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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Ans der Stadt des Reichskammergerichts

Oft war der Erzmarschall beschäftigt, die bei dem Gericht nusbrechenden
Rangstreitigkeiten zu entscheiden. Für die Hauptfälle hatte allerdings die
Reichskammergerichtsvrdnuug 1495 Sorge getroffen, indem sie die Reihenfolge
der Assessoren vorschrieb. Es sollte nämlich unter ihnen, da sie als Ver¬
treter ihrer Herren angesehen wurden, dieselbe Rangordnung herrschen wie
unter diesen; daher nahmen die Präsentaten der geistlichen Herren die erste
Stelle ein, dann kamen die der weltlichen Kurfürsten, alle in ganz bestimmter
Reihenfolge; diesen folgten der kaiserliche, dann die von den Kreisen des Reichs
präsentirten. Dennoch war ewiger Unfriede, und die Mahnung Kaiser Karls VI.,
daß er sowohl als das ganze Reich von ihnen als den obersten Richtern das zur
Nachahmung reizende Beispiel der Eintracht, der Verträglichkeit und der Billigkeit
erwarte, fiel auf unfruchtbaren Boden. Ein Vorfall ist besonders bezeichnend.

Es handelte sich darum, einen von zwei, kurz nach einander präsentirten
Kandidaten zum Beisitzer zu wählen: den Freiherrn von Ow -- den der
Volkswitz nachmals wegen der dnrch ihn hervorgerufenen Ereignisse den Frei¬
herrn von O weh nannte -- oder einen Grafen von Nytz. Den einen be¬
günstigte der Präsident Ingelheim, den andern der Präsident Graf von Solms.
Nun war die Stimmung gegen den erstgeuaniiteil Präsidenten keine freundliche:
mau warf ihn: vor, daß er das Ansehen und die Achtung der Kammergerichts¬
beisitzer herabsetze und kränke, sich bei gottesdienstlichen Prozessionen, Leichen-
begängnissen, im Gehen, Fahren und selbst in der Kirche von den Assessoren
abzusondern suche; das gehe so weit, daß bei einem Leichenbegängnis die Jngel-
heimschen Lakaien sich den Beisitzern hätten vordrängen müssen. Diese Vor¬
würfe faßte man in einem Schriftstück zusammen, das dem Präsidenten über¬
geben wurde. Der Angegriffene erwirkte einen Widerruf der Schrift in
öffentlicher Ratsoersammlnng und drohte, daß er sich gegen den von Ow, der
"ein Jntriguenmacher und Lügner" sei, und "andre Bärenhäuter bei dem
(!0>to"'lo <ZNNvra.Il, die mit unter der Decke lügen," Rache verschaffen werde.
Wie man sieht, war der Ton schon recht fein geworden. Aber es sollte noch
besser kommen. Am Tage der vier gekrönten Kalenderheiligen wurde in der
Stadt ein gedrucktes, lateinisches Gedicht verbreitet, das die eheliche Treue
einzelner Assessorenfrauen in sehr bedenklichem Lichte erscheinen ließ. Es lautete
im Eingang:


Huci-tuor ooog ooron^eorum loses romirrunt,
Hustuor vn iotMoin vorouti, Ksoo loses, oslodrimt.

Ein andrer, der Assessor von Phrk, veröffentlichte verschiedne in dem Streit
erlassene Verfügungen des Kaisers und des Kammerrichters und fügte diese"
auf der Kehrseite des Titelblattes allerlei anzügliche Bibelsprüche bei, vor allen
den Psalmsprnch: "Große Farren haben mich umgeben, fette Ochsen haben mich
umringt; ihren Rachen sperren sie auf wider mich wie ein brüllender und
reißender Löwe."


Ans der Stadt des Reichskammergerichts

Oft war der Erzmarschall beschäftigt, die bei dem Gericht nusbrechenden
Rangstreitigkeiten zu entscheiden. Für die Hauptfälle hatte allerdings die
Reichskammergerichtsvrdnuug 1495 Sorge getroffen, indem sie die Reihenfolge
der Assessoren vorschrieb. Es sollte nämlich unter ihnen, da sie als Ver¬
treter ihrer Herren angesehen wurden, dieselbe Rangordnung herrschen wie
unter diesen; daher nahmen die Präsentaten der geistlichen Herren die erste
Stelle ein, dann kamen die der weltlichen Kurfürsten, alle in ganz bestimmter
Reihenfolge; diesen folgten der kaiserliche, dann die von den Kreisen des Reichs
präsentirten. Dennoch war ewiger Unfriede, und die Mahnung Kaiser Karls VI.,
daß er sowohl als das ganze Reich von ihnen als den obersten Richtern das zur
Nachahmung reizende Beispiel der Eintracht, der Verträglichkeit und der Billigkeit
erwarte, fiel auf unfruchtbaren Boden. Ein Vorfall ist besonders bezeichnend.

Es handelte sich darum, einen von zwei, kurz nach einander präsentirten
Kandidaten zum Beisitzer zu wählen: den Freiherrn von Ow — den der
Volkswitz nachmals wegen der dnrch ihn hervorgerufenen Ereignisse den Frei¬
herrn von O weh nannte — oder einen Grafen von Nytz. Den einen be¬
günstigte der Präsident Ingelheim, den andern der Präsident Graf von Solms.
Nun war die Stimmung gegen den erstgeuaniiteil Präsidenten keine freundliche:
mau warf ihn: vor, daß er das Ansehen und die Achtung der Kammergerichts¬
beisitzer herabsetze und kränke, sich bei gottesdienstlichen Prozessionen, Leichen-
begängnissen, im Gehen, Fahren und selbst in der Kirche von den Assessoren
abzusondern suche; das gehe so weit, daß bei einem Leichenbegängnis die Jngel-
heimschen Lakaien sich den Beisitzern hätten vordrängen müssen. Diese Vor¬
würfe faßte man in einem Schriftstück zusammen, das dem Präsidenten über¬
geben wurde. Der Angegriffene erwirkte einen Widerruf der Schrift in
öffentlicher Ratsoersammlnng und drohte, daß er sich gegen den von Ow, der
„ein Jntriguenmacher und Lügner" sei, und „andre Bärenhäuter bei dem
(!0>to»'lo <ZNNvra.Il, die mit unter der Decke lügen," Rache verschaffen werde.
Wie man sieht, war der Ton schon recht fein geworden. Aber es sollte noch
besser kommen. Am Tage der vier gekrönten Kalenderheiligen wurde in der
Stadt ein gedrucktes, lateinisches Gedicht verbreitet, das die eheliche Treue
einzelner Assessorenfrauen in sehr bedenklichem Lichte erscheinen ließ. Es lautete
im Eingang:


Huci-tuor ooog ooron^eorum loses romirrunt,
Hustuor vn iotMoin vorouti, Ksoo loses, oslodrimt.

Ein andrer, der Assessor von Phrk, veröffentlichte verschiedne in dem Streit
erlassene Verfügungen des Kaisers und des Kammerrichters und fügte diese»
auf der Kehrseite des Titelblattes allerlei anzügliche Bibelsprüche bei, vor allen
den Psalmsprnch: „Große Farren haben mich umgeben, fette Ochsen haben mich
umringt; ihren Rachen sperren sie auf wider mich wie ein brüllender und
reißender Löwe."


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[0384] Ans der Stadt des Reichskammergerichts Oft war der Erzmarschall beschäftigt, die bei dem Gericht nusbrechenden Rangstreitigkeiten zu entscheiden. Für die Hauptfälle hatte allerdings die Reichskammergerichtsvrdnuug 1495 Sorge getroffen, indem sie die Reihenfolge der Assessoren vorschrieb. Es sollte nämlich unter ihnen, da sie als Ver¬ treter ihrer Herren angesehen wurden, dieselbe Rangordnung herrschen wie unter diesen; daher nahmen die Präsentaten der geistlichen Herren die erste Stelle ein, dann kamen die der weltlichen Kurfürsten, alle in ganz bestimmter Reihenfolge; diesen folgten der kaiserliche, dann die von den Kreisen des Reichs präsentirten. Dennoch war ewiger Unfriede, und die Mahnung Kaiser Karls VI., daß er sowohl als das ganze Reich von ihnen als den obersten Richtern das zur Nachahmung reizende Beispiel der Eintracht, der Verträglichkeit und der Billigkeit erwarte, fiel auf unfruchtbaren Boden. Ein Vorfall ist besonders bezeichnend. Es handelte sich darum, einen von zwei, kurz nach einander präsentirten Kandidaten zum Beisitzer zu wählen: den Freiherrn von Ow — den der Volkswitz nachmals wegen der dnrch ihn hervorgerufenen Ereignisse den Frei¬ herrn von O weh nannte — oder einen Grafen von Nytz. Den einen be¬ günstigte der Präsident Ingelheim, den andern der Präsident Graf von Solms. Nun war die Stimmung gegen den erstgeuaniiteil Präsidenten keine freundliche: mau warf ihn: vor, daß er das Ansehen und die Achtung der Kammergerichts¬ beisitzer herabsetze und kränke, sich bei gottesdienstlichen Prozessionen, Leichen- begängnissen, im Gehen, Fahren und selbst in der Kirche von den Assessoren abzusondern suche; das gehe so weit, daß bei einem Leichenbegängnis die Jngel- heimschen Lakaien sich den Beisitzern hätten vordrängen müssen. Diese Vor¬ würfe faßte man in einem Schriftstück zusammen, das dem Präsidenten über¬ geben wurde. Der Angegriffene erwirkte einen Widerruf der Schrift in öffentlicher Ratsoersammlnng und drohte, daß er sich gegen den von Ow, der „ein Jntriguenmacher und Lügner" sei, und „andre Bärenhäuter bei dem (!0>to»'lo <ZNNvra.Il, die mit unter der Decke lügen," Rache verschaffen werde. Wie man sieht, war der Ton schon recht fein geworden. Aber es sollte noch besser kommen. Am Tage der vier gekrönten Kalenderheiligen wurde in der Stadt ein gedrucktes, lateinisches Gedicht verbreitet, das die eheliche Treue einzelner Assessorenfrauen in sehr bedenklichem Lichte erscheinen ließ. Es lautete im Eingang: Huci-tuor ooog ooron^eorum loses romirrunt, Hustuor vn iotMoin vorouti, Ksoo loses, oslodrimt. Ein andrer, der Assessor von Phrk, veröffentlichte verschiedne in dem Streit erlassene Verfügungen des Kaisers und des Kammerrichters und fügte diese» auf der Kehrseite des Titelblattes allerlei anzügliche Bibelsprüche bei, vor allen den Psalmsprnch: „Große Farren haben mich umgeben, fette Ochsen haben mich umringt; ihren Rachen sperren sie auf wider mich wie ein brüllender und reißender Löwe."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/384>, abgerufen am 01.07.2024.