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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Vertrauen, dnß die Leute verständig sein und sich selbst regieren würden. Wer
bleibt nun übrig? Der Bürgermeister ist Parteimann und Stadtdiplomat.
Er hat die schwere Aufgabe, sein Werk durch die Klippen der Stndtverordneten-
beschlüsse hindurch zu steuern, und zwar so, daß er Aussicht hat, nach zwölf
Jahren wiedergewählt zu werdeu. Der Landrat muß sich sehr vorsehen, wie
er mit seinem Kreistage und mit seinen querköpfigen Bauern auskommt, ohne
seinem Ansehen etwas zu vergeben. Der Schulze -- du lieber Gott, der
Schulze! Wen wählt man zum Schulzen? Sicher nicht den, von dem zu er¬
warten ist, daß er auf gute Ordnung halten werde. Jede Gemeinde hat den
Schulzen, den sie verdient; darum haben viele Gemeinden recht schlechte Schulzen.
Es ist ein schwerer Fehler, daß der Schulze von der Gemeinde gewählt wird.
Ein gewählter Mann, ein abhängiger Mann. Der Amtsvorsteher endlich ist
ein Beamter, der seine Geschäfte im Nebenamte verwaltet, aber dafür so be¬
zahlt wird, daß man für je zwei Amtsvorsteher einen solchen im Hauptamte
haben könnte, was ein großer Gewinn sein würde. Schon die Ungleichmäßig-
keit der polizeilichen Verfügungen in kleinen neben einander liegenden Bezirken
wirkt auf das Rechtsgefühl des Volkes ungünstig. Hier herrscht ein Amts¬
vorsteher, vielleicht ein gewesener Offizier oder so etwas, als Pascha, gleich
daneben läßt Herr von Waschlappsky die Geschäfte von einer Schreiberseele
besorgen, und daneben sitzt ein Bauer, der seinen Vorteil kennt, und dem es
nicht darauf ankommt, die Schulen des Scharlachs wegen zu schließen, um
Kinder zum Rübenziehen zu haben.

Aber die Selbstverwaltung hat sich doch durchaus bewährt. Ja, von
oben besehen. Die Maschine geht; aber welche Gewähr für Dauerhaftigkeit
giebt sie? Wo die gute alte Sitte noch nicht durchbrochen ist, da ist keine
Not, da hat man friedliche Gemeinden und eine patriarchalische Verwaltung.
Unter solchen Umstünden geht es bei jeder Staatsverwaltung und auch ohne
sie; wo es aber darauf ankommt, der hereinbrechenden Verwilderung Wider¬
stand zu leisten, da erweist sich die Selbstverwaltung als wehr- und hilflos.
Eine höchst optimistische Voraussetzung der Selbstverwaltung ist die Annahme,
daß die Menschen in ihrer großen Menge verständig und mündig seien. Die
große Menge schickt sich eben an, den Gegenbeweis zu liefern.

Hierzu kommt noch ein Übelstand, der nicht in den Gesetzen selbst liegt,
aber doch ihre natürliche Folge ist: die obern Instanzen saugen das Ansehen
der untern auf. Die obern Instanzen haben neben sich beratende Körperschaften,
die ihnen einen Teil der früher unbeschränkt ausgeübten Macht abnehmen. Da
es nur ein menschlicher und natürlicher Wunsch ist, zu herrschen, so holen sich
die höhern Instanzen die verloren gegangene Macht von den untern, deren
Bestimmungsrecht sie beschränken. Und so gehts weiter, sodaß der ausführende
Beamte eine verdächtige Ähnlichkeit mit einem Hampelmann gewinnt, der Hand
und Fuß nur regen darf, wenn von fremder Hand an dem Faden gezogen


Vertrauen, dnß die Leute verständig sein und sich selbst regieren würden. Wer
bleibt nun übrig? Der Bürgermeister ist Parteimann und Stadtdiplomat.
Er hat die schwere Aufgabe, sein Werk durch die Klippen der Stndtverordneten-
beschlüsse hindurch zu steuern, und zwar so, daß er Aussicht hat, nach zwölf
Jahren wiedergewählt zu werdeu. Der Landrat muß sich sehr vorsehen, wie
er mit seinem Kreistage und mit seinen querköpfigen Bauern auskommt, ohne
seinem Ansehen etwas zu vergeben. Der Schulze — du lieber Gott, der
Schulze! Wen wählt man zum Schulzen? Sicher nicht den, von dem zu er¬
warten ist, daß er auf gute Ordnung halten werde. Jede Gemeinde hat den
Schulzen, den sie verdient; darum haben viele Gemeinden recht schlechte Schulzen.
Es ist ein schwerer Fehler, daß der Schulze von der Gemeinde gewählt wird.
Ein gewählter Mann, ein abhängiger Mann. Der Amtsvorsteher endlich ist
ein Beamter, der seine Geschäfte im Nebenamte verwaltet, aber dafür so be¬
zahlt wird, daß man für je zwei Amtsvorsteher einen solchen im Hauptamte
haben könnte, was ein großer Gewinn sein würde. Schon die Ungleichmäßig-
keit der polizeilichen Verfügungen in kleinen neben einander liegenden Bezirken
wirkt auf das Rechtsgefühl des Volkes ungünstig. Hier herrscht ein Amts¬
vorsteher, vielleicht ein gewesener Offizier oder so etwas, als Pascha, gleich
daneben läßt Herr von Waschlappsky die Geschäfte von einer Schreiberseele
besorgen, und daneben sitzt ein Bauer, der seinen Vorteil kennt, und dem es
nicht darauf ankommt, die Schulen des Scharlachs wegen zu schließen, um
Kinder zum Rübenziehen zu haben.

Aber die Selbstverwaltung hat sich doch durchaus bewährt. Ja, von
oben besehen. Die Maschine geht; aber welche Gewähr für Dauerhaftigkeit
giebt sie? Wo die gute alte Sitte noch nicht durchbrochen ist, da ist keine
Not, da hat man friedliche Gemeinden und eine patriarchalische Verwaltung.
Unter solchen Umstünden geht es bei jeder Staatsverwaltung und auch ohne
sie; wo es aber darauf ankommt, der hereinbrechenden Verwilderung Wider¬
stand zu leisten, da erweist sich die Selbstverwaltung als wehr- und hilflos.
Eine höchst optimistische Voraussetzung der Selbstverwaltung ist die Annahme,
daß die Menschen in ihrer großen Menge verständig und mündig seien. Die
große Menge schickt sich eben an, den Gegenbeweis zu liefern.

Hierzu kommt noch ein Übelstand, der nicht in den Gesetzen selbst liegt,
aber doch ihre natürliche Folge ist: die obern Instanzen saugen das Ansehen
der untern auf. Die obern Instanzen haben neben sich beratende Körperschaften,
die ihnen einen Teil der früher unbeschränkt ausgeübten Macht abnehmen. Da
es nur ein menschlicher und natürlicher Wunsch ist, zu herrschen, so holen sich
die höhern Instanzen die verloren gegangene Macht von den untern, deren
Bestimmungsrecht sie beschränken. Und so gehts weiter, sodaß der ausführende
Beamte eine verdächtige Ähnlichkeit mit einem Hampelmann gewinnt, der Hand
und Fuß nur regen darf, wenn von fremder Hand an dem Faden gezogen


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[0396] Vertrauen, dnß die Leute verständig sein und sich selbst regieren würden. Wer bleibt nun übrig? Der Bürgermeister ist Parteimann und Stadtdiplomat. Er hat die schwere Aufgabe, sein Werk durch die Klippen der Stndtverordneten- beschlüsse hindurch zu steuern, und zwar so, daß er Aussicht hat, nach zwölf Jahren wiedergewählt zu werdeu. Der Landrat muß sich sehr vorsehen, wie er mit seinem Kreistage und mit seinen querköpfigen Bauern auskommt, ohne seinem Ansehen etwas zu vergeben. Der Schulze — du lieber Gott, der Schulze! Wen wählt man zum Schulzen? Sicher nicht den, von dem zu er¬ warten ist, daß er auf gute Ordnung halten werde. Jede Gemeinde hat den Schulzen, den sie verdient; darum haben viele Gemeinden recht schlechte Schulzen. Es ist ein schwerer Fehler, daß der Schulze von der Gemeinde gewählt wird. Ein gewählter Mann, ein abhängiger Mann. Der Amtsvorsteher endlich ist ein Beamter, der seine Geschäfte im Nebenamte verwaltet, aber dafür so be¬ zahlt wird, daß man für je zwei Amtsvorsteher einen solchen im Hauptamte haben könnte, was ein großer Gewinn sein würde. Schon die Ungleichmäßig- keit der polizeilichen Verfügungen in kleinen neben einander liegenden Bezirken wirkt auf das Rechtsgefühl des Volkes ungünstig. Hier herrscht ein Amts¬ vorsteher, vielleicht ein gewesener Offizier oder so etwas, als Pascha, gleich daneben läßt Herr von Waschlappsky die Geschäfte von einer Schreiberseele besorgen, und daneben sitzt ein Bauer, der seinen Vorteil kennt, und dem es nicht darauf ankommt, die Schulen des Scharlachs wegen zu schließen, um Kinder zum Rübenziehen zu haben. Aber die Selbstverwaltung hat sich doch durchaus bewährt. Ja, von oben besehen. Die Maschine geht; aber welche Gewähr für Dauerhaftigkeit giebt sie? Wo die gute alte Sitte noch nicht durchbrochen ist, da ist keine Not, da hat man friedliche Gemeinden und eine patriarchalische Verwaltung. Unter solchen Umstünden geht es bei jeder Staatsverwaltung und auch ohne sie; wo es aber darauf ankommt, der hereinbrechenden Verwilderung Wider¬ stand zu leisten, da erweist sich die Selbstverwaltung als wehr- und hilflos. Eine höchst optimistische Voraussetzung der Selbstverwaltung ist die Annahme, daß die Menschen in ihrer großen Menge verständig und mündig seien. Die große Menge schickt sich eben an, den Gegenbeweis zu liefern. Hierzu kommt noch ein Übelstand, der nicht in den Gesetzen selbst liegt, aber doch ihre natürliche Folge ist: die obern Instanzen saugen das Ansehen der untern auf. Die obern Instanzen haben neben sich beratende Körperschaften, die ihnen einen Teil der früher unbeschränkt ausgeübten Macht abnehmen. Da es nur ein menschlicher und natürlicher Wunsch ist, zu herrschen, so holen sich die höhern Instanzen die verloren gegangene Macht von den untern, deren Bestimmungsrecht sie beschränken. Und so gehts weiter, sodaß der ausführende Beamte eine verdächtige Ähnlichkeit mit einem Hampelmann gewinnt, der Hand und Fuß nur regen darf, wenn von fremder Hand an dem Faden gezogen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/396>, abgerufen am 28.12.2024.