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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Parlamentarisches aus Österreich

Fremde u. s. w. eine neue Note, und die Behörden thaten ein übriges, indem
sie jede Besprechung der vereinbarten Bestimmungen, mündliche wie gedruckte,
verhinderten. So wurde von neuem den Alttschechen solche Angst um ihre
Mandate eingejagt, daß sie sich durch allerlei Winkelzüge von der Erfüllung ihrer
Zusage loszuschrauben oder doch wenigstens die Entscheidung durch den Landtag
bis zum Herbste hinauszuschieben versuchten. Bor allein ist es ihnen lästig, daß
an Stelle des Justizministers Praschak, ihres Parteigenossen, der sich durch
Proklamirung des böhmischen Staatsrechtes im Abgeordnetenhause berühmt
gemacht hat, jetzt Graf Schönborn steht, der, in dem Rufe hvchkirchlicher und
tschechensreuudlicher Gesinnung ins Amt gelangt, in diesem sich wirklich als
Vertreter des Rechts ohne Rücksicht auf Parteifreundschaft gezeigt hat. Die
gänzliche Verschleppung der Angelegenheit ist den Tschechen nicht gelungen, der
Landtag berät sie, aber wie sie aus den Verhandlungen hervorgehen wird,
läßt sich noch keineswegs sagen.

Und zum Schlüsse des Reichsrates wurde den Deutschen uoch nachdrücklich
eingeprägt, wie sehr sie sich getäuscht hatten, als sie -- zum wievieltenmal! --
den Zerfall der Mehrheit verkündeten. Die schon oft verhandelte Frage, wer
die Entschädigung für die Aufhebung der Robot in Galizien zu leisten habe,
das Kronland oder das Reich, wurde "glücklich" aus der Welt geschafft, d. h.
das Reich übernimmt die Kleinigkeit von 196 Millionen Gulden der galizischen
Grundentlastung aus seine Rechnung, während die übrigen Länder die ent¬
sprechenden Lasten selbst zu tragen haben. Das klingt unglaublich, aber die
galizische Grundentlastung hat allerdings ihre eigne Geschichte, die nur nicht
ganz so aussieht, wie die Polen mit gewohnter Unbefangenheit sie darstellen.
Bekanntlich war im Jahre 1846 der Schlachta in Galizien der Versuch, die
Landbevölkerung in den Aufstand hineinzuziehen, sehr übel bekommen, und daher
war zur Zeit des Völkerfrühlings die Besorgnis nicht unberechtigt, der Bauer
könnte die neue Freiheit in seiner Art zur Wahrheit machen wollen. Erklärte
man ihn aus eignem Antriebe frei auf seiner Scholle, so war die Möglichkeit
gegeben, den Feind in einen Verbündeten zu verwandeln und mit dessen Hilfe
die österreichische Herrschaft abzuschütteln. So klug war jedoch auch die Re¬
gierung; Graf Stadion, von dem später die Polen und deren deutsche Nachbeter
aufbrachten, er habe die ruthenische Nationalität "erfunden," kam jenen zuvor
und überbot sie auch gleich, indem er in dem Befreiungspatent vom 17. April
dem Kaiser die Leistung der Entschädigung durch den Staat versprechen ließ.
Darauf fußen nun die Polen und ihre Freunde. Aber das Patent ist an¬
fechtbar; als es erlassen wurde, war Österreich wenigstens dem. Namen nach
schon ein konstitutioneller Staat, das Versprechen ist später, wenn nicht formell,
doch thatsächlich außer Kraft gesetzt worden.

Immerhin bleibt die Rechtsfrage streitig. Das gaben auch die deutschen
Abgeordneten zu, und deshalb beantragten sie deren Entscheidung durch das


Parlamentarisches aus Österreich

Fremde u. s. w. eine neue Note, und die Behörden thaten ein übriges, indem
sie jede Besprechung der vereinbarten Bestimmungen, mündliche wie gedruckte,
verhinderten. So wurde von neuem den Alttschechen solche Angst um ihre
Mandate eingejagt, daß sie sich durch allerlei Winkelzüge von der Erfüllung ihrer
Zusage loszuschrauben oder doch wenigstens die Entscheidung durch den Landtag
bis zum Herbste hinauszuschieben versuchten. Bor allein ist es ihnen lästig, daß
an Stelle des Justizministers Praschak, ihres Parteigenossen, der sich durch
Proklamirung des böhmischen Staatsrechtes im Abgeordnetenhause berühmt
gemacht hat, jetzt Graf Schönborn steht, der, in dem Rufe hvchkirchlicher und
tschechensreuudlicher Gesinnung ins Amt gelangt, in diesem sich wirklich als
Vertreter des Rechts ohne Rücksicht auf Parteifreundschaft gezeigt hat. Die
gänzliche Verschleppung der Angelegenheit ist den Tschechen nicht gelungen, der
Landtag berät sie, aber wie sie aus den Verhandlungen hervorgehen wird,
läßt sich noch keineswegs sagen.

Und zum Schlüsse des Reichsrates wurde den Deutschen uoch nachdrücklich
eingeprägt, wie sehr sie sich getäuscht hatten, als sie — zum wievieltenmal! —
den Zerfall der Mehrheit verkündeten. Die schon oft verhandelte Frage, wer
die Entschädigung für die Aufhebung der Robot in Galizien zu leisten habe,
das Kronland oder das Reich, wurde „glücklich" aus der Welt geschafft, d. h.
das Reich übernimmt die Kleinigkeit von 196 Millionen Gulden der galizischen
Grundentlastung aus seine Rechnung, während die übrigen Länder die ent¬
sprechenden Lasten selbst zu tragen haben. Das klingt unglaublich, aber die
galizische Grundentlastung hat allerdings ihre eigne Geschichte, die nur nicht
ganz so aussieht, wie die Polen mit gewohnter Unbefangenheit sie darstellen.
Bekanntlich war im Jahre 1846 der Schlachta in Galizien der Versuch, die
Landbevölkerung in den Aufstand hineinzuziehen, sehr übel bekommen, und daher
war zur Zeit des Völkerfrühlings die Besorgnis nicht unberechtigt, der Bauer
könnte die neue Freiheit in seiner Art zur Wahrheit machen wollen. Erklärte
man ihn aus eignem Antriebe frei auf seiner Scholle, so war die Möglichkeit
gegeben, den Feind in einen Verbündeten zu verwandeln und mit dessen Hilfe
die österreichische Herrschaft abzuschütteln. So klug war jedoch auch die Re¬
gierung; Graf Stadion, von dem später die Polen und deren deutsche Nachbeter
aufbrachten, er habe die ruthenische Nationalität „erfunden," kam jenen zuvor
und überbot sie auch gleich, indem er in dem Befreiungspatent vom 17. April
dem Kaiser die Leistung der Entschädigung durch den Staat versprechen ließ.
Darauf fußen nun die Polen und ihre Freunde. Aber das Patent ist an¬
fechtbar; als es erlassen wurde, war Österreich wenigstens dem. Namen nach
schon ein konstitutioneller Staat, das Versprechen ist später, wenn nicht formell,
doch thatsächlich außer Kraft gesetzt worden.

Immerhin bleibt die Rechtsfrage streitig. Das gaben auch die deutschen
Abgeordneten zu, und deshalb beantragten sie deren Entscheidung durch das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/442>, abgerufen am 27.12.2024.