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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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ganzen Verlauf eines Krieges voraus zu bestimmen; das würde die Kräfte des
genialsten Schlachtenlenkers, des trefflichsten Generalstabs weit übersteigen; denn
der den KriegSplnn entwirft, hat ja sich gegenüber nicht maschinengleich
wirkende, berechenbare Kräfte, sondern freie Persönlichkeiten, die ihm jeden
Augenblick eine" Strich durch die Rechnung machen können. Aber das ist doch
notwendig, das; man schon vor dem Ausbrüche des Krieges sicher weiß, in
welcher Weise man ihn sichren will, ob als Angriffs- oder als Verteidigungs¬
krieg, wo die Heere versammelt werden, und welches die ersten Angriffspunkte
sein sollen. Es liegt ans der Hand, wie unentbehrlich dabei ein einheitlicher
Wille, eine feste Leitung ist, wie verhängnisvoll eine Abweichung von der vor¬
gezeichneten Linie. Ebenso klar ist es ans der andern Seite, daß die Schwierig¬
keit der Feststellung, die Gefahr der Abweichung mit der Zahl der selbständigen
Teilnehmer wächst, daß für einen einheitlichen Kriegsplan und seine folge¬
richtige Durchführung der Kvalitionskrieg kein günstiger Boden ist. Zwei
Beispiele mögen bestätigen, was sich schon ans der Natur der Dinge
schließen läßt.

Es war im Jahre Zee0i>. Mau stand vor einem neuen Kriege, dem
fünften Völkerkämpfe seit zwanzig Jahren: Österreich und England gegen
Napoleon. Preußen lag ant Boden; unter den Schlägen von Jena und Auer-
städt war der Staat Friedrichs des Großen zusammengebrochen. Drei Viertel
Deutschlands gehörten dein Rheinbund an und mußten jedem Winke des
fremden Gewaltherrschers gehorchen. Aber nnter den Augen der französischen
Heere, unter der Ansticht der geheimen Polizei, deren Horcher und Späher
sich in jede Gesellschaft, in jede Familie einschlichen, war es der unermüdlichen
Thätigkeit aufopfernder Vnterlandsfrenude, eines Freiherrn vom Stein, eines
Bincke, eines Justus Grüner gelungen, über das ganze nordwestliche Deutsch¬
land ein Netz von Einverständnissen auszubreiten, das sich in dein Augenblicke
der Entscheidung über denk ahnungslosen Feinde zusammenziehen sollte wie
Klytäinnestras Gewand über dem Haupte Agamemuvus. Die französischen
Besatzungen sollte" überfallen, die Beamten der fremden Regierung festge¬
nommen, ihre Kassen mit Beschlag belegt, ihre Kuriere angefangen, ihre Wngen-
zs'ge abgeschnitten werden. Das Zeichen für den Lvsbruch sollte die Landung
wies englischen Heeres sein. Denn das war von den ruhigen Dentschen nicht
zu erwarten, daß sie ohne einen kräftigen Anstoß von anßen sich zum Aufstand
entschlossen und gleich den heißblütigen Spaniern dnrch einen kleinen Krieg
uns eigne Hand den Feind vernichteten. Wenn dagegen ein regelmäßiges Heer,
"kochte es an Zahl noch so gering sein, auf dein Schauplatz erschien und als
Stütze und Zuflucht diente. daun konnte man darauf rechnen, daß die gereizte
Bevölkerung sich erhob, so gut wie die Bauern auf dem Westerwalde, die sich
"n Jahre I7W mit Sense und Dreschflegel ans das französische Raubgesindel
stürzten und niedermähten und niederdraschen, was der Erzherzog Karl vor


Die schwachen Seiten von Ariegsbüiiduissen

ganzen Verlauf eines Krieges voraus zu bestimmen; das würde die Kräfte des
genialsten Schlachtenlenkers, des trefflichsten Generalstabs weit übersteigen; denn
der den KriegSplnn entwirft, hat ja sich gegenüber nicht maschinengleich
wirkende, berechenbare Kräfte, sondern freie Persönlichkeiten, die ihm jeden
Augenblick eine» Strich durch die Rechnung machen können. Aber das ist doch
notwendig, das; man schon vor dem Ausbrüche des Krieges sicher weiß, in
welcher Weise man ihn sichren will, ob als Angriffs- oder als Verteidigungs¬
krieg, wo die Heere versammelt werden, und welches die ersten Angriffspunkte
sein sollen. Es liegt ans der Hand, wie unentbehrlich dabei ein einheitlicher
Wille, eine feste Leitung ist, wie verhängnisvoll eine Abweichung von der vor¬
gezeichneten Linie. Ebenso klar ist es ans der andern Seite, daß die Schwierig¬
keit der Feststellung, die Gefahr der Abweichung mit der Zahl der selbständigen
Teilnehmer wächst, daß für einen einheitlichen Kriegsplan und seine folge¬
richtige Durchführung der Kvalitionskrieg kein günstiger Boden ist. Zwei
Beispiele mögen bestätigen, was sich schon ans der Natur der Dinge
schließen läßt.

Es war im Jahre Zee0i>. Mau stand vor einem neuen Kriege, dem
fünften Völkerkämpfe seit zwanzig Jahren: Österreich und England gegen
Napoleon. Preußen lag ant Boden; unter den Schlägen von Jena und Auer-
städt war der Staat Friedrichs des Großen zusammengebrochen. Drei Viertel
Deutschlands gehörten dein Rheinbund an und mußten jedem Winke des
fremden Gewaltherrschers gehorchen. Aber nnter den Augen der französischen
Heere, unter der Ansticht der geheimen Polizei, deren Horcher und Späher
sich in jede Gesellschaft, in jede Familie einschlichen, war es der unermüdlichen
Thätigkeit aufopfernder Vnterlandsfrenude, eines Freiherrn vom Stein, eines
Bincke, eines Justus Grüner gelungen, über das ganze nordwestliche Deutsch¬
land ein Netz von Einverständnissen auszubreiten, das sich in dein Augenblicke
der Entscheidung über denk ahnungslosen Feinde zusammenziehen sollte wie
Klytäinnestras Gewand über dem Haupte Agamemuvus. Die französischen
Besatzungen sollte» überfallen, die Beamten der fremden Regierung festge¬
nommen, ihre Kassen mit Beschlag belegt, ihre Kuriere angefangen, ihre Wngen-
zs'ge abgeschnitten werden. Das Zeichen für den Lvsbruch sollte die Landung
wies englischen Heeres sein. Denn das war von den ruhigen Dentschen nicht
zu erwarten, daß sie ohne einen kräftigen Anstoß von anßen sich zum Aufstand
entschlossen und gleich den heißblütigen Spaniern dnrch einen kleinen Krieg
uns eigne Hand den Feind vernichteten. Wenn dagegen ein regelmäßiges Heer,
»kochte es an Zahl noch so gering sein, auf dein Schauplatz erschien und als
Stütze und Zuflucht diente. daun konnte man darauf rechnen, daß die gereizte
Bevölkerung sich erhob, so gut wie die Bauern auf dem Westerwalde, die sich
"n Jahre I7W mit Sense und Dreschflegel ans das französische Raubgesindel
stürzten und niedermähten und niederdraschen, was der Erzherzog Karl vor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/35>, abgerufen am 29.06.2024.