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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Tendenzromane

(ils Muster vor Augen geschwebt haben. Aber sein Buch darf den Vergleich
mit dem ältern Schriftsteller schon wagen; frischer als dessen letzte Romane,
klarer in der Gesinnung und hübscher in der Komposition als "Was will das
werden?" ist Om et lukorn, jedenfalls. Freilich ist der Politiker stärker als
der Dichter; die Partei ist in der Darstellung Bvettchers wichtiger als der
Charakter geworden. ^

Die Fabel ist bis auf den Schluß recht hübsch und zweckmäßig, wen" mich
nicht gerade originell erfunden. Heinrich Werner ist der Sohn einer armen
Waschsrnu in der Provinz, der sich durch seine Schönheit, sein edles Wesen,
seine große Begabung, sein Rednertalent schon früh auszeichnet. Er genießt
den Schutz des Pfarrers und andrer Honoratioren der Stadt, wird in die
bessern Kreise aufgenommen, muß aber schon hier schmerzlich den Unterschied
von Reich und Arm empfinden. Er wird endlich Setzerlehrling, und sein
guter Lehrer, eben jener Pfarrer, ahnt schon, daß Heinrich so in das Lager
der Sozialdemokratin getrieben werden wird. Heinrich hält es im Heimat-
städtchen nicht lauge ans, er muß nach Berlin, um rascher vorwärts zu kommen.
Und nun ist er unversehens mitten "uter deu Sozinldemokrateu, die sich sofort
seiner litterarische" und rhetorischen Begabung bemächtigen. Werner wird von
ihnen an die Spitze ihres Blattes gestellt; nach seinen ersten Artikeln kommt
er mit der Polizei in Konflikt, wird verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis
verurteilt. Das thut ihm schließlich gut, denn in der Einsamkeit studirt er
fleißig; aber er verbittert sich auch umso eigensinniger gegen die Regierung.
Kaum in Freiheit gesetzt, wird er von de" Svzinldemokraten als Neichstags-
nndidat aufgestellt. Er ist aber eine tiefe Natur mit redlichem Streben nach
Wahrheit und Recht. Er verkehrt mit dem Führer der Sozialdemokraten
und lernt deu reichen Epiknreer, den gewissenlosen, politischen Streber verachten,
^'r erlebt einen Streik, und die rohen Szenen dabei erregen in ihm uur Ab-
!eben. Innerlich ist er von der Sozialdemokratie geschieden, als er die Kan-
^datenrede zu halten hat, bei der ihm die Phrase mit dem Verstand durchgeht,
Und die die Auslösung der Wahlversammlung, Tumult, Straßenkampf, Ver¬
wundung Heinrichs, Spital, Ausweisung, Bettlertum zur Folge hat. Soweit
Wäre alles ganz hübsch, wenn sich auch Heinrich nicht gerade dnrch "Initiative"
"uszeüHmt, Merkwürdigerweise gerät er aber nun in das Netz eines Jesuiten,
''ud troj; ^,den Bildung ist er nicht imstande, sich dnrch ruhige
Zerlegung wieder daraus zu befreien; vielmehr begiebt er sich allen Ernstes
den Weg nach Italien, um in das Jesuitenklaster bei Florenz einzutreten.
^ ist wohl der dümmste seiner Streiche, und es ist nicht zu begreifen, was
^^daher mit diesem Zuge hat andeute" wollen. Doch Wohl nicht den sittlichen
. M der voolssig, nriliwns? oder die objektive Gleichberechtigung des katholisch-
^'suchen Lebensideals mit dein nationaldeutscheu? Klar wird Boettchers
t nicht. Er läßt auch seineu Helden in der That nicht Jesuit ans Ver-


Tendenzromane

(ils Muster vor Augen geschwebt haben. Aber sein Buch darf den Vergleich
mit dem ältern Schriftsteller schon wagen; frischer als dessen letzte Romane,
klarer in der Gesinnung und hübscher in der Komposition als „Was will das
werden?" ist Om et lukorn, jedenfalls. Freilich ist der Politiker stärker als
der Dichter; die Partei ist in der Darstellung Bvettchers wichtiger als der
Charakter geworden. ^

Die Fabel ist bis auf den Schluß recht hübsch und zweckmäßig, wen» mich
nicht gerade originell erfunden. Heinrich Werner ist der Sohn einer armen
Waschsrnu in der Provinz, der sich durch seine Schönheit, sein edles Wesen,
seine große Begabung, sein Rednertalent schon früh auszeichnet. Er genießt
den Schutz des Pfarrers und andrer Honoratioren der Stadt, wird in die
bessern Kreise aufgenommen, muß aber schon hier schmerzlich den Unterschied
von Reich und Arm empfinden. Er wird endlich Setzerlehrling, und sein
guter Lehrer, eben jener Pfarrer, ahnt schon, daß Heinrich so in das Lager
der Sozialdemokratin getrieben werden wird. Heinrich hält es im Heimat-
städtchen nicht lauge ans, er muß nach Berlin, um rascher vorwärts zu kommen.
Und nun ist er unversehens mitten »uter deu Sozinldemokrateu, die sich sofort
seiner litterarische» und rhetorischen Begabung bemächtigen. Werner wird von
ihnen an die Spitze ihres Blattes gestellt; nach seinen ersten Artikeln kommt
er mit der Polizei in Konflikt, wird verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis
verurteilt. Das thut ihm schließlich gut, denn in der Einsamkeit studirt er
fleißig; aber er verbittert sich auch umso eigensinniger gegen die Regierung.
Kaum in Freiheit gesetzt, wird er von de» Svzinldemokraten als Neichstags-
nndidat aufgestellt. Er ist aber eine tiefe Natur mit redlichem Streben nach
Wahrheit und Recht. Er verkehrt mit dem Führer der Sozialdemokraten
und lernt deu reichen Epiknreer, den gewissenlosen, politischen Streber verachten,
^'r erlebt einen Streik, und die rohen Szenen dabei erregen in ihm uur Ab-
!eben. Innerlich ist er von der Sozialdemokratie geschieden, als er die Kan-
^datenrede zu halten hat, bei der ihm die Phrase mit dem Verstand durchgeht,
Und die die Auslösung der Wahlversammlung, Tumult, Straßenkampf, Ver¬
wundung Heinrichs, Spital, Ausweisung, Bettlertum zur Folge hat. Soweit
Wäre alles ganz hübsch, wenn sich auch Heinrich nicht gerade dnrch „Initiative"
"uszeüHmt, Merkwürdigerweise gerät er aber nun in das Netz eines Jesuiten,
''ud troj; ^,den Bildung ist er nicht imstande, sich dnrch ruhige
Zerlegung wieder daraus zu befreien; vielmehr begiebt er sich allen Ernstes
den Weg nach Italien, um in das Jesuitenklaster bei Florenz einzutreten.
^ ist wohl der dümmste seiner Streiche, und es ist nicht zu begreifen, was
^^daher mit diesem Zuge hat andeute» wollen. Doch Wohl nicht den sittlichen
. M der voolssig, nriliwns? oder die objektive Gleichberechtigung des katholisch-
^'suchen Lebensideals mit dein nationaldeutscheu? Klar wird Boettchers
t nicht. Er läßt auch seineu Helden in der That nicht Jesuit ans Ver-


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[0045] Tendenzromane (ils Muster vor Augen geschwebt haben. Aber sein Buch darf den Vergleich mit dem ältern Schriftsteller schon wagen; frischer als dessen letzte Romane, klarer in der Gesinnung und hübscher in der Komposition als „Was will das werden?" ist Om et lukorn, jedenfalls. Freilich ist der Politiker stärker als der Dichter; die Partei ist in der Darstellung Bvettchers wichtiger als der Charakter geworden. ^ Die Fabel ist bis auf den Schluß recht hübsch und zweckmäßig, wen» mich nicht gerade originell erfunden. Heinrich Werner ist der Sohn einer armen Waschsrnu in der Provinz, der sich durch seine Schönheit, sein edles Wesen, seine große Begabung, sein Rednertalent schon früh auszeichnet. Er genießt den Schutz des Pfarrers und andrer Honoratioren der Stadt, wird in die bessern Kreise aufgenommen, muß aber schon hier schmerzlich den Unterschied von Reich und Arm empfinden. Er wird endlich Setzerlehrling, und sein guter Lehrer, eben jener Pfarrer, ahnt schon, daß Heinrich so in das Lager der Sozialdemokratin getrieben werden wird. Heinrich hält es im Heimat- städtchen nicht lauge ans, er muß nach Berlin, um rascher vorwärts zu kommen. Und nun ist er unversehens mitten »uter deu Sozinldemokrateu, die sich sofort seiner litterarische» und rhetorischen Begabung bemächtigen. Werner wird von ihnen an die Spitze ihres Blattes gestellt; nach seinen ersten Artikeln kommt er mit der Polizei in Konflikt, wird verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Das thut ihm schließlich gut, denn in der Einsamkeit studirt er fleißig; aber er verbittert sich auch umso eigensinniger gegen die Regierung. Kaum in Freiheit gesetzt, wird er von de» Svzinldemokraten als Neichstags- nndidat aufgestellt. Er ist aber eine tiefe Natur mit redlichem Streben nach Wahrheit und Recht. Er verkehrt mit dem Führer der Sozialdemokraten und lernt deu reichen Epiknreer, den gewissenlosen, politischen Streber verachten, ^'r erlebt einen Streik, und die rohen Szenen dabei erregen in ihm uur Ab- !eben. Innerlich ist er von der Sozialdemokratie geschieden, als er die Kan- ^datenrede zu halten hat, bei der ihm die Phrase mit dem Verstand durchgeht, Und die die Auslösung der Wahlversammlung, Tumult, Straßenkampf, Ver¬ wundung Heinrichs, Spital, Ausweisung, Bettlertum zur Folge hat. Soweit Wäre alles ganz hübsch, wenn sich auch Heinrich nicht gerade dnrch „Initiative" "uszeüHmt, Merkwürdigerweise gerät er aber nun in das Netz eines Jesuiten, ''ud troj; ^,den Bildung ist er nicht imstande, sich dnrch ruhige Zerlegung wieder daraus zu befreien; vielmehr begiebt er sich allen Ernstes den Weg nach Italien, um in das Jesuitenklaster bei Florenz einzutreten. ^ ist wohl der dümmste seiner Streiche, und es ist nicht zu begreifen, was ^^daher mit diesem Zuge hat andeute» wollen. Doch Wohl nicht den sittlichen . M der voolssig, nriliwns? oder die objektive Gleichberechtigung des katholisch- ^'suchen Lebensideals mit dein nationaldeutscheu? Klar wird Boettchers t nicht. Er läßt auch seineu Helden in der That nicht Jesuit ans Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/45>, abgerufen am 28.09.2024.