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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Mittleres, das ungestraft weder nach rechts noch nach links hin überschritten
werden kann. Und nachdem die Konzentration der Bevölkerung das richtige
Mittelmaß überschritten hat, wünsche" alle Verständigen die Zurückführung eines
Teiles der industriellen Bevölkerung aufs Land.

Denken wir uns eine Gegend, wo Landwirtschaft und Gewerbe innig
verbunden siud. Der Bauer findet hinreichenden Absatz seiner Erzeugnisse in
den nahen, nicht zu großen Städten, und die städtische" Handwerker versorgen
ihn mit Werkzeugen, Hausrat und Kleidung. Beide genügen einander gegen¬
seitig und brauchen nicht auf den Auslandsmarkt, uicht einmal auf einen fern
liegenden Inlandsmarkt zu spekuliren. Die Handwerker siud sämtlich Haus¬
besitzer; freilich sind ihre Häuser klein, nur Familienhäuser, höchstens uoch für
einen Mietsmann berechnet. Außer dem Hause besitzen fast alle, mögen sie
auf dem Dorfe oder in der Stadt wohnen, einen Garten und ein Ackerstück.
Jeder mästet mindestens ein Schwein, mancher hält auch noch ein paar Ziege"
oder Schafe oder sogar eine Kuh daz". Reich kann keiner werden, da sie alle
"ur mit wenigen Leuten, durchschnittlich mit einem Gesellen und einem Lehr¬
ling arbeiten. Aber jeder erfreut sich eines gleichmäßigen Einkommens und
einer großen Sicherheit seines Daseins. Er ist nicht von den Schwankungen
des Weltmarktes abhängig, weil er sei" Absatzgebiet in der Nähe hat und es
überschaut. Kleinere Schwankungen kommen auch in diesem kleinen Gebiete
vor; was ihm diese überstehen hilft, was die Ungleichheiten sowohl seiner
gewerblichen Beschäftigungen wie seiner Einnahmen in den verschiednen Jahres¬
zeiten ausgleicht, das ist sein Stückchen Acker und Vieh. Da nicht viele Lehr¬
linge eingestellt werden, haben alle oder doch sast alle Gesellen Aussicht, Meister
zu werden, und es entsteht kein Interessengegensatz zwischen den Meistern und deu
Gehilfen. Es geht ein wenig armselig und sehr spießbürgerlich zu in einer
solchen Gegend, aber bei der Gleichartigkeit der Lage aller kann kein tiefer
Interessengegensatz, daher auch keine soziale Frage entstehen. Auch ist ein arm¬
seliges Dasein noch nicht proletarisch; wer ein Stückchen Grund und Boden
besitzt, ein festes Heim, aus dem ihn niemand vertreiben kann, wer einige
arbeitslose Monate überstehen kann, weil ihm keine "Exmission" wegen rück¬
ständiger Miete droht, und weil er Kartoffeln im Keller, einige Speckseiten
in der Rauchkammer und ein paar Klaftern Holz im Hofe hat, der ist noch
kein Proletarier und wird auch nicht sobald einer.

Die Sicherheit des Daseins kann sogar noch fortbestehen, wenn ein Teil
dieser Handwerker für den Export arbeitet. So lebten noch 1806, wo sie noch
nicht durch die Grvßfabrikcmten zu Grunde gerichtet waren, die 3500 Tuchmacher
ans den Dörfer" um Leeds als Ackerhüusler. In der Stadt hatten sie ihre
gemeinsame Tuchhalle, wo sie ihre Ware an die Kaufleute absetzten. Ähnlich
leben noch hente i" manchen Gebirgsgegend".'" Deutschlands die Angehörige"
der sogenannten Hausindustrie. Es ist wahr, daß es vielen von ihnen recht


Mittleres, das ungestraft weder nach rechts noch nach links hin überschritten
werden kann. Und nachdem die Konzentration der Bevölkerung das richtige
Mittelmaß überschritten hat, wünsche» alle Verständigen die Zurückführung eines
Teiles der industriellen Bevölkerung aufs Land.

Denken wir uns eine Gegend, wo Landwirtschaft und Gewerbe innig
verbunden siud. Der Bauer findet hinreichenden Absatz seiner Erzeugnisse in
den nahen, nicht zu großen Städten, und die städtische» Handwerker versorgen
ihn mit Werkzeugen, Hausrat und Kleidung. Beide genügen einander gegen¬
seitig und brauchen nicht auf den Auslandsmarkt, uicht einmal auf einen fern
liegenden Inlandsmarkt zu spekuliren. Die Handwerker siud sämtlich Haus¬
besitzer; freilich sind ihre Häuser klein, nur Familienhäuser, höchstens uoch für
einen Mietsmann berechnet. Außer dem Hause besitzen fast alle, mögen sie
auf dem Dorfe oder in der Stadt wohnen, einen Garten und ein Ackerstück.
Jeder mästet mindestens ein Schwein, mancher hält auch noch ein paar Ziege»
oder Schafe oder sogar eine Kuh daz». Reich kann keiner werden, da sie alle
»ur mit wenigen Leuten, durchschnittlich mit einem Gesellen und einem Lehr¬
ling arbeiten. Aber jeder erfreut sich eines gleichmäßigen Einkommens und
einer großen Sicherheit seines Daseins. Er ist nicht von den Schwankungen
des Weltmarktes abhängig, weil er sei» Absatzgebiet in der Nähe hat und es
überschaut. Kleinere Schwankungen kommen auch in diesem kleinen Gebiete
vor; was ihm diese überstehen hilft, was die Ungleichheiten sowohl seiner
gewerblichen Beschäftigungen wie seiner Einnahmen in den verschiednen Jahres¬
zeiten ausgleicht, das ist sein Stückchen Acker und Vieh. Da nicht viele Lehr¬
linge eingestellt werden, haben alle oder doch sast alle Gesellen Aussicht, Meister
zu werden, und es entsteht kein Interessengegensatz zwischen den Meistern und deu
Gehilfen. Es geht ein wenig armselig und sehr spießbürgerlich zu in einer
solchen Gegend, aber bei der Gleichartigkeit der Lage aller kann kein tiefer
Interessengegensatz, daher auch keine soziale Frage entstehen. Auch ist ein arm¬
seliges Dasein noch nicht proletarisch; wer ein Stückchen Grund und Boden
besitzt, ein festes Heim, aus dem ihn niemand vertreiben kann, wer einige
arbeitslose Monate überstehen kann, weil ihm keine „Exmission" wegen rück¬
ständiger Miete droht, und weil er Kartoffeln im Keller, einige Speckseiten
in der Rauchkammer und ein paar Klaftern Holz im Hofe hat, der ist noch
kein Proletarier und wird auch nicht sobald einer.

Die Sicherheit des Daseins kann sogar noch fortbestehen, wenn ein Teil
dieser Handwerker für den Export arbeitet. So lebten noch 1806, wo sie noch
nicht durch die Grvßfabrikcmten zu Grunde gerichtet waren, die 3500 Tuchmacher
ans den Dörfer» um Leeds als Ackerhüusler. In der Stadt hatten sie ihre
gemeinsame Tuchhalle, wo sie ihre Ware an die Kaufleute absetzten. Ähnlich
leben noch hente i» manchen Gebirgsgegend«.'» Deutschlands die Angehörige»
der sogenannten Hausindustrie. Es ist wahr, daß es vielen von ihnen recht


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[0368] Mittleres, das ungestraft weder nach rechts noch nach links hin überschritten werden kann. Und nachdem die Konzentration der Bevölkerung das richtige Mittelmaß überschritten hat, wünsche» alle Verständigen die Zurückführung eines Teiles der industriellen Bevölkerung aufs Land. Denken wir uns eine Gegend, wo Landwirtschaft und Gewerbe innig verbunden siud. Der Bauer findet hinreichenden Absatz seiner Erzeugnisse in den nahen, nicht zu großen Städten, und die städtische» Handwerker versorgen ihn mit Werkzeugen, Hausrat und Kleidung. Beide genügen einander gegen¬ seitig und brauchen nicht auf den Auslandsmarkt, uicht einmal auf einen fern liegenden Inlandsmarkt zu spekuliren. Die Handwerker siud sämtlich Haus¬ besitzer; freilich sind ihre Häuser klein, nur Familienhäuser, höchstens uoch für einen Mietsmann berechnet. Außer dem Hause besitzen fast alle, mögen sie auf dem Dorfe oder in der Stadt wohnen, einen Garten und ein Ackerstück. Jeder mästet mindestens ein Schwein, mancher hält auch noch ein paar Ziege» oder Schafe oder sogar eine Kuh daz». Reich kann keiner werden, da sie alle »ur mit wenigen Leuten, durchschnittlich mit einem Gesellen und einem Lehr¬ ling arbeiten. Aber jeder erfreut sich eines gleichmäßigen Einkommens und einer großen Sicherheit seines Daseins. Er ist nicht von den Schwankungen des Weltmarktes abhängig, weil er sei» Absatzgebiet in der Nähe hat und es überschaut. Kleinere Schwankungen kommen auch in diesem kleinen Gebiete vor; was ihm diese überstehen hilft, was die Ungleichheiten sowohl seiner gewerblichen Beschäftigungen wie seiner Einnahmen in den verschiednen Jahres¬ zeiten ausgleicht, das ist sein Stückchen Acker und Vieh. Da nicht viele Lehr¬ linge eingestellt werden, haben alle oder doch sast alle Gesellen Aussicht, Meister zu werden, und es entsteht kein Interessengegensatz zwischen den Meistern und deu Gehilfen. Es geht ein wenig armselig und sehr spießbürgerlich zu in einer solchen Gegend, aber bei der Gleichartigkeit der Lage aller kann kein tiefer Interessengegensatz, daher auch keine soziale Frage entstehen. Auch ist ein arm¬ seliges Dasein noch nicht proletarisch; wer ein Stückchen Grund und Boden besitzt, ein festes Heim, aus dem ihn niemand vertreiben kann, wer einige arbeitslose Monate überstehen kann, weil ihm keine „Exmission" wegen rück¬ ständiger Miete droht, und weil er Kartoffeln im Keller, einige Speckseiten in der Rauchkammer und ein paar Klaftern Holz im Hofe hat, der ist noch kein Proletarier und wird auch nicht sobald einer. Die Sicherheit des Daseins kann sogar noch fortbestehen, wenn ein Teil dieser Handwerker für den Export arbeitet. So lebten noch 1806, wo sie noch nicht durch die Grvßfabrikcmten zu Grunde gerichtet waren, die 3500 Tuchmacher ans den Dörfer» um Leeds als Ackerhüusler. In der Stadt hatten sie ihre gemeinsame Tuchhalle, wo sie ihre Ware an die Kaufleute absetzten. Ähnlich leben noch hente i» manchen Gebirgsgegend«.'» Deutschlands die Angehörige» der sogenannten Hausindustrie. Es ist wahr, daß es vielen von ihnen recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/368>, abgerufen am 27.12.2024.