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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die schwachen Seite" von Ariegsbnndnissen

sich hertrieb. Daß der westfälische Königsthron auf schwachen Füßen stand,
zeigte sich vier Jahre später, als der immer lustige König Hieronhmus vor
Tschernitscheffs 2000 Kosaken die Flucht ergriff. In Vraunschweig sehnte alles
die Rückkehr des tapfern Herzogs herbei, der in Böhmen seine schwarze Schar
zum todesmutigen Angriff sammelte. War einmal im nordwestlichen Deutsch¬
land der Aufstand losgebrochen, dann konnte man hoffen, daß auch der zau¬
bernde König von Preußen sich zum Befreiungskampfe werde fortreißen lassen.
Dann waren Napoleons Heere beim Angriff auf Österreich in der linken
Flanke bedroht, gerade wie in der rechten durch die Erhebung der wackern
Tiroler.

Anfangs schien es auch, als ob die englische Negierung dein Vorschlage
nicht abgeneigt wäre; eine große Flotte wurde zusammengezogen, ein starkes
Landungsheer in Bereitschaft gesetzt. Aber im letzten Augenblick erhielt die
Unternehmung ein andres Ziel. Was kümmerten sich die Engländer um Deutsch¬
land, was hatten sie an Weser und Elbe zu suchen? Antwerpen, die blühende
Handelsstadt, mit ihrem unvergleichlichen Hafen in englischen Besitz zu bringen,
festen Fuß zu fassen auf dem Festlande, wie einst in Calais, in Dünkirchen,
das lohnte sich der Mühe, das war die Aufgabe, die Heer und Flotte erhielten.
So unterblieb die Landung in Norddeutsch land; statt einer allgemeinen Er¬
hebung erfolgten nur vereinzelte Ansbrttche, unter Schill, unter Dörnberg,
unter dein Herzog von Braunschweig, und der vielversprechende Kriegsplan war
vereitelt.

Ein andres Beispiel aus dem Kriege des Jahres 1813. Durch die Völker¬
schlacht bei Leipzig war Deutschland bis zum Rhein von den Franzosen ge¬
säubert, und man stand jetzt vor der Frage: Soll man einen neuen Feldzug be¬
ginnen und in Frankreich eindringen? Wie lange dauerte es damals, bis die
verbündeten Mächte, Rußland, Preußen, Österreich, sich über den Entschluß des
Einmarsches verständigten! Und als das Ob entschieden war, da begann der
Streit über das Wie. Blücher und Gneisenau wollten in raschem Schritt ans
Paris losgehen und so den Krieg zum schnellen Ende bringen. Den Öster¬
reichern war dieser Gedanke zu kühn, der Plan wurde verworfen, Napoleon
behielt Zeit, ein neues Heer aufzustellen und einzuüben, und der Krieg zog sich
noch monatelang hinaus.

Wir sehen: schon vor dein Beginn des Feldzuges, schon bei der Aufstellung
des Kriegsplaues zeigt sich die Schwierigkeit der Aufgabe, zwei oder drei Köpfe
unter einen Hut zu bringen. Aber diese Erfahrung kann sich bei jeder be¬
deutenden Wendung des Krieges, bei jedem entscheidenden Schritte wiederholen.

Am schlimmsten steht die Sache natürlich dann, wenn sich der eine der
Verbündeten nnr widerwillig am Kriege beteiligt, wie Kaiser Leopold I. im
Jahre 1673 an dem Kampfe gegen Ludwig XIV. Damals hatte Holland in
seiner höchsten Not einen Bundesgenossen gefunden an dein Kurfürsten Friedrich


Die schwachen Seite» von Ariegsbnndnissen

sich hertrieb. Daß der westfälische Königsthron auf schwachen Füßen stand,
zeigte sich vier Jahre später, als der immer lustige König Hieronhmus vor
Tschernitscheffs 2000 Kosaken die Flucht ergriff. In Vraunschweig sehnte alles
die Rückkehr des tapfern Herzogs herbei, der in Böhmen seine schwarze Schar
zum todesmutigen Angriff sammelte. War einmal im nordwestlichen Deutsch¬
land der Aufstand losgebrochen, dann konnte man hoffen, daß auch der zau¬
bernde König von Preußen sich zum Befreiungskampfe werde fortreißen lassen.
Dann waren Napoleons Heere beim Angriff auf Österreich in der linken
Flanke bedroht, gerade wie in der rechten durch die Erhebung der wackern
Tiroler.

Anfangs schien es auch, als ob die englische Negierung dein Vorschlage
nicht abgeneigt wäre; eine große Flotte wurde zusammengezogen, ein starkes
Landungsheer in Bereitschaft gesetzt. Aber im letzten Augenblick erhielt die
Unternehmung ein andres Ziel. Was kümmerten sich die Engländer um Deutsch¬
land, was hatten sie an Weser und Elbe zu suchen? Antwerpen, die blühende
Handelsstadt, mit ihrem unvergleichlichen Hafen in englischen Besitz zu bringen,
festen Fuß zu fassen auf dem Festlande, wie einst in Calais, in Dünkirchen,
das lohnte sich der Mühe, das war die Aufgabe, die Heer und Flotte erhielten.
So unterblieb die Landung in Norddeutsch land; statt einer allgemeinen Er¬
hebung erfolgten nur vereinzelte Ansbrttche, unter Schill, unter Dörnberg,
unter dein Herzog von Braunschweig, und der vielversprechende Kriegsplan war
vereitelt.

Ein andres Beispiel aus dem Kriege des Jahres 1813. Durch die Völker¬
schlacht bei Leipzig war Deutschland bis zum Rhein von den Franzosen ge¬
säubert, und man stand jetzt vor der Frage: Soll man einen neuen Feldzug be¬
ginnen und in Frankreich eindringen? Wie lange dauerte es damals, bis die
verbündeten Mächte, Rußland, Preußen, Österreich, sich über den Entschluß des
Einmarsches verständigten! Und als das Ob entschieden war, da begann der
Streit über das Wie. Blücher und Gneisenau wollten in raschem Schritt ans
Paris losgehen und so den Krieg zum schnellen Ende bringen. Den Öster¬
reichern war dieser Gedanke zu kühn, der Plan wurde verworfen, Napoleon
behielt Zeit, ein neues Heer aufzustellen und einzuüben, und der Krieg zog sich
noch monatelang hinaus.

Wir sehen: schon vor dein Beginn des Feldzuges, schon bei der Aufstellung
des Kriegsplaues zeigt sich die Schwierigkeit der Aufgabe, zwei oder drei Köpfe
unter einen Hut zu bringen. Aber diese Erfahrung kann sich bei jeder be¬
deutenden Wendung des Krieges, bei jedem entscheidenden Schritte wiederholen.

Am schlimmsten steht die Sache natürlich dann, wenn sich der eine der
Verbündeten nnr widerwillig am Kriege beteiligt, wie Kaiser Leopold I. im
Jahre 1673 an dem Kampfe gegen Ludwig XIV. Damals hatte Holland in
seiner höchsten Not einen Bundesgenossen gefunden an dein Kurfürsten Friedrich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/36>, abgerufen am 01.07.2024.