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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Parlamentarisches ans Österreich

Reichsgericht. Sollte, sagten sie, dessen Spruch gegen die polnischen Ansprüche
ausfallen, so werde man, wie immer, Billigkeit walten lassen. Doch die Polen
müssen von der Unanfechtbarkeit ihres Rechtes nicht so durchdrungen sein, wie
sie versichern, und die Unbilligkeit in der Hand dünkt ihnen sicherer als die
Billigkeit in der Ferne. Genug, sie setzten im Verein mit Tschechen (alten und
jungen), Slowenen, Südtirolern -- die sich damit den Anspruch auf gute
Gegeildienste erwarben -- die Annahme ihrer Forderung durch.

Alle Fraktionen der Linken stimmten geschlossen dagegen, mit ihnen ein
Teil des Klubs der Deutschklerikalen, der Rest enthielt sich der Abstimmung:
die Herren hatten nicht den Mut, zu der neuen schweren Belastung der deutschen
Bewohner der Alpenländer, deren Vertreter sie sind, ja zu sagen, wagten aber
auch nicht, sich gegen die Rechte aufzulehnen. Es ist nicht unmöglich, daß
die ganze Partei in die Brüche geht, da die Bauern überhaupt kaum verstehen
werden, weshalb sie für die gcilizische Grundentlastung zahlen sollen, umso
weniger als ein gut katholischer konservativer Mann, der Abgeordnete Lien-
bacher, entschiedner als irgend ein Liberaler gegen die Zumutung aufgetreten
ist. Die Linke spendete ihm dafür lebhaftesten Beifall; ob sie endlich einsehen
wird, daß es eine verkehrte Politik ist, so viele Deutschen darum als Feinde
zu behandeln, weil sie konservativ und kirchlich gesinnt sind, das ist mehr als
fraglich.

Sind sie doch naiv genug, darüber entrüstet zu sein, daß die polnischen
Redner sich nicht begnügten, ihren Schein vorzuweisen, sondern frischweg be¬
haupteten, ihr vorher blühendes, glückliches Land sei dnrch das österreichische
Beamtentum zu Grunde gerichtet worden. Das haben sie seit so langer Zeit
und so oft erzählt, daß sie es vielleicht endlich selbst glauben. In den Sitzungs¬
berichten des konstituirenden Reichstages von 1848 sind Reden zu finden, die
dein jetzigen Hauptwortführer der Partei, dem Herrn v. Jaworski, als Konzept
gedient haben könnten. Damals schmähte ein Graf Potocki die Beamten, die
sich herausgenommen hatten, die freie Bewegung des polnischen Adels im Kon-
spiriren und im Bedrücker des Landvolks zu stören, versicherte zugleich, daß
die Polen es mit Österreich ehrlich meinten, wenn sie auch "ihre Zukunft nicht
aus dem Auge verlören." Damals nahm der Minister des Innern, der sanfte
Pillersdorf, wenigstens seine Beamten in Schutz, indem er geltend machte, sie
seien anders als die frühern. Diesmal blieb es der deutschen Opposition über¬
lassen, die Ehre der Angegriffenen zu verteidigen, und erst nachdem Lienbacher
im Abgeordnetenhause, der Geschichtschreiber Arneth und der ältere Pierer im
Herrenhause dem Obmann des Pvlenklubs scharf zuleide gegangen waren und
nachgewiesen hatten, daß erst seit dem Einzuge der verunglimpften deutschen und
tschechischen Beamten (unter denen es natürlich auch räudige Schafe gegeben
haben wird) der galizische Bauer zu dem Bewußtsein seiner Menschenrechte
gekommen ist, als man in Erinnerung gebracht hatte, daß die ganz allgemein


Parlamentarisches ans Österreich

Reichsgericht. Sollte, sagten sie, dessen Spruch gegen die polnischen Ansprüche
ausfallen, so werde man, wie immer, Billigkeit walten lassen. Doch die Polen
müssen von der Unanfechtbarkeit ihres Rechtes nicht so durchdrungen sein, wie
sie versichern, und die Unbilligkeit in der Hand dünkt ihnen sicherer als die
Billigkeit in der Ferne. Genug, sie setzten im Verein mit Tschechen (alten und
jungen), Slowenen, Südtirolern — die sich damit den Anspruch auf gute
Gegeildienste erwarben — die Annahme ihrer Forderung durch.

Alle Fraktionen der Linken stimmten geschlossen dagegen, mit ihnen ein
Teil des Klubs der Deutschklerikalen, der Rest enthielt sich der Abstimmung:
die Herren hatten nicht den Mut, zu der neuen schweren Belastung der deutschen
Bewohner der Alpenländer, deren Vertreter sie sind, ja zu sagen, wagten aber
auch nicht, sich gegen die Rechte aufzulehnen. Es ist nicht unmöglich, daß
die ganze Partei in die Brüche geht, da die Bauern überhaupt kaum verstehen
werden, weshalb sie für die gcilizische Grundentlastung zahlen sollen, umso
weniger als ein gut katholischer konservativer Mann, der Abgeordnete Lien-
bacher, entschiedner als irgend ein Liberaler gegen die Zumutung aufgetreten
ist. Die Linke spendete ihm dafür lebhaftesten Beifall; ob sie endlich einsehen
wird, daß es eine verkehrte Politik ist, so viele Deutschen darum als Feinde
zu behandeln, weil sie konservativ und kirchlich gesinnt sind, das ist mehr als
fraglich.

Sind sie doch naiv genug, darüber entrüstet zu sein, daß die polnischen
Redner sich nicht begnügten, ihren Schein vorzuweisen, sondern frischweg be¬
haupteten, ihr vorher blühendes, glückliches Land sei dnrch das österreichische
Beamtentum zu Grunde gerichtet worden. Das haben sie seit so langer Zeit
und so oft erzählt, daß sie es vielleicht endlich selbst glauben. In den Sitzungs¬
berichten des konstituirenden Reichstages von 1848 sind Reden zu finden, die
dein jetzigen Hauptwortführer der Partei, dem Herrn v. Jaworski, als Konzept
gedient haben könnten. Damals schmähte ein Graf Potocki die Beamten, die
sich herausgenommen hatten, die freie Bewegung des polnischen Adels im Kon-
spiriren und im Bedrücker des Landvolks zu stören, versicherte zugleich, daß
die Polen es mit Österreich ehrlich meinten, wenn sie auch „ihre Zukunft nicht
aus dem Auge verlören." Damals nahm der Minister des Innern, der sanfte
Pillersdorf, wenigstens seine Beamten in Schutz, indem er geltend machte, sie
seien anders als die frühern. Diesmal blieb es der deutschen Opposition über¬
lassen, die Ehre der Angegriffenen zu verteidigen, und erst nachdem Lienbacher
im Abgeordnetenhause, der Geschichtschreiber Arneth und der ältere Pierer im
Herrenhause dem Obmann des Pvlenklubs scharf zuleide gegangen waren und
nachgewiesen hatten, daß erst seit dem Einzuge der verunglimpften deutschen und
tschechischen Beamten (unter denen es natürlich auch räudige Schafe gegeben
haben wird) der galizische Bauer zu dem Bewußtsein seiner Menschenrechte
gekommen ist, als man in Erinnerung gebracht hatte, daß die ganz allgemein


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[0443] Parlamentarisches ans Österreich Reichsgericht. Sollte, sagten sie, dessen Spruch gegen die polnischen Ansprüche ausfallen, so werde man, wie immer, Billigkeit walten lassen. Doch die Polen müssen von der Unanfechtbarkeit ihres Rechtes nicht so durchdrungen sein, wie sie versichern, und die Unbilligkeit in der Hand dünkt ihnen sicherer als die Billigkeit in der Ferne. Genug, sie setzten im Verein mit Tschechen (alten und jungen), Slowenen, Südtirolern — die sich damit den Anspruch auf gute Gegeildienste erwarben — die Annahme ihrer Forderung durch. Alle Fraktionen der Linken stimmten geschlossen dagegen, mit ihnen ein Teil des Klubs der Deutschklerikalen, der Rest enthielt sich der Abstimmung: die Herren hatten nicht den Mut, zu der neuen schweren Belastung der deutschen Bewohner der Alpenländer, deren Vertreter sie sind, ja zu sagen, wagten aber auch nicht, sich gegen die Rechte aufzulehnen. Es ist nicht unmöglich, daß die ganze Partei in die Brüche geht, da die Bauern überhaupt kaum verstehen werden, weshalb sie für die gcilizische Grundentlastung zahlen sollen, umso weniger als ein gut katholischer konservativer Mann, der Abgeordnete Lien- bacher, entschiedner als irgend ein Liberaler gegen die Zumutung aufgetreten ist. Die Linke spendete ihm dafür lebhaftesten Beifall; ob sie endlich einsehen wird, daß es eine verkehrte Politik ist, so viele Deutschen darum als Feinde zu behandeln, weil sie konservativ und kirchlich gesinnt sind, das ist mehr als fraglich. Sind sie doch naiv genug, darüber entrüstet zu sein, daß die polnischen Redner sich nicht begnügten, ihren Schein vorzuweisen, sondern frischweg be¬ haupteten, ihr vorher blühendes, glückliches Land sei dnrch das österreichische Beamtentum zu Grunde gerichtet worden. Das haben sie seit so langer Zeit und so oft erzählt, daß sie es vielleicht endlich selbst glauben. In den Sitzungs¬ berichten des konstituirenden Reichstages von 1848 sind Reden zu finden, die dein jetzigen Hauptwortführer der Partei, dem Herrn v. Jaworski, als Konzept gedient haben könnten. Damals schmähte ein Graf Potocki die Beamten, die sich herausgenommen hatten, die freie Bewegung des polnischen Adels im Kon- spiriren und im Bedrücker des Landvolks zu stören, versicherte zugleich, daß die Polen es mit Österreich ehrlich meinten, wenn sie auch „ihre Zukunft nicht aus dem Auge verlören." Damals nahm der Minister des Innern, der sanfte Pillersdorf, wenigstens seine Beamten in Schutz, indem er geltend machte, sie seien anders als die frühern. Diesmal blieb es der deutschen Opposition über¬ lassen, die Ehre der Angegriffenen zu verteidigen, und erst nachdem Lienbacher im Abgeordnetenhause, der Geschichtschreiber Arneth und der ältere Pierer im Herrenhause dem Obmann des Pvlenklubs scharf zuleide gegangen waren und nachgewiesen hatten, daß erst seit dem Einzuge der verunglimpften deutschen und tschechischen Beamten (unter denen es natürlich auch räudige Schafe gegeben haben wird) der galizische Bauer zu dem Bewußtsein seiner Menschenrechte gekommen ist, als man in Erinnerung gebracht hatte, daß die ganz allgemein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/443>, abgerufen am 21.06.2024.