sind durch sie auf eine schiefe
Ebene der schlimmsten Art geraten. Die Überfülle an Luxusartikeln, an Tand
und Kinkerlitzchen hat deren große Billigkeit zur Folge, und diese Billigkeit
drückt die Arbeitslöhne, ohne daß die Unternehmer besonders gute Geschäfte
damit machten. Die Berichte der Handelskammern Pflegen bei solchen Industrie¬
zweigen anzumerken, nur dnrch Umsatz großer Massen könne das Geschäft
rentabel erhalten werden. Um aber diesen mehr und mehr anschwellenden
Massen den Absatz zu sichern, ist einerseits die Gewöhnung auch der untersten
Volksklassen an den Gebrauch dieses Plunders, anderseits ein rastloser Mode¬
wechsel unerläßlich.
Man wende nicht ein, in der Vermehrung und Verfeinerung der Be¬
dürfnisse bestehe ja eben der Kulturfortschritt. So allgemein ausgesprochen,
ist das uicht weniger falsch, wie wenn andre die göttliche Bedürfnislosigkeit
als das zu erstrebende Ziel bezeichnen. Auch hier behauptet das Wort von
der goldnen Mitte sein Recht. Der nackte Wilde ist noch kein Mensch, und
der Gigerl ist keiner mehr. Den Alten verdanken wir diese Erkenntnis. Ihnen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |