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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus der Stadt des Reichskammergerichts

hier aber in W^Iiwtv von N genannt, mit seiner tauben Fran u. s. w., den
übel fourmrten S nicht zu vergessen, der die Lücken seiner altfränkischen
Garderobe mit neumodischen Lappen ausflickt." Das Ende vom Liede war,
daß der Hausherr, obgleich dem jungen Jerusalem persönlich wohlgesinnt, ihm
aus das Drängen der adlichen Gäste die Thür weisen mußte.

Wenn die Gesellschaft nur wenigstens nnter sich zusammengehalten hätte!
Aber auch hier derselbe leere Formenstreit, wie nach außen, "das glänzende
Elend und die Langeweile nnter dem garstigen Volke, die Nangsucht linker
ihnen, wie sie nur wachen und aufpassen, einander ein Schnittchen abzuge¬
winnen."^) Möglich, daß Goethe bei den letzten Worten eines Vorfalls gedachte,
der sich kurz vor seiner Zeit in Wetzlar ereignet hatte und als große
Haupt- und Staatsaktion sogar vor den Thron des Kaisers gebracht war: .
der .Kammerrichter gab eines Abends im Gasthof zum Römischem Kaiser großen
Ball, die ganze Neichskammergerichtsgesellschaft war versammelt. Heiterkeit
und Frohsinn herrschten -- soweit dies in der steifen Gesellschaft möglich
war --, denn es war Fastnacht. Da erhebt sich plötzlich ein Murmeln des
Unwillens am äußersten Ende des Saales, ein Zwiespalt geht durch die Ge¬
sellschaft. Wie in einem Bienenkorbe summt alles durch einander. Man raunt
und zischelt: Niris o'oft- iuom, quölle l)se,i.86, Huslls inrxörtinemvs! tönt es in
der heimischen Zunge des Reichskammergerichtssalons. Was mag die Gesell¬
schaft so empört haben? Etwas Entsetzliches hatte sich ereignet: Die Gattin
eines der 5!!anlmergerichtspräsidenten hatte verlangt, daß ihre noch ledige
Tochter, als "stiftsmäßiges, mit sechzehn Schilden gewappnetes Fräulein" vor
den Gattinen der sämtlichen Kammergerichtsbeisitzer den Vortritt und Vvrtanz
haben solle. Die Assessoren, noch mehr aber vermutlich ihre Gattinnen, waren
voll Unwillen über diese Anmaßung und der Beisitzer von Ortmann, "als
von Jhro Römisch-Kayser-Königlichen Majestät als Erzherzogin in Oester¬
reich wegen des Oesterreichischen Creyses praesöntirtör Assessor" wandte sich
wie einer Beschwerde um den Kaiser, worin er ausführte, daß nach jenem
Vorgang jeder uustiftsmäßige Kavalier, er stehe in einem Charakter, wie er
wolle, sogar jeder Kammergerichtspräsident selbst, wenn er nicht just Stifts-
"u'ißig, einem jeden stiftsmäßigen Kind in der Wiege schon den Vorzug zu
gestatten Hütte. Die Amtspflicht und Obliegenheit eines jeden Beisitzers dieses
kaiserlichen und Neichskammergerichts, wie auch die Würde dieses ältesten und
höchste,, Neichsdieasterii erforderten, daß er solche, in allen Vorfallenheiten,
Aufrecht erhalte und nichts Verkleiuerliches dawider aufkommen lasse. Wie der
streit ausgegangen ist, ist leider nicht überliefert.



Eine ausführliche Schilderung der im Folgenden dargestellten Vorgänge beim Reichs-
kannuergericht enthält das Werk von Ulmenstein: "Topographie von Wetzlar/' dem wir auch
'Ucmche andre der hier gegebenen, aus die Geschichte des Gerichts bezüglichen Nachrichten eut-
"vultum haben; Ulmeustein war Assessor beim Reichskninmergericht.
Aus der Stadt des Reichskammergerichts

hier aber in W^Iiwtv von N genannt, mit seiner tauben Fran u. s. w., den
übel fourmrten S nicht zu vergessen, der die Lücken seiner altfränkischen
Garderobe mit neumodischen Lappen ausflickt." Das Ende vom Liede war,
daß der Hausherr, obgleich dem jungen Jerusalem persönlich wohlgesinnt, ihm
aus das Drängen der adlichen Gäste die Thür weisen mußte.

Wenn die Gesellschaft nur wenigstens nnter sich zusammengehalten hätte!
Aber auch hier derselbe leere Formenstreit, wie nach außen, „das glänzende
Elend und die Langeweile nnter dem garstigen Volke, die Nangsucht linker
ihnen, wie sie nur wachen und aufpassen, einander ein Schnittchen abzuge¬
winnen."^) Möglich, daß Goethe bei den letzten Worten eines Vorfalls gedachte,
der sich kurz vor seiner Zeit in Wetzlar ereignet hatte und als große
Haupt- und Staatsaktion sogar vor den Thron des Kaisers gebracht war: .
der .Kammerrichter gab eines Abends im Gasthof zum Römischem Kaiser großen
Ball, die ganze Neichskammergerichtsgesellschaft war versammelt. Heiterkeit
und Frohsinn herrschten — soweit dies in der steifen Gesellschaft möglich
war —, denn es war Fastnacht. Da erhebt sich plötzlich ein Murmeln des
Unwillens am äußersten Ende des Saales, ein Zwiespalt geht durch die Ge¬
sellschaft. Wie in einem Bienenkorbe summt alles durch einander. Man raunt
und zischelt: Niris o'oft- iuom, quölle l)se,i.86, Huslls inrxörtinemvs! tönt es in
der heimischen Zunge des Reichskammergerichtssalons. Was mag die Gesell¬
schaft so empört haben? Etwas Entsetzliches hatte sich ereignet: Die Gattin
eines der 5!!anlmergerichtspräsidenten hatte verlangt, daß ihre noch ledige
Tochter, als „stiftsmäßiges, mit sechzehn Schilden gewappnetes Fräulein" vor
den Gattinen der sämtlichen Kammergerichtsbeisitzer den Vortritt und Vvrtanz
haben solle. Die Assessoren, noch mehr aber vermutlich ihre Gattinnen, waren
voll Unwillen über diese Anmaßung und der Beisitzer von Ortmann, „als
von Jhro Römisch-Kayser-Königlichen Majestät als Erzherzogin in Oester¬
reich wegen des Oesterreichischen Creyses praesöntirtör Assessor" wandte sich
wie einer Beschwerde um den Kaiser, worin er ausführte, daß nach jenem
Vorgang jeder uustiftsmäßige Kavalier, er stehe in einem Charakter, wie er
wolle, sogar jeder Kammergerichtspräsident selbst, wenn er nicht just Stifts-
"u'ißig, einem jeden stiftsmäßigen Kind in der Wiege schon den Vorzug zu
gestatten Hütte. Die Amtspflicht und Obliegenheit eines jeden Beisitzers dieses
kaiserlichen und Neichskammergerichts, wie auch die Würde dieses ältesten und
höchste,, Neichsdieasterii erforderten, daß er solche, in allen Vorfallenheiten,
Aufrecht erhalte und nichts Verkleiuerliches dawider aufkommen lasse. Wie der
streit ausgegangen ist, ist leider nicht überliefert.



Eine ausführliche Schilderung der im Folgenden dargestellten Vorgänge beim Reichs-
kannuergericht enthält das Werk von Ulmenstein: „Topographie von Wetzlar/' dem wir auch
'Ucmche andre der hier gegebenen, aus die Geschichte des Gerichts bezüglichen Nachrichten eut-
"vultum haben; Ulmeustein war Assessor beim Reichskninmergericht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/383>, abgerufen am 01.10.2024.